German interviews & clippings
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Alice / Floorshow
SPEX - Ende 1983
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Gitarren werden wieder Mode, England rätselt über einem sog. Rock-Festival, ernsthafte junge Leute beschäftigen sich wieder unter Mithilfe indischer Instrumente mit Bewußtsein und dessen Erweiterung und kleben sich das Gehirn mit allemöglichem falschen dummen Ballast zu von wegen Große Gedanken: Die sind für zu Hause! Tja, jetzt bin ich bei Echo und U2 und wollte eigentlich über Sisters of Mercy schreiben, denn die sind wirklich gut: Überraschung hallo. Live spielen sie Sister Ray und sowas, sie erklären die Psychedelic Furs (Supergruppe) zu ihrem Vorbild und heraus kommt lustiger Velvet/Stooges/Furs-Matsch mit richtig schöner Psychedelik und viel Gefiedel auf den Gitarren. Das Schönste an dieser Gruppe ist jedoch die Lockerheit und der sichere Umgang mit Melodien, man höre sich nur "Alice" an. Während alle Welt noch die ABC-Trommelwirbel imitiert, kommt schon das Gitarrensolo-Revival um die Ecke
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Plus-Minus-Null
SPEX - November 1983
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Ein schlauer Chinese stellte in grauer Vorzeit die Behauptung auf, daß alles schon mal dagewasen sei und unabhängig davon fühlen sich erfahrene Mütter anläßlich einer „neuen" Mode hier und da an Ihre eigene Jugend erinnert. "Guck doch mal, Heinz, hättest du damals nur deine schmalen Schlipse aufgehoben," so oder ähnllch erklingt es halt derweilen. Auch die populäre Musik samt Umfeld kann sich diesem eisernen Gesetz scheinbar nicht entziehen, und mit dem schönen Wort "Revival" schuf sie sich sogar eine eigene Vokabel fü diese sündigen Wiederholungen. Sollte Punk das zeltgemäße Aufleben des Rock'n'Rolls gewesen sein, dann ist der sogenannte Positive Punk sehr stark mit Psychedelic Vorbildern vergangener, noch gar nicht so lange zurückliegender Tage in Verbindung zu bringen.
Mit diesen und ähnlichen, im Grunde häßlichen theoretischen Vorstellungen ließ ich mich an diesem Abend zum Konzert kutschieren. Praktisch und jetzt einmal abgesehen von der Musik, sieht die Sache viel einfacher aus. Gibt es doch mal wieder einen neuen englischen Trend zu übernehmen" Klamotten, die noch nicht jeder hat, zu kaufen oder noch einfacher, eine neue Möglichkeit ANDERS zu sein. Es ist schon viel über die deutsche Nachmachkultur geschrieben und noch mehr geredet worden, doch auch in diesem Falle bleibt nichts anderes anzumerken, als daß mal wieder möglichst 100% (hundertprozentig) abgekupfert wurde. Der Tag an dem der Kaufhof 'Fashion-Shop" positive Kleidung anbietet, liegt nicht mehr fern.
Für die einzelne Band bringt dieser Rummel natürlich Vor- und Nachteile mit sich. Zur rechten Zeit am rechten Ort die richtige Musik zu machen, heißt natürlich auch kommerziell auf der neuesten Welle mitzuschwimmen. Andererseits haben Sachen wie Ska und ähnliche gezeigt, wie kurzlebig solche Moden doch sind und wie schnell man weg vom Fenster des allgemeinen Interesses ist. So will auch Andy Eldritch, Sänger und Vordenker der barmherzigen Schwestern nichts vom Gerede über Positive Punk hören.
"Wir selbst haben uns noch keine großen Gedanken darüber gemacht. In England nennt unsere Musik sowieso keiner ,positive punk', das ist wohl nur in Deutschland so. Und was der NME da schreibt, hat mit uns genauso wenig zu tun. Wenn du unbedingt eine Bezeichnung brauchst, dann machen wir ,TRASH FOLK'."
Zu meiner Verwunderung spricht Andy leidlich Deutsch und wie er da so auf dem Boden der ARRATA-Speisekammer liegt, mit Sonnenbrille und schwarzen Stoffhandschuhen, also nein.
Die Sisters existieren seit etwa 2 bis 3 Jahren, stammen aus Leeds und London und haben ihren Stammsitz in Nordengland, weil „die Leute dort besser sind und London eh eine sehr dumme Stadt ist." Vier unabhängig produzierte Singles und zwei Maxis haben sie bisher veröffentlicht und wenn das Geld reicht, will man sich im nächsten Jahr an die Produktion einer LP heranwagen. Ob man's glaubt oder nicht, es war wirklich von 40.000 Pfund Produktionskosten die Rede. Diese Summe sei halt für die Verwirklichung der Zukunftspläne nötig, meinte der Mann mit der Sonnenbrille trocken, 24 Spur wäre da schon erforderlich. Von ihrer Musik leben kann die Gruppe noch längst nicht, wie auch die Tournee bestenfalls ein Plus-Minus-Null Geschäft war. Auf die Frage nach bemerkenswerten Eindrücken von der Deutschland-Reise beginnt erst einmal ein großes Gelächter. Es gebe nichts bemerkenswertes, heißt es. Die Leute waren sehr nett zu Ihnen, besonders in Berlin - in Hamburg habe jemand Flaschen auf die Bühne geschmissen. Andy Eldritch fand das ganz lustig, denn 'Spannung macht Stimmung' '; wenn auch 'Flaschenwerfen" in England nicht nötig sei, aber vielleicht müßte das hier so sein, um überhaupt etwas in Bewegung zu setzen. Pläne für nächste Zukunft? ..Urlaub, Gigs an der amerikanischen Ostküste und eine GB-Tour." Was sagt er zum neuen "Psychedelismus"? "Gewiß, wir haben einige Gemeinsamkeiten mit den Stooges (siehe "1969" auf der ersten Maxi) doch ansonsten ist das mal wieder eine Erfindung der LEUTE. Sie hören einige Gitarren-Geräusche und schon ist das New Psychedelia!" Die (Musik-) Welt braucht halt ihre Schubladen und die (Musik-) Presse stellt eben ihre Allwissenheit durch die Entdeckung von immer neuen Gemeinsamkeiten mit der "Geschichte" heraus. Daß die einzelnen Gruppen an diesem Klischeedenken nicht ganz unschuldig sind, bleibt wohl unbestritten. Und auch die an den Tag gelegte Jungfräulichkeit der Sisters lenkt nicht von der Verwandschaft mit den Spätsechziger / Frühsiebzigern ab. Man sollte vielleicht nur nicht so penetrant darauf herumreiten . . . Zuguterletzt dann der Auftritt: Abgesehen vom schlappen Publikum, daß noch nicht mal eine Zugabe erkämpfte, war's eigentlich ganz schön. Andy sang wie Pete Murphy (schon wieder dieser Vergleich), die Rhythmusmaschine trommelte munter vor sich hin und einige mitreisende Engländer führten absonderliche Tänze auf.
Zum Schluß noch folgendes: Mir liegt der Haß fern, mit dem Gruppen wie Bauhaus o. ä. speziell in der deutschen Musikjournalie verfolgt werden.
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Im Takte des Doktors
SPEX - November 1984
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Relikt aus den Sechzigern mit fünfzehn Buchstaben? - Richtig: Open-Air-Festival. Zu musikalischer Unterhaltung im Sonnenschein dahindämmernde Massen. Dieser Idealfall für den Veranstalter tritt offensichtlich noch häufig genug ein, um die Institution "Rockfestival" daran zu hindern, daß sie sich verabschiedet. Aus aktuellem Anlaß sei hier angemerkt, daß es auch keine Lösung ist, wenn einmal im Jahr die Büchse der Pandora geöffnet wird.
Es verrät schon viel über die Qualität einer "Golden summer night", wenn sich Grog und Glühwein zu Verkaufsschlagern entwickeln. Aber es lag nicht ausschließlich am Wetter, daß sich in den frühen Nachmittagsstunden eines Septembersonnabends nur tausend Gestalten im Motorradstadion im westfälischen Ahlen verloren. Was immer bei der Programmgestaltung im Spiel gewesen sein mochte: Feingefühl war nicht dabei. Blancmange-Fans bekamen zusätzlich Rory Gallagher serviert, Freunde von The Alarm - machen wir uns nichts vor, die gibt es ja doch - erhielten die für sie wohl einmalige Gelegenheit Frank Zappa zu sehen. Bei so einer Tagesordnung blieb auch denen, die wegen Sisters of Mercy gekommen waren, ansonsten wenig Anlaß zur Freunde.
Dennoch war diese Fraktion recht zahlreich vertreten. Die Sisters, die in England oft genug mit zwei oder drei Titeln gleichzeitig in den Independent-Charts vertreten sind, haben auch hierzulande mit ihren Platten und bisher zwei Tourneen einen respektablen Hörerkreis aufgebaut. Trotz widriger Umstände wurden die Freunde der Band auch an diesem Tage zufriedengestellt. So riß dem Gitarristen Gary Marx pro Song eine Saite. Da er die Kälte schon erfolgreich mit geistigen Getränken bekämpft hatte, bereitete ihm das Aufziehen einer neuen jedesmal erhebliche Schwierigkeiten. Eine naheliegende Frage beim Interview im Wohnwagen hinter der Buhne war da die nach der Bewertung einer solchen Veranstaltung. Oberschwester Andrew Eldritch, verantwortlich für das Repertoire der Band, hielt sich mit Kritik vornehm zurück. Schließlich gehören auch diese Auftritte zu den ökonomischen Notwendigkeiten. Klar, kalt wäre es gewesen. Ein paar Leute mehr hatten sie auch schon erwartet. Doch soo schlecht wäre das Programm doch gar nicht. Zwar brauchte man über so etwas wie Lake oder The Alarm kein Wort zu verlieren, doch Blancmange oder die Waterboys würde er auch ganz gern sehen.
In erster Linie störte es Andrew, daß ein wolkenverhangener Himmel nur für eine unzureichende Verdunkelung gesorgt hatte. Obwohl die Sisters nicht die radikalen Finstermänner sind, für die sie vielleicht manch einer hält, operieren sie doch eher in düsteren Sphären.
"Das Element der Dunkelheit ist aber nicht so wichtig für unser Image oder unsere Musik. Bloß wenn du im Hellen spielst, ist es schwer, sich in die Musik hineinzufühlen. Da bleibt der Phantasie wenig Spielraum."
Das unbarmherzige Tageslicht kommt der Band wirklich nicht entgegen. Erst zu fortgeschrittener Stunde entfaltet die Musik ihre ganze morbide Schönheit. Den Takt dafür gibt Dr. Avalanche an, wie die Sisters ihre Schlagzeugmaschine nennen. In der Rhythmuslawine, an der auch Bassist Craig Adams mitwirkt, brodeln die Gitarren von Wayne Hussey und Gary Marx. Schon ihr Outfit verrät, daß sie nicht vor dem Überschreiten ideologischer Grenzen zurückschrecken. Die spannenden Momente entstehen, wenn ein Tanzrhythmus auf Distanz zu Andrews unheilschwangerer Stimme geht. Dann gelingt der Band in einer Nummer wie "Temple of Love" (Untergrund-) Hitverdächtiges.
Andrews Qualität als Songschreiber ist auch einer der Punkte, durch den die Band sich von einer Szene abhebt, mit der sie gern in Verbindung gebracht werden. Dem Positive Punk. Um eventuell doch noch vorhandene Zweifel auszuräumen, bedarf es nur der entsprechenden Frage an Andrew: Seid ihr je im Batcave aufgetreten? "Nein. Ich war auch sonst noch nie dort."
Die Sisters sehen sich lieber schlechte Horrorfilme an als spiritistische Sitzungen zu veranstalten. Bei aller Vorliebe für dunkle Kleidung greifen sie nicht ausschließlich darauf zurück. Weiterhin behängen sie sich nicht mit Kruzifixen. Und sie mußten auch nie eine Phase exzessiven Hähnchenkonsums durchstehen, um ihre Knochenketten zu komplettieren. Dennoch werden sie gern in eine Gesellschaft gerückt, die sie nie gesucht haben.
"Das lag am zeitlichen Zusammentreffen. Einige Leute wurden auf uns aufmerksam, als Sie auch Positive Punk und das Batcave entdeckten. Uns gibt es aber schon wesentlich länger." Als die Sisters sich 1980 formierten, spielten sie noch einen Monat lang mit Schlagzeuger. "Er war ziemlich schlecht. Außerdem mußte er dann anfangen zu singen", kommentiert Andrew seine Fähigkeiten. "Jetzt haben wir eine sehr teure Schlagzeugmaschine. Die erledigt alles, was ein Schlagzeuger machen würde."
Aber sie wirft keine Stocke ins Publikum. "Stimmt, sie hat zudem keine schlechten Manieren."
Als letzter stieß Wayne Hussey vor einem Jahr zur Band. Er spielte vorher bei Dead Or Alive. Bei der Erwähnung des Namens Pete Burns entwickelt sich eine kurze Diskussion zwischen Wayne und Andrew, ob Burns zu den notwendigen oder zu den überflüssigen Übeln in der Musiklandschaft zahlt. Einig ist man sich bei Waynes Vorgänger; war ein notwendiges Übel. Andrew: "Er verließ uns, um auf die Universität zu gehen. Dort wollte er etwas in seinen Kopf bekommen. Das hatte er allerdings auch notig."
Mag man auch auf den ersten Blick einen anderen Eindruck bekommen, so gehören die Sisters doch nicht zu den Bands, die zum Lachen in den Keller gehen. Humor beweisen sie auch bei der Auswahl ihrer Coverversionen. Skrupellos wird Liedgut unterschiedlichster Herkunft übernommen. Und sie verstehen es jeden fremden Song zu ihrem eigenen zu machen. "Wir sind eben sehr geschichtsbewußt. Songs, die wir übernehmen, müssen einfach sein und zu uns passen."
Da paßt fast alles: Dolly Partons "Jolene" zu "Gimme Shelter" der Stones, Hot Chocolates "Emma" zu "1969" der Stooges. In den Genuß des Abba-Titels "Gimme Gimme Gimme" sollten Hörer aber leider nur viermal kommen. "Wir mußten das Stuck wieder fallenlassen, weil es zu schwer für uns war. Wayne sah auch nicht besonders gut aus mit blonder Perücke und im Minirock. Dafür machte sich Craig mit Plateausohlen und Bart hinter dem Piano um so besser." Für harte Fans gibt es "Gimme Gimme Gimme" als Bootleg-Single. Letzte Notierung: Fünfzehn Mark. Dieses bei Schwarzpressern seltene Plattenformat zeigt die Wertschätzung, die die Band bei ihnen genießt. Andrew kennt alle Bootlegs und hat nicht viel für sie übrig. Selbst den in beachtlicher Qualität veröffentlichten Kid Jensen/John Peel-Sessions kann er nichts abgewinnen.
"Die sind alle schlecht. Unglaublich ist die Platte aus New York, auf der auch "Sister Ray" ist. Die erschien nur zwei Wochen später, nachdem wir dort gespielt hatten. Ich finde so etwas lächerlich." Die bisherige Veröffentlichungpolitik ermunterte allerdings die Raubdrucker. Da offiziell nur Singles und Maxis erschienen, verlangten Fans nach dem LP-Format. "Wir haben Singles zum Überleben gemacht. Hätten wir eine LP produziert, wäre die nicht besonders gut geworden. Zudem hatten wir kein Geld gehabt sie unabhängig zu vertreiben. Dann hatten wir noch mehr Geld verloren."
Stattdessen sondierten die Sisters als eine überdurchschnittlich erfolgreiche Independent-Band die Angebote einer aufmerksam gewordenen Industrie. Den Zuschlag erhielt schließlich die WEA. Dort erschien bereits die letzte Single "Body and Soul", die in der Maxiversion mit "Body Electric" noch die vergriffene zweite Single der Band enthält. Entgegen ursprünglicher Planung wurde vor der November-Tour nur die neue Single "Walk Away" veröffentlicht. Die LP erscheint erst zu Beginn des nächsten Jahres. Andrew mußte eine Pause einlegen, weil sein schmächtiger Körper gegen den Rock'n'Roll-Lifestyle rebellierte. Im Titel "Marianne" wird man ihn dann erstmals in deutscher Sprache singen hören. "Die Hälfte des Songs ist in deutsch. Ich singe gern in der Sprache und möchte sie noch besser lernen. Sie hat einen guten Klang. Ich finde es leicht, deutsch zu singen; deutsche Bands sollten das viel mehr tun."
Der Hauptgrund für seine Sprachübungen ist aber wohl die besungene Marianne. Andrews Hamburger Freundin wird ihm sicher auch beim Studium dieses Artikels behilflich sein. Marianne, kannst du ihn nicht überreden, wenigstens in Hamburg noch einmal die Abba-Nummer zu bringen?
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Walk Away
SPEX - December 1984
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Die Sisters sind bei der WEA gelandet, spielten während ihrer November-Tour in ausverkauften deutschen Clubs und "Walk Away" fügte sich nahtlos ins Programm der langhaarigen Schwestern. Die Gitarren weinen zu Andrew Eldritchs düsteren Gesängen. Eine eingängige Melodie, die den "Temple of Love" zwar nicht einholt, aber die Sisters auch für größere Kreise hörbar macht.
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Who's been sleeping in my brain?
Auszüge aus: "Who's been sleeping in my brain?" von Judith Ammann - Mai 1985
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1987 erschien im Suhrkamp-Verlag das Buch "Who's been sleeping in my brain?" von Judith Ammann. Sie montierte Interviews aus der Zeit seit den frühen 80ern zu einem mehr oder weniger zusammenhängenden Text zusammen; Interviews mit verschiedensten Musikern, die damals den "Post-Punk" zugeordnet wurden. Neben Andrew Eldritch waren Musiker von (u.a.) Aztec Camera, Christian Death, DAF, Fad Gadget, The Fall, Lydia Lunch, Psychic TV, Residents, Simple Minds (!), Sonic Youth, Virgin Prunes und Suicide beteiligt. ISBN: 3-518-11219-8, DM 24,-
Hier folgen die Interviewfragmente, die Judith Ammann mit Andrew Eldritch führte und in das Buch montierte:
[...]
J: Ich möchte gerne etwas über dein Lied "Not Time To Cry" erfahren - ("no tome to be afraid of fears...")
Andrew Eldritch: Ich glaube ganz einfach, daß Weinen nichts bringt. Ich identifiziere mich mit dem Opfer genauso wie mit dem Tätern, und wenn ich jemanden weinen sehe, möchte ich ihm am liebsten noch eins drauf geben ... im übertragenen Sinne, meine ich.
J: Und wenn jemand glücklich ist, wenn jemand lacht?
Andrew Eldritch: Ich behaupte nicht, daß Glücklichsein, sondern daß überlegte Rache die Alternative ist. Obwohl es nicht ausgesprochen wird, ist die Alternative zum Weinen in dem von dir angesprochenen Lied, ganz einfach der Realität ins Ausge zu schauen und dann mit ihr fertig zu werden. Ich habe das geschrieben, weil ich mich mit dem Weinen nicht so gut auskenne, ich kann nicht weinen. Das habe ich mir schon sehr früh abgewöhnt.
J: Warum?
Andrew Eldritch: Mit Weinen kann man keine Schlachten, keine Kriege gewinnen. Es ist das Eingestehen von Schwäche.
J: In dem Lied heißt es auch: "Everything will be allright ...". Wenn ich so etwas höre, mutet es mir jedesmal etwas seltsam an.
Andrew Eldritch: Es ist eine sehr unsichere Stimme, die das sagt! Weißt du, es gibt Nächte, in denen ich noch schlafen kann und in denen ich weiß, daß die Stimmen, die ich höre, irgendwann vielleicht verstummen werden ... die Person in diesem Lied gibt sich wenigstens Mühe; obwohl sie unsicher ist, gibt sie sich Mühe. Und wahrscheinlich hat sie recht.
[...]
J: Bist Du zynisch?
Andrew Eldritch: Das muß man sein!
J: Warum?
Andrew Eldritch: Weil wir 1985 haben und die Mächte, denen sich Menschen wie ich sich ausgesetzt sehen, sehr stark sind. Die Welt ist einfach nicht dafür geschaffen, Leuten wie mir und denen, für die ich möglicherweise singe, zu helfen. Seit meiner Kindheit sahen wir zwei Generationen idealistischer Jugend, die sich erhoben haben, in den Kampf gezogen und vernichtet worden sind. Man muß beobachten, wie das Spiel gespielt wird, die Regeln lernen und sie verstehen, dann selber mitspielen und sich die Regeln gefügig machen. Man muß lernen, einen Guerilla-Krieg mittels der Kultur zu führen, was wesentlich mehr erfordert, als einfach die Klamotten auszuziehen und sich anzumalen oder Kampfanzüge zu tragen, halluzinogene Drogen zu nehmen, gegen die Atombombe Pullis zu stricken oder was weiß ich. Es gibt Leute, die diese verschiedenen Arten des Revoltierens ganz gut beherrschen. Aber für uns ist das nichts, und ich bin ihnen gegenüber sehr mißtrauisch. Ich glaube, diese Art der Rebellion erzeugt das Gefühl, versagt zu haben. Ich bin wirklich der Meinung, daß junge Menschen im Jahre 1985 klug genug sein sollten, nicht immer wieder dieselben Fehler zu machen. Ich glaube, im Grunde sind sie klüger. Aber leider würden die meisten Demagogen es wohl gerne sehen, wenn sie einer sonderbaren 1985er Abart des kulturellen Stellungskrieges frönten - was mich entsetzt, weil sie verlieren werden, und dem möchte ich nicht zuschauen. Sie sind zu mehr fähig.
J: Wer sind "sie"?
Andrew Eldritch: Die Leute, für die ich zu singen glaube, Leute, von denen ich allerdings nur eine undeutliche Vorstellung habe. Weißt du, als Band, der es nicht unbedingt um einen Platz in der Hitparade geht, schreibt und singt man einfach und betet zu Gott, daß es da draußen Leute gibt, die einigermaßen genauso denken, wie man selbst. Aber anstatt Parolen zu erfinden, mit denen sie dann antreten können, um sogleich wieder niedergemacht werden, versuchen wir einfach, Musik zu machen, die sie unterhält. Wir unterhalten eine sehr spezielle Art von Menschen und sprechen diejenigen an, die sich an der Peripherie aufhalten, und vielleicht gelingt es uns, sie für uns zu gewinnen, indem wir ihnen erklären, wie die Dinge aus unserer Sicht aussehen - in einer sehr indirekten Art und Weise, die aber verständlich wird, wenn si uns nur lange genug zuhören. Vielleicht machen wir's richtig, vielleicht machen wir's falsch, ich weiß es nicht, aber das ist für uns die einzige Art, wie wir dieses Spiel spielen können.
J: Du scheinst auch ein ziemlich mißtrauischer Mensch zu sein...?
Andrew Eldritch: Das ist ja auch nichts Schlechtes! Mißtrauen halte ich für kein negatives Wort. Wenn ich höre, jemand sei mißtrauisch, dann denke ich mir: Der ist aufgeweckt, deswegen ist er mißtrauisch. Ich finde, wenn jemand im 20. Jahrhundert nicht mißtrauisch ist, stimmt mit ihm etwas nicht. Ich glaube, mißtrauische Menschen haben einen ausgeprägteren Sinn für Werte, Dinge bedeuten ihnen mehr. Dasselbe gilt für Zyniker. Unser Zynismus und unser Mißtrauen entstanden nicht aus Wut oder Haß, sonder aus Enttäuschung über Dinge, mit denen wir nicht einverstanden sind. Was ich an Menschen im allgemeinen am meisten hasse - wenn ich sie nicht mag - ist, wenn sie nicht das leisten, was sie leisten könnten. Zwar bin ich nicht in der Lage zu wissen, was sie sich vorgenommen haben, aber wenn ich das vage Gefühl bekomme, daß sie es nicht wirklich zu erreichen versuchen, ärgert mich das mehr als alles andere.
[...]
J: Jemand, der auf der Bühne steht, ist notgedrungen eine Projektionsfläche, auf die die Leute ihre Träume und Sehnsüchte werfen, die wiederum mit dem Künstler selber wahrscheinlich ziemlich wenig zu tun haben...?
Andrew Eldritch: Irgendwie doch, weil wenn man sich wegnimmt, nichts mehr auf der Leinwand zurückbleibt. Jedenfalls nicht, wenn man das Spiel so spielt, wie ich das tue. Unser Lied "Posession" handelt davon. Da versuche ich einfach, eine Sicht des Verhältnisses von Autor, Sänger, Lied und Publikum aufzuzeigen. Wenn Sänger und Publikum weiterhin auf ihren Rollen, so wie sie normalerweise verstanden werden, beharren, bleibt nichts zurück. Dann ist beides in zwei Hälften aufgeteilt, alles ist geordnet und bedeutet absolut nichts.
J: Was willst du also projizieren?
Andrew Eldritch: Ich versuche einfach, eine verantwortungsbewußte Marionette für die Emotionen anderer zu sein; egal, was man versuch darzustellen, darauf läuft es immer hinaus. Das ist es, was das Publikum fordert und versteht, und man muß darauf eingehen, was gleichzeitig sehr schwierig ist; es kann einem die Seele zerstören. Manchmal empfindet man geradezu Verachtung. Mit diesem Lied ("Posession") wollte ich sagen: Bitte traut mir nicht zu sehr, weil das hier immer noch ich bin und nicht irgendetwas, was ihr in mir sehen wollt. Seid vorsichtig, denn wenn ihr mir noch mehr vertraut, gehe ich vielleicht darin auf und werde einfach das, was ihr in mir sehen wollt, und das wird niemandem helfen. Also gibt es dieses Gleichgewicht zwischen Verachtung und Verantwortung, welches jeder spürt, der da oben steh und ein Leid singt. Und genau darüber singen wir.
J: Du sagtest, du fühlst dich verantwortlich für das, was du darstellst. Was willst du für dein Publikum sein oder tun?
Andrew Eldritch: Es ist sehr schwer, ihm etwas Positives, woran dir speziell liegt, zu geben. Ich glaube, das einzige, was wir im Augenblick tun können, ist dafür zu sorgen, daß wir ihnen nichts Destruktives geben, was sie dann mit sich nehmen und als wahr oder richtig auffassen und mit dem sie sich oder andere Leute schaden.
[...]
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Spex August 1985
Funkenmariechen mit Hut in der Geisterbahn
SPEX - October (?) 1985
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Der Name der Gruppe ist sowieso einer der blödesten, die ich in der letzten Zeit gehört habe. Assoziationen von Geisterbahn bis Geisterwahn. Daß Bradfords Skelette aber eine der harmlosen, sogenannten Power-Popgruppen ist, war mir nicht erst seit dem letzten London-Gig im Juni klar.
Sehr engagiert in ihrer mystisch-verschwommenen Gestikulation zitterte Anne-"Funkemarie" auf der Bühne von Bassist zu Gitarrist, von Schlagzeuger zu Bassist, von Gitarrist zu Schlagzeuger usw. Ihr nettgepflegtes, leicht punkiges Äußeres und das Proll-Aussehen der Rest-Skelette - dabei sah der Bassist alles andere als unterernährt aus - ließen auf das typisch deutsche New-Wave-Styling-Verständnis einer NDW-Gruppe schließen.
Schräges Gekieckse, geplättet durch ein auffällig netten, unaufdringlichen Gesang, wobei die Stimme teilweise an Anja Huwe und Nena erinnert. Erinnerte? Am 15. September, d.h. um 1 Uhr, stand in Hamburgs Markthalle ein anderes Funkemariechen, beide Arme wild auf und niederschwenkend. Anne-Marie wurde anscheinend innerhalb kürzester Zeit ausgewechselt, wobei das Aussehen der neuen Sängerin ganz und gar nicht an Anne-Marie erinnert. Kurze, ungefärbt kackbraune mit Pomade geglättete Haare auf einem Kopf, dessen Gesicht sich mit dem von Liz Frazer vergleichen läßt; der Körper gekleidet in ein hübsches, buntes und langes Segeituchkleid, bestens geeignet für die nächste Beach-Party.
Halt! Da! Der nächste, neu eingenistete Fremdling an der Skelettfront: Eine Gitarre, bedient von Stan, schien der neu besetzten Band nicht mehr zu genügen. Der zweite Gitarrist, äußerlich das männliche Gegenstück zur Sängerin, unterstützte den schon sehr vielschichtigen Sound, in dem er die Parts übernahm, die Stan nur im Studio mit Hiife von Overdubs erzielen kann, d. h. zur Rhytmusgitarre synchron gepielte Soli, Akustikgitarre etc. Tia, alte Skelette verschwinden, neue übernehmen ihre Funktion. Und zwar nahtlos. Ich weiß nicht, ob das übernaupt jemand aus dem stumpfen Hamburger Nach-Mitternachtspublikum bemerkt hat, obwohl die Sängerin zu Beginn gestand: "I'm not Anne-Marie." Sie war es zwar nicht, aber ihre gesangliche Kompetenz unterschied ich nicht von der von Anne-Marie. Ansonsten bot die Gruppe u. a. alle ihre Hits, wie „She cries alone" und "Promised Land", d.h. durchweg schneller, energiegeladener Pop mit einer Portion rauher Ungeschliffenheit. Spielfreude, der Bierbauch des hektischen Bassisten wippte sichtbar hin und her und die Schnelligkeit des Songmaterials kippte sogar die scheinbar verirrten 500 Anwesenden aus der Schläfrigkeit, denn es war ja sogar für Hamburger sehr spät. Nachdem alles gespielt wurde, was zu spielen war und die erflehten Zugaben das Publikum immer mehr anheizten, kam die große Ernüchterung: Andrew Eldritch. Oh Scheiße, der langweilende Schwesternerschrecker, mit seinem Schlapphut, den er sich von Udo Lindenberg geborgt hat. Ich glaue, den trägt er, um (wie Lindenberg) sein fortgeschrittenen Haarausfall zu verstecken. Überhaupt hängt dieser Typ in HH rum wie ein böser Geist, komponiert angeblich neue Songs, erklatscht Zugaben von Guadalcanal Diary und spielt Stargast wo er kann, sogar beim Jazz Butcher-Live-Mitschnitt im Po. Zur endgültig letzten Zugabe, „Knocking on Heavens Door", versammelte man sich zu einer Session, bei der auch der Gitarrist der Schwestern mitwirkte. Hatte der Gig bis jetzt eher einen positiven Charakter, animierte die penetrant-nervige Präsenz von Andrews Gebrumme bei dieser sowieso überflüssigen Zugabe zum Flüchten.
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Spex November 1985
Prinz der Feuchtgebiete
SPEX - January 1988
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Wow! Sieh Andrew Eldritch, der in Formel Eins Produzentenqualitäten verdeutlicht: zwei Handflächen, die sich in den Himmel heben, ein Fluglotsenwinken und ein bedeutsames Kopfnicken - so geht der dümmste Popsong, den wir uns dieses Jahr ausgedacht haben. Die erstklassige Führung der Lieblingswaffe.
NEBEL (FALLEND), SEEDUNST (steigend). Sumpf, Küste, Flutland. "A German seaport town" (Mekons). Das gottverdammte Wasser, überall, unter über, neben einem, als ginge man durch die Mauer, (eine aus winzigen, wassergefüllten Blasen, die abperlen). Wenn es bloß vernünftig regnen konnte. So wie im Fernsehen, wenn die Sisters da auftreten, wo es richtig gießt, wie Delany & Bonnie vor den Ruinen der Nikolaikirche (noch heute plagt mich die Schuld am verregneten Sommer'81, den ich durch meine dauernden Regenwünsche verursacht hatte). Der Sex des Regens. Wetter überhaupt - mal so, mal so. Unten an der Ecke standen die Barrikaden in ihrer vollsten Blüte, und so wie du aussiehst, mußt du den Uniformierten mindestens die Papiere zeigen. Ich dachte, hier wäre Exil! Man erinnert die Nächte, wo du hier frei spazieren konntest, niemand würde dich unter Bart, Brille und Hut erkennen, wenn du still deine Drinks nimmst in der Bar gegenüber der Notapotheke. Ebenso still konntest du ins Kulturleben tauchen, schlechte Ami-Bands beklatschen ("Irgend jemand mußte es ja tun") oder auf die Buhne zum Jazz Butcher steigen und "Sympathy For The Devil" mitjohlen ("Das war geil, total geil! Absolut genial!"). Aber die guten alten Tage sind vorbei. Gesund und glattrasiert siehst du aus. Warum nicht etwas trainieren? Sorgfältig die Kleidung ablegen. Da wäre eine zerscheuerte, in einzelne Fäden aufgelöste graue Jeans über einer intakten schwarzen, oben silbriges Hemd und schwarze Jacke. So ziehen sich auch viele Punks an, aber es ist das Haar, das das Bild macht. Da ist eine ganz leichte Welle in der schwarzen Pracht, smart wie Rock'n'Roll, etwas übertrieben auf seinem sehnigen Körperbau.
Stupid
"The Sisters Of Mercy/They are not departed or gone" - L. Cohen. Dann aber wie die Elfen, er und Patricia von der Mittelperiode des Pistolenclubs) auf dem "Limited Edition"-Inlet der neuen LP. Schwebend durch das Feuchtgebiet, die Sümpfe. Nicht von Louisiana, nur Nordostengland. "Das Bild wurde nahe meines Geburtsortes aufgenommen. Bis vor einem Monat war ich da nie wieder gewesen. Es ist dort völlig flach und wasserbedeckt. Die meisten Songs von 'Floodland' sind hier in Hamburg entstanden, und als ich sie geschrieben hatte, wirkten sie auf mich wie vollgesogen mit Wasser. Das war ein Muster, und es hat mir etwas gesagt. Ich mußte einfach an den Ort zurück." Wo die gute Erziehung begann. Später auf der Schule mußte er entscheiden, ob Rugby oder Fechten seine Sportart werden sollte. Welch eine Entscheidung, in welch einer Schule, in welch einer Welt! Aber die Kleidung hängt jetzt über der Stuhllehne, und nun ebenso sorgfältig den weißen Fechtanzug anlegen, den dünnen Degen stehenlassen und mit dem kräftigen Säbel ein paar neue Attacken auf die Zimmertür proben. Die Führhand bestimmt dein Gleichgewicht. Säbelfechten ist die publikumswirksamste Disziplin ("Schneiden, nicht stechen"). Aber es ist der Sport des Gentleman - im Rock-Star-Dress posiert man nicht mit der Waffe, oder etwa? Genausowenig, wie man als Rock-Star die Adresse seines Fechtvereins verrät. Und wenn du eins nicht abkannst, dann sind das diese hergelaufenen Figuren ohne Schliff im Hirn, die dauernd wissen wollen, ob deine neue Platte schon vergoldet oder versilbert ist. Dann noch diese Ex-Kumpels, die alles nützliche mitmachen, aber den Kampf Mann gegen Mann, Waffe gegen Waffe, Gleichgewicht gegen Gleichgewicht scheuen und stattdessen lieber Palastrevolten inszenieren. Immerhin waren das einmal Andrew's Freunde, die langhaarigen Schwuchteln, die heute unter The Mission firmieren. Was sind sie gegen die unerschütterliche Treue und Loyalität eines Dr. Avalanche?
Eldritch: "Ich bin enttäuscht von ihnen. Jahrelang habe ich für diese Leute Dinge getan, die mir zuwider waren. Ich glaube kaum, daß sie sich des Preises bewußt sind, den ich zahlen mußte - mein persönliches Glück, meine Gesundheit. Ich war nie gerne auf Tour, und doch habe ich das alles mitgemacht. Nur weil die ausschließlich auf Tour funktionieren. Als die Band sich aufgelöst hatte, war ich körperlich völlig am Ende. Und damit nicht genug. Dann wollen sie einem auch noch alles andere wegnehmen, selbst jetzt sind sie da draußen mit meinem Soundman, meinen Beleuchtern und meinen Roadies. Ewig schon versuchen sie, meine Bandnamen zu benutzen. Ihre Anwälte schreiben ununterbrochen Briefe."
Stupid
SPEX: Anfangs hieß es, du hättest Craig (Adams, Bass) unbedingt weiter behalten wollen.
Eldritch: "Craig ist sicherlich der, den ich vermisse. Er ist ein guter Typ und guter Bassmann. Patricia ist gut, aber Craig ... Craig verließ die Band damals einmal in jeder Woche. Er war immer leicht frustriert. Das letzte Mal nahm ich ihn dann beim Wort und sagte ihm, daß Pat in den nächsten Tagen nach Leeds kommen würde ... Aber ich vermisse ihn. Er hat sich an den Schlammschlachten nie beteiligt. Die Anwälte schreiben, The Mission wollen dies, wollen das, aber es sind immer nur Husseys Anwälte; nie die von Craig." Ja, der impertinente Hussey mit seinen angemalten Fingernägeln; Ex-Dead Or Alive und von den zahllosen Ex-Sisters-Gitarristen nicht mal am längsten dabeigewesen. Schrieb aber die halbe erste LP mit. Sein Einfluß, sein Sinn für Plattheiten, war nicht unwichtig für die steigende Popularität der Sisters gewesen – die letzten Konzerte wirkten bald schon wie Depeche Mode mit Gitarren statt Tasten. Aber Sisters Of Mercy ohne Andrew Eldritch? Das ginge frühestens in zehn Jahren. Und Andrew ohne die alte Leeds-Crew? Ohne die Kumpels, die ihn damals der feinen Erziehung entfremdeten, und all die post-industrielle Nordengland-Folklore, die in langen Strophenliedern einmal davon berichten wird, wie er John Langfords Schlagzeug kaufte, diese schöne, mit Pril-Aufklebern verzierte Chrom-Kiste, nur um es schwarz überzupinseln ("He sees a red town and wants it painted black" - Mekons). Die berühmten frühen Singles, "Damage Done", "Body Electric", eine Ader davon würde einen Goldrausch auslösen. Hat er je daran gedacht, den alten Bandnamen ganz zu streichen?
Eldritch: "Wenn ich es noch so versucht hatte, den Namen wäre ich nicht losgeworden. Aber ich sah auch keinen Sinn darin, ihn zu wechseln. Ich schreibe die Songs noch immer auf die gleiche Weise und nehme sie auch genau so auf wie früher"
SPEX: Du hast auch schon als The Sisterhood Platten gemacht.
Eldritch: "Das ganze Hin und Her um diese Sistersmäßigen Namen wurde vor ein paar Jahren unerträglich. Die Sisterhood-LP war eine Waffe in diesem Privatkrieg. Deshalb habe ich sie 'Gift' genannt. Dadurch konnte ich verhindern, daß sie meinen Namen und meine Verlagsgelder stehlen. Trotzdem mag ich die Platte. Sie ist seltsam, aber gut."
SPEX: Sehr unterproduziert auch, aber es war dir ja auch aus Vertragsgründen untersagt, selbst zu singen. So wurde mit der Eröffnungsnummer "Jihad" vielleicht ein Hit verschenkt. Was hat dieser Text oder besser diese Zahl zu bedeuten?
Eldritch: "Two - Five - Zero - Zero - Zero? Das ist genau die Geldsumme, die ich ihnen weggeschnappt habe. Wir hatten alle zusammen diesen Verlags-Deal über 25.000 Pfund für das betreffende Jahr. Der Verlag hatte nun keinen Grund, beiden Parteien diese Summe auszuzahlen, und sagte sich, nun, wir können zwei Bands zum Preis von einer bekommen, unterschrieben haben sie ja alle, also teilen wir einfach alles auf. Für mich klang das nicht wie eine gute Idee. Ich dachte, wenn ich nun eine LP herausbringe, bevor die anderen fertig sind, dann habe ich ein Produkt geliefert und kassiere das Geld. Also bestellte ich Patricia ins Studio und sagte ihr, sing dies: two-five-zero-zero-zero. Zwei Monate hat es gedauert, bis The Mission gemerkt haben, was es mit diesem Text auf sich hatte. Zwei Monate! Und das Lustige ist, daß Wayne die Platte im 'Sounds' rezensiert hat (und hat ihr 1 Stern gegeben), ohne überhaupt was zu verstehen. Die Plattenfirma war natürlich auf seiner Seite. Die fanden es großartig, daß ich mich The Sisterhood nannte, während sie die Sisters Of Mercy noch in der Tasche zu haben glaubten. Also haben sie mir in keinster Weise geholfen. Ich mußte die Platte auf Merciful Release rausbringen, hatte dafür aber völlig freie Hand, und es gab niemanden mit der Chance, eine Meinung zu äußern." Unterbewertete Platte, ohne Zweifel. Auf jeden Fall weniger eine Solo-Obskurität als geistiger Vorläufer von "Floodland". Absolut linear und fast ohne Gitarren. "Floodland" ist dieses zur Oper gemacht. Ein echter Long Player mit symmetrischen Seiten. Zwei Vierergruppen, beide beginnen mit Steinman-Up-Beat, gefolgt von "Flood Pt. 1" bzw. "Flood Pt. 2", auch noch ambitioniert, aber schon zerrissen (Kreuzung PSG/VDGG), dann je ein übersimples Stuck in dem Stil, den jemand mal dark pop nannte, und zum Schluß die kurzen, versunkenen Abgänge. Die Gitarren bleiben im Hintergrund, fast schüchtern gegen die manipulierten, mauerstarken Gitarrensounds früherer Sisters-Platten. Für den Trend fehlt die typische Metal-Gitarre, gesampelt oder nicht, mit der heute jedermann Muskeln zeigt. Hier ist die Gitarre wohlerzogen und höflich, aber auch nicht dünner aufgetragen.
Eldritch: "Ich setze elektrische Gitarren ein, wenn ich ironisch sein will ... vielleicht nicht die cleverste Art ironisch zu sein. Hauptsächlich finde ich es schwer zu singen, wenn elektrische Gitarren den Sound dominieren. Keyboards sind da besser."
SPEX: Wer spielt die Gitarren auf "Floodland"?
Eldritch: "Ich selbst, ausgenommen das Solo auf 'This Corrosion', das Steinman einen seiner Freunde spielen ließ."
SPEX: Wie bist du ausgerechnet auf Steinman gekommen?
Eldritch: "Das findest du doch nicht wirklich seltsam, oder? Ist doch nur natürlich. Steinman ist der Mann für Übertreibungen. Es war die erste Sisters-Platte seit Jahren, also mußte etwas wirklich Besonderes her... Angerufen habe ich ihn schon vor drei Jahren, als die Band 'Gimme Gimme Gimme' im Repertoire hatte (den Abba-Song, ja. Flog aber ziemlich schnell wieder aus dem Programm, war zu schwer zu spielen), und ich erzählte ihm von dem Song und daß unsere Version absolut STUPID klingen mußte. Er war ganz meiner Meinung, hatte aber zuwenig Zeit. Dann löste sich die Band auf. Als ich 'This Corrosion' hatte, dachte ich sofort an ihn. Man muß allerdings sagen, daß er weder zur Komposition noch zum Arrangement etwas beigetragen hat. Was er tat? Er saß die meiste Zeit da und bestellte telefonisch Essen aus Delikatessen-Shops. Alle zehn Minuten. Dabei ist er schon so breit wie hoch."
Stupid
SPEX: Kann man schreiben, daß der Sound, den er kreiert, direkt aus dem Bauch kommt?
Eldritch: "Nun, jedesmal, wenn ich der Meinung war, dies sei nun wirk1ich zu extrem, widersprach er ganz entschieden und verlangte mehr. Das ist eine wichtige Funktion. Patricia hat eine ähnliche Funktion. Wenn ich etwas toll finde, sagt sie, nee, danke. Wenn ich etwas schlecht finde, ja, los."
SPEX: Hort Steinman privat noch irgendwelche Musik?
Eldritch: "Meistens englische Musik aus dem Mittelalter. Frühchristliche Musik ... Alles, was gesangsbetont ist. Einer der Grunde, warum er nur die Hälfte von 'Dominion' produziert hat, ist, daß er sich kaum für Schlagzeug, Bass, Gitarren interessiert. Er beschäftigt sich eben mit Background-Stimmen und Chören."
SPEX: Warum diese unglaublich vielen Versionen von "This Corrosion"?
Eldritch: "Eigentlich wollte ich die lange Version. Für mich mußte der Song so sein: Aber die Firma hatte Einwände, und so verbrachte ich ein Wochenende am Mischpult. Als mir dann die Drei-Minuten-Version am besten gefiel, dachte ich mir, besser noch eine mittlere zu machen. Der LP-Mix gleicht der langen Version, es wird nur früher geblendet. Die Cassetten-Version ist anders, weil Jim unbedingt auch noch einen Mix machen wollte."
SPEX: Wie findet du seinen Mix?
Eldritch: "Er konzentriert sich mehr auf die kleinen Versatzstücke. Einige instrumentale Elemente, die im Laufe des Songs auftauchen, scheinen mir einen verwirrenden Einfluß auf die Gesamtlinie des Stückes zu haben. Jim ist nicht der Ansicht, daß es überhaupt Songs mit einer Gesamtlinie gibt. Ihn interessieren nur die kleinen, plötzlichen Sachen. Ich sehe sie und fahre weiter. Er hält an und fährt hinterher." Ganz und gar so ist auch das Gefühl, wenn man einen Sisters-Text hört. Und man muß ihn hören, dazu ist er gemacht. Lesen kann man ihn kaum, jedenfalls nicht ohne ihn dabei als imaginären Chant zu hören. Als "Temple Of Love" erschien (1983), wirkte die Lyrik wie eine totale Bestandsaufnahme an Poprock-emotionalen Kraftausdrücken - Thunder, Rain, Gun, Lover, Shot, Pain, alle aufgereiht am Straßenrand, wo Andrew vorbeirauscht und das ganze mal kurz analytisch touchiert. Dann kratzt er noch ein "Long Live Gonzoid Amphetamine Filth" in die Auslaufrille. Vielleicht der beste Rocksong der Achtziger, vielleicht nur das beste Beispiel für Eldritch's drahtige Sprache. Der wahre Buzz Word Lyric. Vielleicht hat dieser Song Hussey dazu inspiriert, solche Songs zu schreiben, wie sie The Mission heute spielen Eldritch aber wollte Husseys Texte nicht singen, die dieser in der Fehleinschätzung produziert hatte, daß jeder diese gewisse STUPIDITY erreichen konnte, diese Allgemeingültigkeit, wenn er nur STUPIDE und allgemeingültig jeden Ernst und Background eliminiert, ohne Sinne für Essenzen kopiert und einrührt. Das ist der Unterschied zwischen "Wasteland" und "This Corrosion". Denn wie kann man jemandem diese Verrostung singen ("Better to burn out/Cause Rust Never Sleeps" - N. Young)
Eldritch: "Die Worte 'This Corrosion' sind im Text groß geschrieben, denn es ist der Titel eines fremden Songs. Ich habe diese fiktive Band erfunden, zwinge sie, all diese STUPIDITÄTEN zu singen."
SPEX: Was heißt hier eigentlich STUPID? Hey-now-hey-now-now? So STUPID wie Leather Nun? Die Verunklarung der Schwierigkeit? Oder die eigene Intelligenz in die Waagschale werfen, damit das STUPIDE plötzlich nicht stupider wirkt als die mit ewig gleicher Intelligenz verfolgte Wahrheit, die immer woanders/immer schon da ist, mithin das Allgemeingültige, das niemanden ausschließen kann?
Eldritch: "Darauf muß man sich beziehen heutzutage. Hier ist ein Song für Übertreibungen. So weit daß ich ganz woanders stehen und sagen kann: 'That’s STUPID! Great, but very STUPID!"
SPEX: Auch eine Art Pop Theorie.
Eldritch: "Es ist ja nicht so, daß die Theorie da ist, und man Songs da nach schreibt. Ich arbeite an Songs, nicht an Theorien. Aber wenn mich einer fragt, dann erdenke ich eine und sage, ja, es gibt eine, und hier ist sie."
Geschenkt, den Blödsinn will ja eh keiner mehr hören. Man benötigt ja erstmal Schamlosigkeit, um das, was cool ist, zu unterlaufen und allgemeingültig zu machen, somit einem Aspekt der Coolness - ZACK! - übers Maul fährt, um, unerzogen, ungebildet, nicht der herrschenden Sprache zugehörig, STUPID sein zu können. Als Künstler muß man dazu eine Vorstellung von STUPIDITY haben. Also handelt es sich um ein Ziel, nicht um eine Methode. Die Methode hieße unterlaufen. Wer das Ziel als Methode anwendet, dem ist egal, worüber er redet, solange er eine gewisse Form wahren und diesen und jenen Sinn andeuten kann. Dann kann jeder "schreiben". Zitat-Pop at its best.
Stupid!
Eldritch: "So machen es die meisten Leute. Wayne wurde sich zum schreiben mit einem Buch voller Songtitel zurückziehen, auswählen, welche am besten klingen, und daraus einen Song puzzeln. Es braucht nichts zu sagen, muß nur gut klingen. Mir macht das Angst. Aber Wayne ist bloß ein Gitarrist. Er verstand, wie die Sisters funktionierten, aber nicht warum. (...) Al sich jünger war, haben mich die Bands sehr beeindruckt. Und möglicherweise sind andere Leute sehr davon beeindruckt, was ich tue. Ich nehme sehr ernst, was das für ein Einfluß ist. Andere interessiert das nicht. Die wollen nur Drogen, Weiber schnelle Wagen. Nicht mal das Geld wollen sie."
SPEX: Würdest Du gern in Japan auftreten?
Eldritch: "Ich würde gerne mal hin. Obwohl es mich sehr nerven kann, wenn Leute die Band nicht aus denselben Gründen lieben, wie ich, was ich mir bei den Japanern sehr gut vorstellen könnte. Aber ich höre, man wird dort sehr gut behandelt."
SPEX: Wirst Du hier doch wohl auch. Schließlich hat kaum eine andere Band solch ein verschworenes, liebevoll-fanatisches Publikum wie die Sisters. Von jemandem im Sisters-T-Shirt kannst du persönlich doch alles fordern. Der hat doch zuhause eure ganze Cover-Kollektion eingerahmt an der Wand hängen. Außerdem seid ihr eine der zehn meistgebootlegten Bands aller Zeiten. Kaum eines eurer Konzerte hat nicht irgendein Fan in altes Plastik gekratzt.
Eldritch: "Die Bootlegs sehen oft sehr gut aus. Ich wünschte, ich hätte ein paar mehr. Auch wünschte ich, wir hätten bessere Gigs gespielt. Zu den Hüllen - die sind alle von mir, und ich habe da nicht viel Phantasie. Ich habe immer nur einen Entwurf..."
Cover als Serie, nicht als visuelle Spielwiese. Auch diese großzügige Selbstbeschränkung macht die Band zu einer verläßlichen Größe. So unverwechselbar wie die Hüllen auch die Musik. Ein Stil, alle Songs ähnlich. Da muß etwas dahinter sein, das alle äußeren Einflüsse übertönt. Was unterscheidet die Sisters so sehr von anderen Bands?
Eldritch: "Wir waren immer stolz auf das, was wir getan haben. Ich glaube, wir versuchen immer soviel zu geben, wie wir genommen haben. Die meisten Rockbands nehmen nur. Das ist total durchgehend, auch auf der Bühne. Wie die Bunnymen letzte Woche - standen da und spielten ihre Songs und wirkten vollkommen passiv. Standen da und nahmen, während die Sisters stehen und geben. Und das ohne all das Love-Me-Zeugs von The Cult und The Mission."
Ja, nicht so anmacherisch. Lieber verschlossen, so daß man kriechen muß, um zu verstehen (ohne Gewähr). Das ist die Sprache des Geheimen. Macht süchtig. Das Gesagte als Moment des Gesamten, immer zuwenig. Also auch anmacherisch, aber ohne die Stoßrichtung als klare Linie von hier nach dort, denn man weiß nicht, von wo sie kommt und wo sie hinfuhren soll.
Eldritch: "Ich halte es für wichtig niemanden überreden zu wollen. Ich möchte informieren, also finde ich jede Überredungskunst als störend. Ich spure die Verantwortung meiner Position und sage immer wieder: Hier, ich singe Rocksongs, ein ziemlich STUPIDER Beruf für jeden intelligenten Menschen; du kannst es nicht so nehmen als wäre ich dein Freund. Bin ich nämlich nicht. Nur ein Sänger. Da mußt du unterscheiden. Also wollten wir den Leuten die Sinne schärfen. Damit sie uns, die Rockband, erkennen."
"In Deutschland gibt es nicht so viele Barrieren zwischen den jungen Leuten. Jedermann scheint andere Sichtweisen besser zu verstehen. In England kann man auftreten und hat sein festes Publikum: entweder Punks oder Hippies oder was immer. Hier mischt sich das besser, was für die Sisters sehr gut war, denn in unserem Spiel gab es immer alle möglichen Referenzen. In England verstehen sie nicht so viel von Traditionen."
SPEX: Welche Traditionen meinst Du?
Eldritch: "Rolling Stones, Hot Chocolate, Gary Glitter, [zur Erinnerung: dieses Interview stammt aus dem Jahre 1988...] und alles andere, was Klasse war. Dolly Parton sowieso. Für mich gehören die alle zusammen. Als ich aufwuchs waren Rockbands wie Popbands, es gab keine Trennlinie. Also trenne ich auch Dolly nicht von den Stones."
SPEX: Viele eurer Fans kommen doch wohl eher aus dem Nachlaß von Joy Division (Sogar die Bandnamen sind irgendwie ähnlich).
Eldritch: "Auch sehr gut. Leeds liegt nah bei Manchester, und sie haben oft bei uns gespielt. Für gut ein Jahr waren sie die mit Abstand beste Band im Norden. Dann kamen noch die Bunnymen und Teardrop Explodes. Mit der Drumbox waren die Bunnymen damals richtig gut. Wir haben uns bei keiner anderen Band bedient, aber alle zusammen hatten wir wohl dieselbe Quelle. Es gibt da diesen Motorway, die M62, die Leeds, Manchester, Liverpool und Hull verbindet, und für ungefähr zwei bis drei Jahre hatte alle gute Musik Englands mit dieser M62 zu tun."
"Ich glaube, Joy Division hätte eine ähnliche Entwicklung wie die Sisters genommen, wenn Ian nicht gestorben wäre. Er war ein dynamischer Performer, ganz anders als der, den sie jetzt haben. Der sieht mir wie ein Wimp aus. So jemand kann nicht vor den Stones stehen. Aber Ian hätte das gekonnt. Er war ein Klasse-Tänzer."
Die Sisters gehören zum Norden. Sie waren niemals in London. Als "First & Last & Always" erschien, kam die LP auf Platz 14 der Charts, obwohl sie eher die siebtbestverkaufte Platte der Woche war. Aber die Zahlen wurden korrigiert, weil die meisten Käufer im Norden saßen. Ein regionales Phänomen voller interner Anspielungen also, Grüße an befreundete Bands, Nadelstiche für den Gegner? Andrew, die Mekons (auch aus Leeds) lieben Dich und widmeten Dir den Song "Prince Of Darkness". Wie hat Dir das gefallen?
Eldritch: "Du meinst den, wo ich über der Apotheke wohne? (Nein.) Ich glaube, ich weiß, was sie damit gemeint haben. Als ich mit der Musik anfing, waren sie die wichtigste Band in der Stadt. Heute sehe ich immer noch zu ihnen auf. Ich achte sie sehr, besonders Kevin, der mir damals sehr viel beigebracht hat."
SPEX: Und sie zitieren Dich folgendermaßen: "I've waited seven years/and I am a very patient man ...
Eldritch: "Das handelt von meinem Mädchen. Fand ich keine besonders gute Idee von ihnen. Ich hatte mich etwas anders ausgedrückt, und sie haben es verdreht. Aber selbst wenn das Zitat korrekt gewesen wäre, hätte es mir nicht gepaßt, denn ... ich habe immer noch Probleme wegen ihr. Sie war einer der Grunde, warum ich Leeds verlassen habe und nach Hamburg gegangen bin ... eine schmerzliche Sache. Ich habe Narben als Beweis. Echte Narben. Jemand wollte mir ein Auge nehmen. Sie ist eine Göttin, (never mess with godesses). Deswegen ist meine jetzige Freundin auf einem anderen Kontinent. Ich sehe sie zweimal im Jahr."
SPEX: Also ist Patricia nicht Deine neue Flamme?
Eldritch: "Nein! Obwohl es tiefer geht als die Musik. Sie ist eben meine Schwester. Sie ist zwar Kalifornierin, aber ich vertraue auf ihre Meinung. Eigentlich hasse ich Kalifornier, gleich nach den Franzosen. Aber sie nimmt das nicht persönlich. Selbst wenn ich mich über das Erdbeben freue (wo ihre Mutter Haus und Hof verlor) versteht sie mich."
Dafür und sicher auch, weil wir alle sie gerne sehen, durfte sie sogar mit auf das LP-Cover, obwohl der Bass auf der LP nicht selten per Taste gespielt zu sein scheint. Doch ob mit Patricia oder nicht, Live-Auftritte wird es erstmal nicht geben. "Not until the next L.P.", die im Geiste schon längst fertig ist. Der nächste Informationsschwall auf das immer noch nicht genug wache Bewußtsein der Sisters-Hörer die aus irgendeinem Grunde so gebaut zu sein scheinen, daß sie ihre Sisters-Platten eher als Futteral nutzen, um ihre Brillen darin aufzubewahren.
Der Sport des Gentleman
Und es ist ein 6.6 Pontiac TransAm, den Andrew als Lieblingswagen angibt, und mein Schädel summt von dem Gedanken, daß die Straße, auf der ich mich gerade von Eldritch wegbewege, mit ihren Puffleuchten und rasierten Weibern noch soviel rebellische Energie herzugeben scheint. Vielleicht die einzige rebellische Attitüde, die dich nicht wie ein unverbesserlicher Phantast oder Penner aussehen läßt. Und was könnte statt dessen sein? Sex im Regen und 'ne klotzige Karre dazu. Schon wieder abhauen? Frauen auf anderen Kontinenten? Drogen, Alk? Danke! Musik? Mein Gott! Gehört doch der Vergangenheit an. Oder gibt es irgendwo Gutes? Was nicht früher besser war oder sowieso langst aufgelöst? Lichtlein, auf mühsam zusammengekratzten Himmelsstürmer-Hügeln vielleicht, die ich für ihr beharrliches Schaufeln liebe oder hasse, aber die heben selten ab, sacken eher mitsamt ihrem Hügel wieder zurück ins Nichts. Das ist alles ganz gut und Geschmackssache, jeder hat sein Plätzchen, nur wenige können mehr. "Hey Now Hey Now Now" - so gut, die Erlösung des Jahres. Mal keine Zusammenfassung, nur einfach entwaffnend frech als Attacke aus dem Stand. Vorbildliche Haltung, erstklassige Führung der Lieblingswaffe.
Andrew, ich vermute, auf diesem Planeten gefällt Dir keine andere Band?
Eldritch: "Doch! James Ray & The Performance. Ich habe ihre zwei Maxis produziert. Bei denen läuft alles wunderbar langsam. Die kommen nicht auf die Idee, unbedingt in Pubs spielen zu müssen. Sie wirken sehr cool, sind aber jung genug. Als wir den Top-Of-The-Pops-Auftritt filmten waren sie die Jungs im Hintergrund mit Keyboards und so. Sie sind aus Newcastle. Von den Unmengen Demo-Bändern, die in zwei Jahren in meinem Merciful-Release-Büro eingingen, hat mir ihres als einziges gefallen ... Manchmal wäre ich wirklich gerne A&R-Mann für so eine Platten-Firma - ich verstehe, warum sie Bands erfinden müssen, denn da draußen ist nichts."
Text is taken from: www.poison-door.net pressearchiv
Flucht aus der Gruft
Musikexpress/Sounds - February 1988
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Sie galten als die Fürsten der Finsternis. Doch seit sich zwei Mitglieder mit The Mission verselbständigten, hat sich der Schleier gelüftet. Mit altem Namen und neuer Partnerin strebt Sisters-Gründer Andrew Eldritch ans Licht. In seiner neuen Heimat Hamburg erläuterte er ME/Sounds seine Erleuchtung.
Andrew Eldritch streicht sich die langen Haare aus dem knochigen 29jährigen Gesicht. Die dunkle Sonnenbrille macht seine britische Blässe noch weißer, es heißt, er habe die Gläser seit Jahren nicht abgenommen. Ein Nachtschattengewächs eben.
1980 hatte er gemeinsam mit dem Gitarristen Gary Marx (heute Ghost Dance) die Sisters Of Mercy gegründet, deren Underground-Gothic-Rock für viele bis heute die Bibel des modernen Lebens ist.
Sisters waren weniger eine Band, eher schon eine Lebenseinstellung. Trotzdem - Eldritch ist ein angenehmer Gesprächspartner, leise und ruhig im Tonfall, artig antwortet er, immer mit einer Prise trockenen englischen Humors. Keine Spur von Arroganz. Nur wenn ihm eine Frage nicht gefällt, wird seine Antwort schneidend knapp, zum Beispiel bei der Frage nach seiner Kindheit.
"Langweilig. Peinlich."
Schon als Kind hatte er nie eine Heimat, sein Vater zog für die Royal Air Force von Standort zu Standort: Jede Woche, es erschien mir wie jede Woche, mußten wir in eine andere Stadt umziehen. Ich hatte nie ein Zuhause. "
Auch sein Studium - Chinesisch, Französisch, Italienisch und Deutsch - führte nicht zur Ruhe, steigerte eher seinen Haß auf die banale Welt, letztendlich der entscheidende Kick, die Sisters zu gründen: "Rache! Rache gegen die Eltern, Freundinnen, gegen die ganze Welt. "
Eine Welt, in der nach dem Zusanmenbruch der Supergruppen außer Punk und Pop wenig möglich war. "Es waren schlechte Zeiten für die Musik, alle wollten in einer Cocktail-Band wie Kid Creole spielen. Alle tranken, nahmen Dope und Koks. Wir wollten etwas bewegen, was total auf Speed basiert. Einmal haben wir, obwohl nur für 15 Minuten Material da war, zweieinhalb Stunden gespielt. Frag nicht wie, es geht. Mit Speed."
Die großen Plattenfirmen wollten von der düsteren Speed-Musik lange nichts wissen, die Schwestern veröffentlichten die Werke auf ihrem eigenen Label Mercifui Release.
"Wir konnten niemanden finden, der unsere Platten herausbringt. Aber die Label-Arbeit hat Spaß gemacht, bis heute. Es ist genauso kreativ wie Komponieren und Produzieren."
Überhaupt arbeitet Eldritch lieberim Studio oder im Büro. Seine Live-Abneigung war denn nach fünf Schwesterjahren auch der Knackpunkt, der zum Split der Band führte.
"Bands gehen nun mal auseinander. Außerdem waren fünf Jahre eine lange Zeit. Natürlich gab es auch konkrete Gründe - die anderen wollten irgendwann meine neuen Lieder, wie "Torch" z.B., nicht mehr spielen. Craig und Wayne (beide jetzt The Mission) sagten, die Chorgesänge seien verrückt. Vor allem aber wollten sie dauernd auf Tour gehen, daheim langweilen sie sich zu Tode. Ich hasse es, unterwegs zusein. "
Im Proberaum trafen sich die Sisters ein letztes Mal, Craig und Wayne weigerten sich, "Torch" zu spielen. .Der Song hat etwas ausgefallene Akkardwechsel. Craig fand sie bescheuert. Er meinte: , Sowas spiele ich nicht, ich gehe nach Hause. ' Und da blieb er. "
Wayne und Craig gingen nach London, um ihre Songs zu verkauten, die Plattenmanager aber wollten immer nur Eldritch. Mit dem Verkaufsargument "Sisters Of Mercy" kamen sie auch nicht weiter: Eldritch verbot es ihnen per Anwalt.
Als es das abtrünnige Duo unter dem ähnlichen Namen "The Sisterhood" versuchte, war der Sänger wieder einmal schneller: ..Die beiden hatten schnell eine Tour als Vorband für The Cult organisiert. Aber ich habe binnen fünf Tagen die LP GIFT unter dem Namen "Sisterhood" eingespielt. Deshalb gehören mir jetzt auch diese Copyrights. "
Wie bei barmherzigen Schwestern geht es nicht gerade zu: das Verhältnis zwischen den Musikern ist bis heute alles andere als normal: ..ich spreche mit ihren Anwälten, die schicken mir dauernd dämliche Briefe. Wenn die beiden damit aurfhören, rede ich auch wieder mit ihnen. Einmal habe ich sie live gesehen - Es klang wie eine schlechte Kopie von Echo & The Bunnymen. "
Kein Wunder also. daß sich der Live-scheue Eldritch lieber in sein Studio verkriecht und produziert. So ist auch sein neues Albaum FLOODLAND entstanden: Gitarre und Keyboards spielt er selbst, den Baß bedient Patricia Morrison (Ex-Gun Club).
Vor allem die enge Zusammenarbeit mit der amerikanischen Bassistin ist Eldritch gut bekommen: "Sie ist für mich wie ein Turm der Kraft. Immer schon habe ich auf das Urteil von Frauen mehr gegeben, ich wünschte, es gäbe mehr Frauen, die in Bands mitspielen und auch als Toningenieur arbeiten.
Nach all den Jahren auf Tour. wo Frauen nur dazu da sind. um nach den Gigs durchs Bett gezogen zu werden, mußte ich unbedingt auch in dieser Hinsicht etwas Konstruktives tun. Das war schlimm - immer wieder vom Bett auf die Bühne und zurück ins Bett, am Schluß war die weibliche Hälfte des Publikums nur noch Viehfutter. "
Jetzt ist das alles anders, mit Patricia verbindet ihn ein freundschaftliches und kollegiales Verhältnis, nicht inehr: "Ich glaube, es ist ganz normal, daß man uns in der Öffentlichkeit als Paar sieht. Jeder glaubt, daß man Frauen nur deshalb in eine Band reinnimmt, weil man mehr von ihnen will, als nur Musik zu machen "
Die Sisters, zum kreativen Duo geschrumpft, sind auf dem Cover folglich nur noch durch Patricia und Andrew vertreten. Die Abmagerung hat dem Gruft-Bariton nicht geschadet - es gibt neue, kommerziellere Songs zu hören, vollmundig produziert von Jim Steinman (Meat Loaf). Nur der Schlagzeuger wirkt - wie immer - etwas mechanisch. "Er heißt Doktor Avalanche und ist mein ruhmreicher Drurncomputer."
Jim Steinman war es auch, der dem Single-Hit "This Corrosion" den nötigen Bombast-Mantel umhängte. Im Gegensatz zu den spärlicher instrumentierten Songs wie "1959" und "Flood l" wirkt die Single, als habe Eldritch jahrelang nur Klassik gehört. "Dieser Song ist total doof, aber genialdoof, genau das, was ich machen wollte. Man muß die Dummheit von Musik erkennen. Jim Steinman hat diese Dummheiten immer erkannt. ,This Corrosion' ist extrem dumm, aber nichtsdestotrotz wundervoll, genauso wie ,Bat Out Of Hell' von Meat Loaf."
Den größten Teil der Songs auf FLOODLAND hat Eldritch - ganz der Einzelkämpfer - aber selbst produziert. "Leider. Ich hatte einen Produzenten. aber den mußte ich feuern. Deswegen habe ich alles selber gemacht, das war sehr anstrengend. Irgendwie verliert man dabei außerdem den Überblick, den Abstand zu den Songs."
Nach Sisters Of Mercy klingt es aber allemal, wenn auch die Bandbreite der Songs großer geworden ist. Teilweise treten extreme Gegensätze auf: "Stimmt - aber so muß Musik sein. Und man hört doch, daß überall ein und die selbe Person dahinter steckt. Gegensätze sehe ich auf FLOODLAND nicht. ,This Corroslon' klingt wie ,Temple Of Love II', ,1959' klingt wie ,Afterhours Part 2.'. Ich sehe da keinen Bruch zu früher, keine wirklich neue Entwicklung. Ich finde, daß ich da weitergemacht habe, wo ich aufgehört habe. "
Freunde der Sisters werden weiterhin auf Konzerte der Oberschwester verzichten müssen. ..Ich werde auf keinen Fall live spielen", würgt Eldritch ab. der sich zur Zeit lieber in seine Hamburger Wohnung zwischen den Docks und der Reeperbahn zurückzieht. In fließendem Deutsch beendet Eldritch das Gespräch: "Hamburg ist der Ort. wo Leute wie ich auf die Straße gehen können und nicht für das angemacht werden, was sie tun. "
Text is taken from: www.poison-door.net pressearchiv
Die Wüste bebt!
Musikexpress/Sounds - May 1988
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Wer im Massenangebot der Videodips bestehen will, bucht besser gleich einen Trip in die Exotik. Die Sisters of Mercy hatten sich für ihre Single "Dominion" eine verlassene Wüstenstadt in Jordanien ausgesucht. ME/Sounds begleitete die Karawane.
Es ist sechs Uhr abends an Bord von Flug Nummer 114 der Royal Jordanian Airlines. Ein arabischer Geschäftsmann kauert auf dem Gang, im Blick die nackte Panik. Nicht aus Angst vor einem Flugzeugabstoß - nein, der zitternde Herr ist gerade der leicht dämonisch wirkenden Sisters Of Mercy-Bassistin Patricia Morrison begegnet.
"Als ich ein kleiner Junge war, hat mich meine Mutter immer vor einer Frau in Schwarz gewarnt", versucht er stammelnd zu erklären, warum er da wie angewurzelt vor Patricia hockt.
"Das bin ich", grinst sie böse. "Klasse, die werd' ich alle zu Tode erschrecken. "
Und das ist keine leere Drohung, schließlich machen die Sisters den weiten Weg bis ins Königreich Jordanien, um einer zusammengewürfelten Beduinen-Schar, vorbeikommenden Touristen und einem Hubschrauber-Kampfpiloten zu zeigen, wie man in der Wüste ein Pop-Video dreht.
Für "nur" 150.000 DM (also weniger als das letzte, in einem Londoner Studio gefilmte Sisters-Video) soll Tausende von Kilometern entfernt ein Clip gedreht werden, von dem zumindest die Plattenfirma tönt, das werde "das tollste Video aller Zeiten". Damit das hinhaut, hat die zuständige Filmfirma viereinhalb Monate darauf hingearbeitet, 15 Leute plus Equipment unter einen Hut zu bekommen und für zwei Tage in die Stadt Petra zu schicken, mitten in die jordanische Wüste.
Gerüchten zufolge handelt es sich bei Petra und seinen aus dem rosa Wüsten-Stein gehauenen Gebäuden um einen sagenumwobenen Ort, fast so etwas wie ein "Weltwunder". Nur liegt Jordanien dummerweise im Nahen Osten, wo bekanntlich überall um die Ecke ein Krieg lauert. Da müsse man sich allerdings überhaupt keine Sorgen machen, hatte die Plattenfirma versichert - der nächste Krieg sei mindestens eine Panzer-Tagesreise weit entfernt.
Darüber scheint sich auch niemand Gedanken zu machen - unser Duo hat ganz andere Sorgen. Je näher wir dahin kommen, desto merkwürdiger wird mir", erklärt Patricia im Flugzeug. "Wie die da unten ihre Frauen behandeln - igitt!"
Die andere Hälfte der Sisters, Fürst Eldritch, hat offenbar mehr Schiß vor den Vierbeinern. "Andrew hat Panik vor Pferden, und man muß reiten, um dahin zu kommen, wo wir drehen. Ich kann gar nicht erwarten, ihn runterfallen zu sehen."
Und noch ein kleines Problem: Nachdem sie das Video zur letzten Single "This Corrosion" in strömendem Regen gedreht haben, hat Andrew Eldritch beschlossen, daß es kein wirksameres Gegengift gebe, als sich diesmal ein paar Tage in brütender Wüsten-Hitze zu sonnen. Dummerweise hat es überm Jordan einen Wettersturz gegeben: Es schneit.
Am ersten Drehtag ist auch die lezte Schneeflocke weggetaut. Das Filmteam und die Band stehen zur absolut Rock'n' Roll-unmäßigen Uhrzeit von halb sechs morgens triefäugig in der Gegend herum und warten auf den Sonnenaufgang.
Zwei Tage lang werden die Sisters Leib und Leben riskieren, werden in Hubschrauber klettern, Felsen rauf und runter rennen, auf Pferde und Kamele steigen - und mit all diesem Aufwand wieder einmal neue Maßstäbe für ein Popvideo setzen.
Text is taken from: www.poison-door.net pressearchiv
Die Barmherzigen Schwestern am Rhein
Zillo - September 1990
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Für die meisten völlig unerwartet gab sich der Großmeister des New-Wave beim "Bizarre''-Festival '90 die Ehre und beglückte die gut 20.000 mit seiner Präsenz und das hungrige Journalistenvolk mit einer äußerst knappen Pressekonferenz. Andrew Eldritch, Chef der wohl ausreichend bekannten Sisters Of Mercy bat in das provisorisch hergerichtete Pressezelt im Backstage-Bereich der Loreley um sein neues Album anzukündigen, die neue Band vorzustellen und für weitere Fragen zur Verfügung zu stehen. Um es vorwegzunehmen, der Informationsgehalt seiner Statements -natürlich in gewohnter Eldritch-Manier - war fast gleich Null, Gönner nennen es geheimnisvoll, böse Zungen nennen es arrogant,in jedem Fall ist nur weniges zitatwürdig, wobei man allerdings auch die verwunderliche übergroße Zurückhaltung der "Frager" erwähnen muß.
Zu Beginn stellte Andrew die neue Formation vor, als da wären Tony James (ex-Sigue Sigue Sputnik) am Baß, der Hamburger Andreas Bruhn an der Gitarre, die "lebende" Legende Doc Avalanche (Name des Synthesizers) macht nach wie vor die Drums und Andrew, man glaubt es kaum, singt.
Das neue Album, dessen Titel er noch nicht verraten wollte, wird aller Voraussicht nach im Oktober erscheinen, eine Vorab-Single bereits im September, obwohl die Band noch bis Mitte August im Studio in Dänemark war.
Die Fragen nach dem Verbleib von Patricia Morrison beantwortete er, wie zu erwarten war, kurz und knapp: "Patricia ist unwiderruflich aus der Band ausgeschieden, letztes Jahr im Oktober. Patricia war in jeder Hinsicht gut; sie kann Baß spielen, sie hatte "lnput", sie war eine große moralische Stütze für viele Jahre. Sie war länger in der Band als jeder andere jemals war, eine sehr lange Zeit. Einige scheinen immer zu vergessen wie kurz einige andere Leute in der Band waren (Wayne?!). Sie hat nur ihren Job gemacht, das darf niemand vergessen." Zum neuen Album hüllte er sich in Schweigen, außer, daß er bemerkte, daß es wesentlich härter und gitarrenlastiger wird als bisher, es eventuell die ein oder andere Cover-Version enthalten wird und es ein sehr gutes wenn nicht gar das beste Sisters-Album wird.
Desweiteren gab er die Tourdaten, die schon im letzten Zillo standen, bekannt, bestätigte, daß auf der Tour Songs aus dem gesamten Repertoire gespielt werden, d.h. man kann auch mit alten "Raritäten" wie "Jolene", "Emma", etc. rechnen.
Zum Erstaunen aller erklomm er dann - nach reichlich langer Abstinenz - mal wieder eine Konzertbühne, um sich und seine Band dem völlig verdutzten Publikum zu präsentieren.
Soweit zu der Pressekonferenz, die auch in England großes Aufsehen und Anlaß zu Spekulationen gab - bei den Sisters Of Mercy ja nichts Neues.
Text is taken from: www.poison-door.net pressearchiv
...and the wind blows wild again...
Zillo-Spezial - 1990
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Andrew, Du sagtest dem "Melody Maker" Ende letzten Jahres, daß die Songs für das neue Album bereits fertig geschrieben seien, zu einem Zeitpunkt, als die Band noch gar nicht stand. Hat sich mit dem Wachsen der Band im Nachhinein etwas an den Stücken oder am Gesamtkonzept der LP etwas geändert?
Andrew Eldritch: "Ja, die Songs wurden ein bißchen geändert, nachdem die anderen dazukamen, es ist aber nicht so, daß wir Stücke komplett neu geschrieben haben. Die Texte, die Sounds und die Arrangements wurden umgeschrieben, als wir im Studio waren,"
Auf der Loreley war Tim Bricheno noch nicht mit dabei, offenbar ging das alles sehr schnell, wie kam der Kontakt zustande?
Tim Bricheno: "Ja, es ging alles recht schnell. Es stimmt ja schließlich auch nicht, daß ich bei The Mission festes Bandmitglied war, es war lediglich so, daß die live einen Ersatzgitarristen für Simon Hinkler brauchten, und ich zu der Zeit eben einspringen konnte. Aus der jetzigen Sisters-Besetzung kannte ich damals noch gar keinen."
Tony, inwiefern unterscheidet sich die Arbeit mit Sigue Sigue Sputnik von den Arbeiten mit Andrew?
Tony James: Andrew konstruiert seine Platten eigentlich in der gleichen Art und Weise, wie wir es mit SSS getan haben, in technischer Hinsicht gibt es da keine großen Unterschiede. Was die kreative Arbeit anbelangt, kann ich noch nicht viel sagen, da sämtliche Songs im Prinzip fertig waren, als ich zur Band kam.
Was für eine Atmosphäre herrschte während der Zeit im Studio, eher arbeitsam oder eher herzlich?
Andreas Bruhn: "Wir waren acht Monate lang Tag und Nacht in einem Studio in Dänemark, da entstand natürlich schnell eine sehr persönliche Atmosphäre, sehr gut zum arbeiten. Wir haben ja ständig da gelebt, das war mitten auf einem Feld, nichts drumherum, außer unseren kleinen Häuschen, eben alles ziemlich dänisch."
Das neue Album beinhaltet ja sowohl die harten Gitarren-Elemente des ersten Albums, als auch Teile des Bombast-Sounds von "Floodland". Gibt es hier einen grundsätzlichen Wandel?
Andrew: '"Floodland' war in gewisser Weise ein Seitensprung, es ging nicht in die Richtung, in die es hätte gehen sollen, es war kein Schritt nach vorn, eher zur Seite. 'Vision Thing' hingegen geht wieder in die gewohnte Richtung, auch wenn einige sagen, das Album klänge ungewöhnlich. Ich persönlich sehe keine großen Unterschiede zu den früheren Songs. Sämtliche Stücke sind eindeutig Sisters-Stücke. Allein die Tatsache, daß hier mehr Klaviere, mehr Keyboards und Gitarren zu hören sind, macht für mich keinen wesentlichen Unterschied.
Die neue LP knüpft eindeutig an die erste an, obwohl auch 'Floodland' eine Weiterentwicklung war, nur halt in eine andere Richtung. Daß meine Stimme diesmal bedeutend besser kommt, liegt einfach daran, daß wir zum erstenmal soviel Zeit und Geld investiert haben, speziell um die Stimme aufzunehmen."
An "Vision Thing" fällt auf, daß die Texte in gewisser Weise persönlicher, intimer geworden sind im Gegensatz zu den alten Texten, die immer recht abstrakt waren. Für die Musik gilt, daß sie kompakter, rockiger geworden ist, sie ist kraftvoll und energetisch, wo 'Floodland" streckenweise nur äußerst halbherzig daherkam. Gibt es dafür Gründe, sollte es vielleicht sogar ein bewußter Schritt weg vom Kult-Dasein werden?
Andrew: "Die neuen Texte sind tatsächlich etwas intimer und direkter als die früheren Texte, die zwar auch einen sehr persönlichen Background haben, aber doch etwas abstrakter verfaßt waren.
Ich finde die neuen Texte besser, vor allem die Balladen, sie sind emotionaler und vielschichtiger als sonst. Für die Platte haben wir genau diese rauhen Versionen gewählt, weil sie einfach die besten und aufregendsten sind. Von sämtlichen Songs existieren andere Versionen, sozusagen die Endversionen, die fertigen Abmischungen, die wir dann zum Teil eben doch nicht genommen haben, weil sie uns zu 'geschliffen' klangen.
Mit Kult hat das gar nichts zu tun, wir haben uns nicht hingesetzt und gesagt laß uns eine direktere, straightere Platte machen', wir haben uns lediglich das beste ausgesucht und sind sehr zufrieden damit."
Du lebst und arbeitest schon lange in Hamburg. Hast Du schon mal daran gedacht, nach "Marian" nochmal ein Stück in deutsch zu singen oder zu schreiben?
Andrew: "Nein, ich werde das wahrscheinlich nicht wiederholen, dieses Stück war für eine bestimmte Person. 'Marian' ist ein sehr spezielles Lied. es ist nicht wie die anderen Stücke. Dieses Lied wurde in zehn Minuten geschrieben, normalerweise brauche ich ein halbes Jahr für die Texte."
Nach "Floodland", insbesondere dem Charts-Erfolg von "This Corrosion", begann das Düster-lmage der Gruppe ein wenig zu bröckeln, was sich bei der neuen Platte sicherlich fortsetzen wird, da viele Fans etwas skeptisch sind. Machst Du Dir Gedanken darüber?
Andrew: "Sicher interessiert mich. was die Fans über uns denken, wie sie auf unser neues Material reagieren, aber es ist nicht das wichtigste und auch nicht ausschlaggebend für unsere Arbeit.
Wir geben ihnen, was sie wollen, ob sie es annehmen oder nicht, ob sie die Entwicklung mitmachen oder nicht, ist nicht unsere Sache. Ich glaube schon, daß 'Vision Thing' gerade den alten Fans gefallen wird. das Album ist hart, hat viele Gitarren und ist eigentlich das, was wir früher gemacht haben, nur besser.
Daß 'Floodland' vielen nicht gefallen würde, dachte ich mir, aber wenigstens 'This Corrosion' hätte ihnen gefallen müssen. Für mich ist es genau wie 'Temple Of Love', diese beiden Stücke gehören eigentlich zusammen,"
Wenn man von den Sinters Of Mercy spricht, ist man immer auf Andrew Eldritch fixiert. Er ist der einzige aus der ursprünglichen Band und derjenige, um dessen Person ein regelrechter Kult betrieben wird. Bist Du damit einverstanden, wird sich daran in Zukunft etwas ändern?
Andrew: "Manchmal bedrückt es mich. manchmal ist es wunderbar. Wir sind mittlerweile dabei, das zu ändern, indem wir zu Interviews und Fernsehauftritten komplett erscheinen, allerdings ohne den Doc., der ganz schön gewachsen ist, er besteht zur Zeit aus ziemlich vielen Boxen."
Die Sisters werden nächstes Jahr zehn Jahre alt. Bemerkenswert für eine Band, die sich vom Anfang bis heute allen Konventionen und Spielregeln des Musikbusiness widersetzt hat. Macht es Dich stolz, über so lange Zeit ein Ideal aufrechtzuerhalten, eine Band zu führen, erfolgreich und Maßstab für andere zu sein?
Andrew: "Ja, ich bin wirklich sehr stolz darauf, das alles erreicht zu haben und die Sisters zu dem gemacht zu haben, was sie heute sind. Es war über die meiste Zeit sehr harte Arbeit und kaum jemand da, der es mir leicht gemacht hat, streckenweise war es wirklich ein Kampf.
Viele Bands, die uns ähneln, die versucht haben, unseren Weg nachzugehen, sind kaputt gegangen, sie haben aufgegeben zu kämpfen. Das die Sisters gewonnen haben, macht mich stolz."
Du kennst die Musikszene, insbesondere die New Wave / Undergroundbewegung schon sehr lange. Hat sich in Deinen Augen irgend etwas entscheidend geändert?
Andrew: "Zu den Fans kann ich nicht viel sagen. Bei den Bands auf jeden Fall, der sogenannte Rock'n'Roll-Lifestyle ist aus der Mode gekommen, wir glauben ohnehin nicht daran. Alle Bands haben im Laufe der Jahre einen Wandel mitgemacht, du kannst eben nicht dein Leben lang Fernseher aus Hotelfenstern schmeißen, das macht eine Band auf Dauer nicht besser."
Man weiß, daß Du nicht gern live spielst. Wie kam es, daß Ihr trotzdem auf Tour geht?
Andrew: "Mein Leben ist bisher zwar sehr schön und gut, aber in gewisser Weise protektioniert, vieles ist zu einfach geworden. Ich liebe die Herausforderung und diese Konzerte werden sicherlich eine. Du mußt bedenken, wir spielen viele Konzerte und haben absichtlich große Hallen gemietet. Mein Leben barg einfach keine Risiken mehr. Im persönlichen Bereich stimmte vieles und selbst die Band war kein Risiko mehr.
Es hat auch nichts damit zu tun, daß wir irgend jemandem etwas beweisen müßten, es gibt nichts zu beweisen. Dieses Risiko war ja schließlich nicht von allein da. wir haben es ja freiwillig gewählt.
Wie die Live-Show aussehen wird. steht noch nicht fest, in jedem Fall werden wir aber auch alte Stücke spielen."
Wird diese Tour ein einmaliges Live-Comeback oder ist schon absehbar, daß ihr noch öfter zu sehen sein werdet?
Andrew: "Sehr wahrscheinlich werden wir Anfang nächsten Jahres noch einige Konzerte in England spielen. Generell glaube ich schon, daß es noch eine Menge von uns geben wird, weil wir uns vorgenommen haben, diese Tour gut zu machen und auch Spaß daran zu haben. Wir wollen die Tour so gestalten, daß die Band auf jeden Fall etwas davon hat, das ist uns sehr wichtig."
Verfolgst Du heute eigentlich noch, was Deine ehemaligen Weggefährten so unternehmen und zu Stande bringen?
Andrew: "Ich beobachte deren Aktivitäten nur noch durch die Presse, sozusagen von einem übergeordneten, politischen Standpunkt aus, d.h., was sie machen, wann. wer mit wem. etc..
Wie das am Ende klingt, interessiert mich nicht. Ich glaube, die anderen verkehren zeitweise noch miteinander, ich nur noch mit deren Anwälten."
Die genauen Umstände der Trennung der ursprünglichen Sisters Of Mercy sind nie so recht bekannt geworden, aber es dürfte wohl sicher sein, daß nicht nur die anderen Schuld daran hatten. Hast Du selbst auch Fehler gemacht? Würdest Du heute genauso handeln?
Andrew: "Einer der Hauptgründe dafür, daß die Band immer erreichte, was sie wollte, war, daß ich den anderen gegenüber ein 'complete bastard' war.
Wir waren immer unterschiedlicher Meinung über das, was die Band tun sollte, was das Beste sei. So sah ich mich gezwungen, mich durchzusetzen und die Meinungen der anderen zu ignorieren. Hätte ich das nicht getan, wäre aus den Sisters nie etwas geworden. Ich würde heute und jederzeit wieder so handeln, schließlich war das alles sehr gut geplant: die Band war gut und erfolgreich, wir konnten alle weitermachen, der Split kam zu einem Zeitpunkt, als es keinem von uns weh tat."
Nach der Trennung warst Du untergetaucht, niemand hörte etwas von Dir, niemand wußte, wo Du warst, es gab allerlei Gerüchte, es tauchten ominöse Fotos von Dir mit Vollbart auf und keiner konnte auch nur ahnen, was aus den Sisters werden würde. Was war damals los, sollten die Sisters sterben oder war klar, daß Du weitermachen würdest?
Andrew: "Ja, für mich war erst mal Schluß mit der Band, jedoch wollte ich in keinem Fall, daß der Name von jemand anderem benutzt wird. Als die anderen dann versuchten, ihn zu übernehmen, wurde mir klar. daß irgendeiner ihn nehmen muß, daraufhin wollte ich ihn zurück.
Ich kann nicht sagen, daß die Sisters für mich gestorben waren, aber sie waren etwas anderes. Es war ein Punkt erreicht, an dem ich es haßte, in einer Band zu sein. auf Tour zu sehen. Gitarren zu hören, ich haßte alles, was mit der Band zu tun hatte. Ich sah damals nur noch Gitarren, Konzertsäle und mich selbst. Vom künstlerischen Standpunkt aus war es eine sehr frustrierende Zeit. Ich wollte immer etwas völlig anderes machen, aber egal was wir taten, es war letztlich doch immer dasselbe, das kristallisierte sich gegen Ende innerhalb weniger Wochen heraus.
Es war eine Zeit. in der ich einfach gar nichts mehr tun wollte, ich war müde von alledem und hatte einfach nicht mehr die Möglichkeit, mich hinzusetzen und Nichts zu tun.
Das war der Punkt, an dem ich mir dachte, daß es das Beste sei, die Band aufzulösen. Die anderen wollten zwar weitermachen, aber mir blieb nichts übrig außer 'Stopp!' zu sagen.
Ich ging dann nach Hamburg, um mit alledem nichts mehr zu tun zu haben, zu vergessen und einen klaren Kopf zu kriegen, um etwas ganz anderes zu machen. Es hat eine ganze Zeit gedauert, bis ich meinen Kopf wieder hatte."
Jeder Mensch, jeder Musiker und jede Band verfolgt eine bestimmte Philosophie, ein Ideal. Haben sich Deine im Laufe der Sisters-lahre geändert, hast du noch welche?
Andrew: "Weder meine persönlichen Ideale, noch die meiner Band haben sich geändert. Mein Lebensideal besteht darin, jederzeit das tun zu können, was ich gerade will. Diese Gewißheit zu haben, ist eine ganz fantastische Sache. Ich weiß, daß das sehr vage ist. aber es reicht mir."
Was bedeuten Dir die Sisters heute? Sind sie nur noch ein Job, eine Geldquelle, oder sind sie mehr als das?
Andrew: "Die Sisters sind mir alles. Sie sind ein Teil meiner Arbeit, sie bestimmen mein Denken und mein Handeln, sie sind sozusagen mein Leben. Wenn ich wollte, könnte ich von heute auf morgen aufhören, aber dafür liebe ich die Sisters zu sehr."
Die Band genießt seit ihrem Bestehen ungeheuren Kultstatus, sie sind ein einziger Mythos. Belastet Dich das oder berührt es Dich gar nicht?
Andrew: "Ich spüre sehr wohl eine große Verantwortung dafür und überlege mir sehr gut, was ich wem gegenüber sage und tue.
Die Sisters sind glücklicherweise keine Band, die Flaggen hochhält, Slogans verbreitet und anderen sagt, was sie zu tun haben. Ob wir uns persönlich für oder gegen bestimmte Dinge engagieren ist eine andere Sache. Heutzutage tun die meisten das, um billig ihre Platte zu promoten, da muß man zwischen ehrlichem Anliegen und schlichter Werbung vorsichtig unterscheiden.
Ich bin mir nicht sicher, ob es gut für uns wäre, wenn wir uns beispielsweise an Benefiz-Aktionen beteiligen würden. Es gibt durchaus Leute, die ich für geeignet halte, auf Benefiz zu spielen, Jason Donovan zum Beispiel. Er spielt zu Leuten, die sich noch nicht ganz sicher sind, was sie über eine bestimmte Sache denken sollen, es sind halt Durchschnittsmusiker, die für ein Durchschnittspublikum spielen.
Bei uns ist es einfach so, daß unsere Musik für sich spricht, sie allein ist schon Standpunkt, Meinung und Kommentar genug. Wir haben es nicht nötig, unter der Flagge eines anderen zu spielen, selbst wenn wir übereinstimmen würden."
Es gibt mittlerweile unzählige Namen für Dich, angefangen beim "man in black" bis hin zum "König der Dunkelheit", d.h. Du bist auf ein festgefahrenes Image fixiert, das so kaum richtig sein kann. Willst Du das? Gleicht das Image Andrew Eldritch dem Menschen Andrew Eldritch?
Andrew: "Das dies tatsächlich so ist, liegt mittlerweile nicht mehr an der Band. Wenn wir beispielsweise nach Interviews für Fotos posieren, werden wir ständig vor schwarze Vorhänge gestellt. Wenn ich in England mit einem weißen Anzug in eine Fernsehshow komme, fragen mich die Leute eine Woche später, warum ich immer schwarz trage.
Das ist es, was Medien, Presse und Öffentlichkeit wollen, selbst wenn du ihnen etwas anderes gibst, wollen sie es nicht sehen.
Stell Dir vor, zu einem Interview neulich kam jemand mit den Worten herein 'Hi, prince of darkness'. Ich bin ohne Worte rausgegangen, kam nach fünf Minuten wieder und sie sagte wieder 'Hi, prince of darkness'. Da bin ich wieder gegangen, dann wird eben kein Interview gemacht.
Offenbar war diejenige nur gekommen, um den 'prince of darkness' zu sehen. Was kann ich dafür, wenn wir keinen haben.
Ein kleiner Teil von dem, der ich wirklich bin, ist der Öffentlichkeit sicherlich bekannt. Schließlich ist jede Platte, die ich mache, auch ein Ausdruck meiner Persönlichkeit. Es ist ja nicht so, daß ich draußen in eine Rolle schlüpfen muß. Nur wird andauernd ein bestimmtes Bild in mich hineinprojiziert."
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Hamburg calling
Musikexpress/Sounds - November 1990
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Seit drei Jahren ist die Hansestadt seine Heimat. Andrew Eidritch, einst Finstererfürst der Gruft, läßt an der Elbe die Leinen locker und fährt ein erstaunlich beschauiiches Leben. Untätig, so erfuhr ME/Sounds-Mitarbeiter Werner Theurich,
war er allerdings keineswegs...
Er spaziert derzeit öfter über die Reeperbahn als Achim Reichel und Udo Lindenberg zusummen, denn Hamburg ist seine zweite Heimat neben Leeds und seine große Liebe. Eine glückliche obendrein, denn hier schrieb Andrew Eldritch fast alls Songs für das langersehnte neue Sisters Of Mercy-Album VISION THING. Und er dementiert kraftig, daß er Hamburg den Rücken kehren wolle. Zwar packte Andrew, als wir uns zum Interview trafen, gerade sein ganzes Studio-Equipment zusammen, um in England zu arbeiten und mit den Proben für die kommende Tournee zu beginnen, aber der Elbmetropole bleibt er auch in Zukunft erhalten.
"Die Stadt ist einfach gut. Ich würde mich noch wohler fühlen, wenn es das Drogen-Problem nicht gäbe, und es wird immer schlimmer", erzählt Andrew. "Was in Amerika passiert, ist immer weit weg. Wenn sie jedoch vor deiner Haustür Heroin verkaufen, ist das viel bedrohlicher. Trotzdem ist Hamburg für mich eindeutig die beste Stadt. Du kannst herumlaufen, wie du willst, erstmal sind die Leute tolerant und warten ab. Auch wenn du, wie ich, eher ärmlich aussiehst. In München wäre das unmöglich. "
Also herrscht auch ein gutes Arbeitsklima an der Elbe?
",Die Ideen zu vielen Songs entstanden am Bar-Tresen, ich schreibe viele Songs direkt, wenn ich um die Häuser ziehe, meist notiere ich die ersten Textzeiln auf Taxi-Quittungen." Seine Augen, ausnahmsweise einmal nicht von dunklen Gläsern verhüllt, schauen ein wenig müde aus; es ist zehn Uhr abends. Normalerweise Schlafenszeit für ihn. "Ich bin eigentlich kein Nachtmensch, lege mich früh hin, stehe allerdings auch sehr früh auf, meist so gegen fünf oder sechs Uhr. Ist die beste Zeit, um in die Kneipen zu gehen. Die Touristen sind weg, alle anderen sind fertig, müde oder betrunken, aber ich bin frisch und kriege alles mit. Ich liebe das."
Ein Lebenswandel, der sich bestens auf die neue Sisters-Musik ausgewirkt hat, die nach der dreijährigen Pause, die dem letzten Album FLOODLAND folgte, heute frischer, ironischer und rockiger als früher klingt. Auch die Wahl seiner neuen Mitstreiter scheint richtig gewesen zu sein: Neben dem Bassisten Tony James (ehemals Sigue Sigue Sputnik und Generation X) sowie dem Drummer Tim Bricheno [Hä ???] verblüffte hierzulande besonders die Wahl des Gitarristen Andreas Bruhn, eines absoluten Newcomers aus der Hamburger Szene.
"Er ist mir im Schanzen vierte! über den Weg gelaufen. Ich war auf der Suche, und ein Freund machte mich auf Andreas aufmerksam, der hauptsächiich im Studio arbeitete, a!so nicht aus irgendeiner Band kommt. Er raucht nicht, trinkt nicht, spielt nur Gitarre. Und er war technisch so gut, daß er mir auf Anhieb gefiel. Er versucht nicht, Blues zu spielen, weil das für einen Mitteleuropäer von vornherein eine schwierige Angelegenheit ist. Er weiß, was er kann, und das macht er ausgezeichnet. Wenn wir ihm jetzt noch seine Vorliebe für David Sylvian austreiben können, wird er noch besier. "
Die Aufnahmen zu VISION THING jedenfalls sind durch Bruhns Gitarren-Kreissäge, die weniger nach David Sylvian als nach Steve Stevens klingt, schon deutlich geprägt. Wie kam Tony James zu der Ehre, Mit-Schwester zu werden?
"Tony und ich kennen uns seit vielen Jahren. Er war ja Mitbegründer von Billy Idols Band Generation X und seit dieser Zeit auf der britischen Szene bestens bekannt. Allerdings ist er mehr der typische Londoner als ich. Er braucht immer ein tragbares Telefon in seiner Nähe, solche Sachen. Aber sein Sigue Sigue Sputnik-Ding fand ich prima. Lausige Musik aber lustig. Vielleicht der letzte große Hype. Das heißt, die erste Single war eigentlich doch ganz gut..."
Warum habt ihr die LP ausgerechnet in Dänemark aufgenommen?
"Ganz einfach: Das Studio bot uns das, was wir brauchten, zu vernünftigen Preisen. Und man hat dort seine Ruhe. Nur Landschaft ringsumher, man kann da sehr gut arbeiten. Wir haben die Mixe dann zwar in Los Angeles machen lassen, aber die Basic Tracks stammen alle von dort."
Jim Stemman ha! aber trotzdem wieder mitproduziert?
"Ja, aber nur ,More', die erste Sing!e. Ein Stück, das er auch mitkomponiert hat. Sein Studio in Manhattan ist einfach so verdammt teuer, und er berechnet dir jede Zeile, die er verändert; für einfach alles zahst du. Ein Studio, das man nicht tageweise, sondern am besten pro Stunde mietet. Außerdem ist er, nun, sagen wir, eigenwillig. Wir kommen gut miteinander aus, aber ein ganzes Album mit Jim zu machen, das wäre etwas anderes. Es macht Spaß, mit ihm zu arbeiten. Er ist unheimlich intelligent, wir sind sehr gut befreundet, aber er drückt allen Sachen seinen unmißveständlichen Stempel auf."
Wenn man dich kennt, möchte man vermuten, daß der Titel VISION THING leicht ironisch gemeint ist.
Andrew Eldritch, meist mit unbewegtem Gesicht und emotionslos in seinen Äußerunngen, zuckt, die Andeutung eines Lächelns, mit den Mundwinkeln. "Natürlich ist der Titel des Albums ironisch. Eine kleine politische Anspielung: 'Vlsion' war während seines Wahlkampfes ein Lieblingswort von George Bush. Und ich muß zugeben, daß ich am Beispie! die Vision des vereinigten Deutschland ein bißchen beunruhigend finde. Nicht, daß ich jemals Maggie Thatchers Ansichten geteilt habe. Ich verstehe meistens ohnehin nicht, was in lhren Kopf vorgeht. Selbst wenn sie mal recht hat, hat sie bestimmt aus den falschen Gründen recht. Wir brauchen also neue Visionen, und das habe ich mit VISION THING eben kommentiert. "
Natürlich sind Andrews Kommentare eher persönlich und ganz durch seine (dunkle) Brille gesehen, und er hat berechtigte Befürchtungen, daß der Titelsong des Albums wegen ausgiebigen Gebrauchs diverser Vier-Buchstaben-Wörter zumindest in englischsprachigen Ländern einige Radio-Probleme haben wird. Doch sein Image als verschlossener Finsterling will Andrew Eldritch nicht gelten lassen. "Bis nach Jugoslawien werde ich als, König der Schwarzen Magie' oder sowas Ähnliches bezeichnet. Stand dort jedenfalls in der Zeitung. Alles Blödsinn, mit diesen obskuren Dingen habe ich wenig am Hut. Ich weiß, daß vieie aus dieser Szene auf die Sisters-Musik abfahren, aber ich habe, wenn ich unsere Songs schrieb, nie besondere Gruppen im Auge gehabt. "
Eine Gruppe, die er mit Sicherheit während der vergangenen Jahre im Auge behalten hat, dürfte The Mission sein. Unter Leitung von Wayne Hussey, mit dem Andrew Eldritch wegen verschiedener Copyright-Geschichten immer noch im juristischen Clinch liegt, hatten The Mission nach Kräften die Sisters-lose Zeit gefüllt. Und Andrew konnte sich freuen, denn die Missionäre schürten ständig die
Neugierde, was denn wohl der alte Sisters-Boß triebe. "Die paar Jahre waren prima, ich habe fast nichts gemacht, aber man redete über mich und die Sisters. Aber nun ist es an der Zeit, die Dinge wieder selbst in die Hand zu nehmen."
Andrew Eldritch, den man in Hamburg häufig bei Konzerten sah und der dabei ausgesprochen ausgeglichen und gutgelaunt wirkte, hielt sich auf dem Laufenden, vermied jeglichen Streß und plante in aller Ruhe seine Projekte. Dazu gehört auch, daß er mit seiner neuen Band weder auf Tour gehen will. Bei einer Pressekonferenz auf der Loreley anläßlich des "Some Bizarre"-Festivals wurde die Neuigkeit unter die Journalisten-Schar gebracht, die anschließend allerdings sofort in das bei deutschen Pressekonferenzen übliche ergriffene Schweigen verfiel. "Deshalb konnte man hinterher auch lesen, ich sei einsilbig gewesen", erzählt Andrew. "Wenn mich niemand fragt, kriegt auch keiner eine Antwort. '
Keine Nervosität, nach so langer Pause wieder auf der Live-Bühne zu stehen?
"Und wie! Ich hatte immer schreckliches Lampenfieber, aber dazu gibt es schließlich dunkle Sonnenbrillen. Da merkt keiner, wie ich vor Angst mit den Augen rolle. Und ich sehe auch weniger von den Publikumsreaktionen, was vielleicht manchmal auch ganz gut ist. "
Wird die neue Show weder eine düstere, schwarze Angelegenheit?
"Sagen wir: schwärzlich. Nein, im Ernst, Silber und grau, ein bißchen anders als früher, als wir nie eine spezielle Produktion, eine eigene Bühne hatten. Da war schwarz eben praktisch. Diesmal wird's ein bißchen abwechslungsreicher. Wart's ab."
Kein Zweifel, die kommende Sisters-Tournee wird wieder volle Säle bringen, denn besondere in Deutschland haben sie eine eingeschworene Gemeinde, die bei jeder Tour die Hallen füllt. FLOODLAND bescherte ihnen sogar einen ansehnlichen Charts-Erfolg, der die Sisters ein wenig aus dem Underground an die Pop-Oberfläche spülte. Eldritchs Lieblingssong vom neuen Album ist bezeichnendeweise die Ballade "I Was Wrong". Alte Sisters-Freaks könnten daraus womöglich eine ungewohnte Milde ablesen, denn derart sanfte Pianio-Klänge kannte man bisher von den Schwestern kaum.
"Keine Angst, bis auf wenige Ausnahmen sind unsere neuen Songs härter als früher. Wenn ich die vergangenen Jahre ständig in irgendwelchen Studios oder auf Tourneen zugebracht hätte, wäre ich kaum in der Lage gewesen, richtige Songs zu schreiben. "
Da zieht er lieber durch die Straßen und Kneipen, frühstückt bei Sonnenaufgang am Hafen und liest den "Spiegel"; ,Meine absolute Lieblingszeitschrift, sehr unterhaltsam, vielleicht die beste Zeitschrift der Welt, soweit ich das beurteilen kann..."
Auch hierbei erneut ein leichtes (ironisches?) Zucken um die Mundwinkel, kurz bevor der Sonnenbrillen-Schutzschild wieder heruntergeklappt wird. Jetzt müssen wir erstmal was essen. Eldritch liebt Fisch. Auch dafür ist Hamburg nicht der schlechteste Ort.
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Vision Thing
Musikexpress/Sounds - November 1990
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Drei Jahre nach FLOODLAND präsentiert Andrew Eldritch mit VISION THING ein neues Sisters-Album, das alle Gruft-Spinnweben mit knallharten Rock-Riffs hinwegfegt. Die schöne Patricia Morrissey [ein schöööner Schnitzer ;-)] hat er zwar in die Wüste geschickt, doch dafür zupft Tony James (ex-Generation X, Sigue Sigue Sputnik) einen ebenso trockenen Baß, und aus Hamburgs Nachwuchsszene rekrutierte Andrew den Gitarristen Andreas Bruhn, der forsch und knarzig schon im Opener ,Vision Thing' den unerbittlich rotierenden Steve-Stevens-Groove durch die Hallen peitscht. "More", einen der besten Songs, schrieb Andrew zusammen mit Jim Steinman, und entsprechend chorgesättigt und pathetisch geriet dieses Kabinettstück eben, das noch am ehesten alte Sisters-Zeiten wachruft. Ansonsten regiert der Rock: 'Dr. Jeep', 'Detonation Boulevard' oder das hypnotisch faszinierende "Ribbons" - mit glänzend konzipiertem Spannungsbogen und genial verschweißten Keyboard/Gitarren-Sounds - explodieren vor Kraft. Daneben gelingen Andrew
jedoch auch sanft zynische Pretiosen wie 'I Was Wrong' - sogar mit Perl-Piano bleiben die Sisters brillant böse.
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Kleiner Mann in Hollywood
Szene Hamburg - November 1990
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Für Andreas Bruhn aus Hamburg geht ein Traum in Erfüllung : Er darf bei den Sisters Of Mercy Gitarre spielen. Vom 16. bis zum 18. November tritt er mit seinen neben Arbeitskollegen im Docks aus dem Trockeneisnebel, um das neue Album "Vision Thing" vorzustellen.
Mario W. aus Werdau, Ostdeutschland, war verzweifelt: Was ist bloß mit der Gruppe Sisters Of Mercy los? Gibt es die überhaupt noch?" schrieb er im August besorgt an "Bravo" . Die Spezialisten des Trendblattes konnten ihn beruhigen: Nachdem Sisters-Oberhaupt Andrew Eldritch vor zwei Jahren in dichte Trockeneis-Nebelschwaden abgetaucht war, sei er jetzt bereit, mit neuer Gruppe und Platte ans Tageslicht zurückzukehren.
"Andreas Bruhn ist den Sisters Of Mercy beigetreten. Andreas Bruhn spielt E-Gitarre. Tony James ist den Sisters Of Mercy beigetreten. Tony James spielt Baß" Diese knappe Mitteilung erhielten englische Musikredaktionen bereits Anfang des Jahres. Doch mehr erfuhren sie nicht. Neugierige Briten fanden immerhin heraus, daß Bruhn aus Hamburg stammen solle.
Nach dem Abgang von Bassistin Patricia Morrison hatten Eldritch und seine folgsame Rhythmusmaschine Dr. Avalanche insgesamt drei Neulinge angeworben: Tony James, der mit dem frühen Billy Idol bei Generation X gelärmt und dann Medien und Plattenfirmen mit Sigue Sigue Sputnik verarscht hatte; Tim Bricheno, der seine Gitarre bei den Grufthippies All About Eve erklingen ließ; und Andreas Bruhn, der gerade Abitur und Ersatzdienst hinter sich hat. Es stimmt also: Der 22jahrige Hamburger Andreas Bruhn ist neuer Gitarrist der Sisters Of Mercy.
Andreas Bruhn ist das perfekte Ebenbild eines Teutonenrockers: groß, blond und breit. Doch wenn er erzählt, geht die Begeisterung mit ihm durch, denn deutsche Musiker haben im internationalen Pop-Geschäft normalerweise nichts zu melden. Nur wenige Gruppen, wie die Wimp-Bands House Of Love und Wedding Present, leisten sich einen Germanen. Der Blondschopf ist gerne Popstar. Das sieht man ihm an.
Bruhn scheint vom Himmel gefallen zu sein. Niemals hat er im hiesigen Untergrund gewütet oder Platten auf dubiosen Kleinstlabels veröffentlicht. Ganz allein übte er seit seinem sechsten Lebensjahr das Gitarrenspiel. Das tat er immerhin so geschickt, daß er als Studiomusiker bei diversen Projekten mitwirkte. "Ziemlich peinliche Sachen", flüstert er errötend und will damit nicht weiter behelligt werden. Dann aber tönt er selbstbewußt: "Ich war auf der Jagd nach einem Plattenvertrag, aber alles, was da kam, war zu schlapp!" Bis Andrew Eldritch kam.
"Andrew war auf der Jagd nach einem Gitarristen. Mich hat dann jemand angerufen und gebeten, ein Demotape vorbeizuschicken", berichtet er stolz. "Das habe ich gemacht. Daraufhin rief Andrew mich an." Eldritch, der neben ihm sitzt, wirft höhnisch ein: "Das Tape war absolut grauenhaft." Versöhnlich fügt er jedoch hinzu: "Technisch gesehen, war es perfekt. Deshalb habe ich zugegriffen."
Andrew Eldritch spricht ungern. Seine Sätze sind kurz und präzis. Er hat in Oxford studiert, schätzt den "Spiegel" und die hohe Kunst des Fechtens. Franzosen dagegen haßt er. Er fuhrt damit eine englische Tradition fort, die ihren Ursprung im Jahre 500 hat. Das Ergebnis: Keine Platten für Frankreich, keine Konzerte, keine Interviews. Gar nichts! Seit gut sieben Jahren residiert Eldritch in der Nahe der Reeperbahn. Er schwört auf die hiesigen Zigarettenautomaten und die Reserviertheit der Einheimischen. Nun möchte er umziehen. "Ich bleibe in Hamburg, will aber unbedingt weg von St. Pauli. Zum einen werden meine Lieblingsplatze zunehmend von Yuppies verpestet, zum anderen ist mir der drastisch angestiegene Drogenhandel zuwider."
Als Schutzheiliger unkontrollierbarer Grufihorden lebt er in ständiger Gefahr, auf offener Straße von Fans gestellt zu werden. "Klar, man erkennt mich, aber ich werde nie bedrängt" , behauptet er. "Oft hängen sie bei mir im Treppenhaus rum oder besuchen mich . Sie sagen, was sie mir zu sagen haben, und gehen dann wieder. Das ist in Ordnung. Solange ich ihnen nicht mein Leben erklären und sie durchfüttern muß, finde ich es sogar ganz nett."
Eldritch hält nichts von Diskotheken und mag keine Konzerte. Nur für den Massakerrock von Motörhead machte er eine Ausnahme und schlich sich anläßlich ihres letzten Hamburger Gefechts unbemerkt ins Docks. Da er sich abends sonst gern herumtreibt, zog er mit Bruhn einige Nachte lang durch trübe Reeperbahn-Gassen. Sie versackten gemeinsam, verstanden sich blendend und kamen schnell überein, es miteinander zu versuchen. Bruhn, der vorgibt, die Sisters immer gemocht zu haben (er lobt besonders den Gesang), freut sich mächtig, jetzt Mitglied der Band zu sein. "Für einen kleinen Deutschen wie mich ist das natürlich wie Hollywood" , jauchzt er und läßt dabei beglückt die Pupillen rollen.
Seit sich rumgesprochen hat, daß Bruhn bei einer bekannten Band spielt, hat sich die Zahl seiner Freunde und Förderer auf wundersame Weise erhöht. Bemerkenswert sei, so der Gitarrist, wie viele alte Schulkameraden, mit denen der Kontakt abgebrochen war, auf einmal wieder anrufen, um hallo zu sagen. "Manche wollen ganz komische Sachen" , stöhnt er. "Jetzt erkenne ich, wer ein Freund und wer kein Freund ist. Die Freunde sind so wie immer, aber die anderen benehmen sich ziemlich merkwürdig." Väterlich rät Eldritch zur Geheimnummer.
Die Sisters Of Mercy werden Mitte November drei Tage lang Kunstnebelberge durchs ausverkaufte Docks blasen und schwarzgekleidete Jammergestalten zu bizarren Ekstasetänzen anregen. Bruhn ist voller Vorfreude. "Das ist echt wie Weihnachten für mich", jubelt er. "Doch so etwas wird sich nie wiederholen", ergänzt Eldritch. "Das ist so anstrengend, daß es eine einmalige Sache bleiben muß. Aber wir hatten keine Lust, in der Alsterdorfer Sporthalle oder im CCH zu spielen. Im Docks ist ein Auftritt viel intensiver."
Die übrigen Konzerte in Deutschland finden ausschließlich in ausverkauften Großhallen statt. Nur die ehemalige DDR guckt in die Röhre, da die Plattenfirma herausfand, daß die Leute dort zu 80 Prozent auf Schlager stehen. Beim Wort "Schlager" schüttelt sich Eldritch vor Entsetzen: "Das ist wie Joe Cocker ohne Hirn!" Nach Abschluß der Deutschlandtournee zieht die Band weiter durch Europa. Für das nächste Jahr ist dann eine Welttournee geplant - vorausgesetzt, Eldritch hat nicht vorher die Nase voll. Er haßt Konzerte wie die Pest.
Auf Hamburger Flohmärkten werden Fans der Gruppe vermutlich schon wenige Wochen nach den ersten Auftritten Bootlegs mit illegalen Live-Mitschnitten für teuer Geld erwerben können. Die Plattenfirma verkündete sogar, die Sisters seien ihre meistgebootlegte Band. Eldritch findet das schmeichelhaft. Er liebt vor allem die Cover. "Ich habe sie eine Zeitlang gesammelt, aber dann wurde es mir zu teuer" Leider, so bedauert er, sei die Klangqualität meistens unerträglich. "Ich mag nicht, wenn die Raubdrucker nur absahnen wollen. Deshalb versuche ich, meine Plattenfirma zu bewegen, etwas dagegen zu unternehmen. Ich weiß genau, wer dahinter steckt, aber ich habe keine Zeit, mich darum zu kümmern "
In diesem Jahr war Eldritch wie alle anderen Mitglieder der Band erst zwei Wochen zu Hause. In Dänemark nahmen die Musiker das neue Album auf, in New York mischten sie es anschließend ab. Bruhn erschöpft: "Seit Januar waren wir durchgehend im Studio. Das ist ziemlich stressig. Wir haben endlos viele Gitarrenspuren aufgenommen. Wenn es nicht genau saß, spielte ich erneut." Eldritch unterbricht: "Das Problem von Andreas ist, daß er sofort perfekt spielt. Aber perfekt ist oft nicht groovy genug " "Ich bin recht fingerfertig" , attestiert Bruhn, "aber ich mußte mich auf die Band erst einmal einstellen . Das führte manchmal zu Unstimmigkeiten " Die Tour im nächsten Jahr, das weiß er, wird keine Erholungsreise. "Zum Glück habe ich keine Freundin. Überhaupt ist mein Sozialleben total zusammengebrochen "
Auf die dreiste Frage nach seinen momentanen Einkünften reagiert Bruhn ungehalten, gesteht aber, recht gut zu verdienen. Die zu erwartenden hohen Verkaufszahlen für das neue Album "Vision Thing" , das ursprünglich "Left On Mission And Revenge" [Anm.: BLÖDSINN! Das war der Arbeitstitel für ein Nachfolgealbum von "First & Last & Always"] heißen und nur Auto-Songs enthalten sollte, durften ihm zusätzlich die Taschen füllen. Im Gegensatz zum Vorgänger "Floodland" wurde bei "Vision Thing" auf Electrobombast fast völlig verzichtet. Statt dessen dominieren krachende Gitarren. Nur die von Jim Steinman produzierte Single „More" erinnert an Sakrales aus vergangenen Tagen.
Bassist Tony James und Gitarrist Tim Bricheno haben nicht viel zu melden. Vermutlich wird die nächste LP der Sisters Of Mercy in vier Jahren mit komplett neuer Band erscheinen. Bruhn sieht dem gefaßt entgegen: "Wir sind alle Egoisten. Vielleicht sind wir noch zehn Minuten zusammen, vielleicht auch zehn Jahre. Egal, ich kann jederzeit etwas anderes machen."
Text is taken from: www.poison-door.net pressearchiv
"WIR HABEN KLASSE UND INTELLIGENZ!"
Prinz Hamburg - November 1990
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Die Düster-Rocker sind wieder da. Neue Musiker und das aufregende Album "Vision Thing" versprechen eine interessante Live-Show der Band - allen voran natürlich das egozentrische Großmaul Andrew Eldritch.
PRINZ: Andrew, du hast mit Tony James (Ex-Generation-X und Sigue Sigue Sputnik, Tim Bricheno (All About Eve) und Andreas Bruhn drei neue Musiker in die Band geholt. Was ist aus der Beziehung zu deiner ehemaligen Partnerin Patricia Morrison geworden?
Andrew: Ich fürchte, da mußt du ihren Anwalt fragen.
PRINZ: Hat der große Erfolg eurer 87er Hit-Single "This Corrosion" die Arbeit am neuen Album beeinflußt? Über weite Strecken klingt es ja wie eine gelungene Fortsetzung . . .
Andrew: Das hat uns auf alle Falle sicherer gemacht, auf dieser Ebene weiter zu arbeiten. Die neue LP zeigt das. Sie ist hart und arrogant.
PRINZ: Sie explodiert ja gleich im ersten Stuck in eine Form von Hysterie, die sich bis zum Ende durchzieht.
Andrew: Es gibt aber auch viele schmerzhafte Momente auf der Platte. Ganz unerwartet. Manchmal genau zwischen harten Gitarrenschlägen. Da steh' ich drauf.
PRINZ: Ist "Vision Thing" nicht sowieso ein sehr persönliches Album, mag es auch noch so zugänglich wirken?
Andrew: Meine Stimme ist so produziert, daß sie sehr klar und intim klingt. Außerdem habe ich einige Erlebnisse zu Songs gemacht, die mich tiefer berührt haben als andere zuvor.
PRINZ: Um welche Themen geht's dir diesmal überhaupt?
Andrew: Girls, Straßen, Drogen, Politik, Gewalt Alles in verschiedenen Kombinationen.
PRINZ: Bei allen Zwistigkeiten und Problemen hast du den Namen der Band nie aufgegeben. Die Sisters Of Mercy müssen dir eine ganze Menge bedeuten . . .
Andrew: Die Gruppe sollte immer größer sein als ich allein. Ich meine, ich wollte auch immer groß sein, aber die Sisters Of Mercy sollten noch großartiger sein.
PRINZ: Wofür stehen deiner Meinung nach die Sisters heute?
Andrew: Für Kraft und Wahrheit. Wir sind nur eine Rock-Band, aber eine verdammt gute!
PRINZ: Was unterscheidet deine Band von all den anderen, die inzwischen das musikalische Feld beackern, das du selbst mal erfunden hast?
Andrew: Wir haben Klasse und Intelligenz! Wir machen uns mehr Gedanken um unsere Songs und unsere Platten. Solange wir dabei sind, beachten wir die anderen gar nicht. Sie verschwinden einfach in einer Wolke von Staub.
PRINZ: Ist Andrew Eldritch ein unausstehlicher Egomane, mit dem man nur schwer zusammenarbeiten kann?
Tim: Frag mich noch mal um Weihnachten rum, nach der Tournee.
Andreas: Die Sache ist: Du mußt ihn lieben. Sonst schmeißt er dich raus.
16./17./18.11.(Fr-So), Docks, 20 Uhr
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Gruft is in the heart
SPEX - December 1990
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Als die Sisters Of Mercy nur noch aus ihm und Patricia Morrison bestanden und der erste Ärger mit ihr das Leben ungemütlich werden ließ, dachte Andrew Eldritch daran, einfach aufzuhören. Denn das kann er überhaupt nicht leiden, wenn sich andere Menschen in sein Leben einmischen, ihn drängen, Dinge zu tun, die er haßt. Die ehemalige Gun-Club-Bassistin wollte endlich wieder live auftreten, mit einer richtigen Band, doch für den blassen Eldritch ist das eine einzige Qual: "Sieh mich an, ich bin nicht sehr groß, ich habe eine schwache Stimme und mit der muß ich dann gegen diese lauten Gitarren ansingen. Das ist, als ob du einen super-schweren Griff auf der Gitarre spielst - er klingt vielleicht gut und natürlich, aber dir tun die Finger weh." Jetzt verbindet beide nur noch ein obskurer Rechtsstreit, zu dem er sich nicht naher äußern will. Daß Eldritch ohne Patricia Morrison dann schließlich doch noch eine echte Rockband aufmachte, mit der er sogar auf Tour geht, ist kein schlechter Witz.
"Ich schrieb die Songs für 'Vision Thing' bevor ich Tony James traf. Ich hatte die Vision einer echten Rockband vor Augen, die LP ist die Realisierung dieser Vision." Es dauerte fast ein Jahr bis Eldritch diese echte Rockband zusammen hatte. Tony James, der Ende der 70er Bassist bei Generation X und später mit Sigue Sigue Sputnik für ein paar Monate Popstar war, kennt die Sisters seit einer halben Ewigkeit "Als ich 1980 Gen X verließ, hatte ich gerade Suicide entdeckt und deren Musik beeindruckte mich sehr. Ich wollte eine Band mit Drum-Machine gründen und ein Freund nahm mich mit zu einem Gig der damals noch völlig unbekannten Sisters. Ich sprach anschließend mit Andrew, doch wir verloren uns dann wieder aus den Augen ".
An den 22jahrigen Andreas Bruhn kamen sie über WEA; ein Studio-Musiker aus Hamburg, den niemand kennt und der bei diversen unangenehmen Produktionen Gitarre spielte. Tim Bricheno, der All-About-Eve-Keyboarder ist erst seit kurzem dabei, ebenso Dan Donovan von Big Audio Dynamite, der Dr. Avalanche, die berühmte Rhythmus-Maschine, bei den raren Sisters-Auftritten bedient. Die echte Rockband ist also eine New-Wave-Supergroup. "Der Unterschied zu der Situation von vor zwei Jahren ist der", resümiert Eldritch, "daß jetzt alles zusammenpaßt. Jetzt können wir auch live spielen. ‚Floodland' entstand, nachdem sich die Sisters aufgelöst hatten, eine schwierige Zeit. Es gab keine Band, die Sisters waren ich und Patricia. Damals wollte ich herausfinden, wie es ist, Songs ohne Rocksongstrukturen und vor allem ohne Gitarrenparts aufzunehmen Heute ist meine Musik eher wieder wie die Musik der ursprünglichen Sisters."
Mich erinnert "Vision Thing" an "Album", die 86er LP von Public Image, Johnny Rottens Versuch, richtige Rockmusik zu machen (seitdem ist auch nie wieder etwas gutes von PIL erschienen), und an "Automatic", die Platte, mit der The Jesus And Mary Chain das Feedback abschafften. Gute Platten, die nichts mehr retten konnten. An JAMS verlor man gerade das Interesse und Jim Reid schimpft heute über die Blödheit der Teenager, wo er nur kann.
Andrew Eldritch interessieren solche Debatten nicht: "Wir waren immer out of time, es gibt immer jemanden, der diese Woche bigger ist als du. Den einzigen Kontakt zu aktueller Musik habe ich, wenn ich abends ausgehe. Das beeinflußt mich nicht." Den Untergang von JAMC konnte ich im letzten Jahr erleben, als sie gemeinsam mit New Model Army auftreten mußten und erbarmungslos ausgepfiffen wurden. Aber Sisters-Fans sind resistent gegen jeden Zeitgeschmack. Sisters-Fans sehen, ob sie 16 oder 36 sind, aus wie 1981 . Und wenn die neuen Sisters nun nach fünf Jahren wieder in der Wembley Arena oder der Berliner Eissporthalle auftreten, dann ist das ein völlig risikoloses Unternehmen. Außer dem Restbestand an Psychos gibt es
wohl keine Gruppe, die derart hermetisch abgeschlossen ist, wie die Grufti-Tribes. Wenn du einen von denen im Plattenladen siehst, kannst du sicher sein, daß er nichts anderes kaufen wird als die neue Mission oder Nephilim oder Cure. Diese Leute bleiben ihren Bands und Klamotten ewig treu. Und das tollste: Sie nennen sich selbst Gruftis, ich dachte immer, den Ausdruck hatte "Bravo" erfunden, aber nein, es gibt "Grufti-Treffen". "Gruft-Disco" und "Gruft-Nights". Nun ist Andrew Eldritch weder ein Trottel wie Wayne Hussey, noch machen die Sisters ähnlich grauenhafte Musik. Trotzdem hat mit den Sisters Of Mercy all das angefangen. Schließlich waren "Temple Of Love" und "Alice" die ersten Hymnen der Bewegung, läßt sich das "Batcave", die legendäre erste Begegnungsstätte der Schwarzkittel und ihr Klamotten-Code auf die Sisters (und Alien Sex Fiend) zurückfuhren. Eldritch kennt seine Fans ("Wir kriegen sehr viele Briefe aus Polen, aber sehr wenige von dort, was mal die DDR war", aber vielleicht ist das alles ein Mißverstandnis? Er trägt halt gerne schwarz, ist zufällig ziemlich bleich und seine Musik -ahem- ein wenig duster.
Vor allem hat seine tiefe, dünne Bass-Stimme von Fields Of The Nephilim bis Love Like Blood massenhaft Nachahmer gefunden Natürlich sieht sich Eldritch nicht gerne in diesem Kontext, aber ich denke, daß er sowas wie der Billy Idol der Schwarzkittel ist, ein zerbrechliches Männlein, das mit einem gutgelaunten Haufen Profis eine Platte voll cooler, saftiger Rocksongs aufgenommen hat, die ähnliche Hammerqualitäten haben wie Sweet- oder eben Billy-Idol-Songs. Andrew Eldritch hat heute nicht mehr mit Gruft und Gothic zu tun als Ian Astbury.
Seit sechs Jahren lebt Andrew Eldritch in Hamburg. "Ich möchte auch unbedingt in Hamburg bleiben, nur nicht mehr in St. Pauli wohnen, es gibt dort mittlerweile zu viele Yuppies und Junkies." Für Hamburg machen die Sisters, die sonst nur in großen Hallen auftreten, eine Ausnahme. An drei Tagen spielen sie in dem relativ kleinen "Docks", eine Hommage an Eldritchs Wahlheimat. "Früher ging ich ständig ins 'Subito', in den letzten Jahren dann ins "Mitternacht". Ich saß dort immer am Ende der Theke vor der Kaffeemaschine. Jetzt hat der Laden einen neuen Besitzer, der knausert mit den Drinks und stellt das Licht zu hell ein." Eldritch ist treu und langsam. Er braucht eine vertraute Umgebung und viel Zeit, um Songs zu schreiben. In den zehn Jahren, seit es die Sisters gibt, sind nicht mehr als drei Platten erschienen.
"Immer wenn ich eine Platte fertig habe, wechsele ich die Kneipe, also alle drei bis vier Jahre." Und noch immer hat Eldritch zwischen zwei LPs seine Band aufgelöst. "Dieses Mal sieht es ganz danach aus, als wurden wir lange zusammen bleiben", glaubt er, und Tony James meint: "Eine Band gründen ist wie Heiraten, man denkt natürlich, daß es für die Ewigkeit ist."
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Raserei im Nebel!
Musikexpress/Sounds - January 1991
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Wie ausgehungert die deutsche Schwesternschaft war, zeigte der frenetische Jubel, als Andrew Eldriteh und seine neue Mannschaft ihre neue Show vorstellten. Da konnte eigentlich gar nichts schiefgehen. Kaum dampften die ersten Nebelschwaden von der Rampe, kaum ertönten die ersten Takte von „First And Last And Always", da dämmerte es dann auch dem letzten Zweifler, daß sich alle falschen Bet-Schwestern besser zur Missions-Arbeit in die Talmi-Katakomben zurückziehen sollten.
Doch die neuen Sisters Of Mercy gehen nicht unbedingt auch neue Wege. Die sauber aufeinander abgestimmten Gitarren-Duelle von Tim Bricheno und Andreas Bruhn klangen allenfalls sauberer und präziser als frühere Versionen, Tony James pumpte schicksalsschwere Akzente in die Soundwälle und Dan Donovan (von Big Audio Dynamite) kümmerte sich um Dr. Avalanche, die wohlbekannte Syndrum-Maschine, die mit gebieterischer Lautstärke unnachgiebig die Bauchdecke flattern ließ. Andrew Eldritch selbst war leicht indisponiert und hatte mit Erkältung und Kehlkopfentzündung zu kämpfen, was ihn leicht mürrisch und verkniffen erscheinen ließ - aber eine Frohnatur und Stimmungskanone war er ja sowieso nie. Seine fast panische Abneigung gegen Konzerte kämpfte er indes nieder und agierte mit der Coolness eines Top-Managers.
Live zeigte sich noch deutlicher als auf dem neuen Album VISION THING, daß die neuen Mitschwestern zwar kompetente Sidemen, aber keineswegs Impulsgeber sind. Herrscher Andrew bestimmt den Ton und die Richtung, und er hat immer recht. Das Bühnen-Design lieferte mit dicken, hängenden Ketten und sparsamen, gezielten Lichteffekten stets den richtigen Rahmen für die atmosphärische Massage der Songs. Die strenge Sisters-Show verfehlte denn auch diesmal nicht ihre Wirkung. Die Sisters Of Mercy haben sich in alter Klasse zurückgemeldet — mit Pathos, Power und neugewonnener musikalischer Brillanz, vor allem auf Seiten der zwei Gitarristen. Auch wenn sich im dichten Nebel nicht immer feststellen ließ, wer gerade welches Solo spielte.
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Vision Thing
Metal Hammer special, Metal Attack - February 1991
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Fünf Jahre war es her, seit die Sisters of Mercy zum letzten Mal Londoner Bühnen beehrt haben. Was die Erwartungen an den Gig angeht, so habe ich zum letzten Mal soviel Spekulationen damals erlebt, als Aerosmith inhren seit Jahren ersten Auftritt in Europa in Hammersmith ankündigten.
Allerdings muß man dazusagen, daß Aerosmith im wieder hergestellten Fünfer-Line-Up, ausgenüchtert und sich im Ruhm vergangener Tage sonnend, wieder auf die Bühne traten.
Die Sisters meldeten zwei Line-Ups später zurück, mit zwei neuen Gitarristen und dem Typen mit dem Zylinder von Sputnik am Bass. Während Aerosmith ein potentielles Party-Publikum anzogen, mußten die Sisters sich mit Zuschauern auseinandersetzten, das zumindest zur Hälfte den Gig mit früheren Auftritten verglich. Mit anderen Worten, einem Großteil des Publikums lag die Frage auf den Lippen ,,Wird diese Band es mit den alten Sisters autnehmen können ?"
Das Urteil? Eben eine ganz andere Band.
Während die 'alten' Sisters sich mit mystisehen Trockeneis-Nebeln umgaben, stolzierten, stampften und tanzten die ,neuen' Sisters sich durch eine Art Video-Kulisse direkt aus der Hölle. Ich will damit sagen, daß ein paar halb-nackte, tanzende Nymphchen durchaus ins Bild gepaßt hätten. Na ja, vielleicht beim nächsten mal.
Das Gitarren Duo Bricheno und Bruhn lieferte ein paar der üblichen Posen, die man von Rock-Gitarristen im allgemeinen gewohnt ist (dies galt besonders für Bricheno) - wobei bei den älteren Stücken die typische Grufti-Beschwerde zum Thema ,komprimierte Gitarren' laut wurde (siehe auch Fields Of The Nephilim). Selbst Primadonna James schlug sich tapfer, trotz eines kompletten Mangels an Basslines bei dem normalerweise sehr basslastigen Klassiker 'Dominion'.
Zwar mag die Band von sich behaupten, sich selbst nicht übermäßig ernst zu nehmen, aber ich bilde mir ein, ernstgemeinte Rock-Bombasten erkennen zu können, wenn ich sie vor mir habe... und das letzte mal, daß ich einen derart ernsten Fall gesehen habe, war seinerzeit bei Mötley Crüe.
Manches ging schief. Die orchestrale Pracht und der Gummi-Fetisch von This Corrosion' ließ etwas zu wünschen übrig; vielleicht war es der Chor der gefallenen Engel, der auf der Vinylversion zu hören ist. Neben mir schwor jernand - dem kann ich allerdings nicht ganz zustimmen-daß 'Ribbons' ebenfalls etwas schwerfällig wirkte. Für mich war es ein gutes post-Vietnam-Epos, das genauso gut zu 'Apocalypse Now' gepaßt hätte wie 'The End' von den Doors. Dank der Kerker-Kulisse und Eldritch, der seine Stimme beim letzten Chorus geradezu in Fetzen riß, fand ich den Song irgendwie nicht übel...
'Vision Thing' war im Gegensatz dazu ganz eindeutig brillant - ein Stück von geradezu gefährlichen Dimensionen. Alles in allem - ein ausgezeichneter Gig.
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THE SISTERS OF MERCY
NIAGARA - April 1991
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Die beeindruckende Karriere des Andreas Bruhn und warum es manchmal schwierig ist, mit Andrew Eldritch zusammenzuarbeiten. Und wer's glauben will, kann sich auch noch an der Erklärung vergnügen, warum Andrew Eldritch immer mit Sonnenbrille rumläuft.
"Ich war mit der Schule fertig und hab' Zivildienst gemacht und konnte deshalb nie richtig professionell mit einer Band arbeiten. Mein letzter Tag beim Zivildienst war dann mein erster Tag bei den Sisters of Mercy, meiner ersten richtig professionellen Band." Diese Karriere die mir der Hamburger Gitarrist Andreas Bruhn bei einem Telefoninterview schildert, ist schon beeindruckend. Immerhin gehört er jetzt zum festen Stamm der Sisters of Mercy, da Sänger und Mastermind Andrew Eldritch sich langjähriger Bühnenabstinenz wieder vor ein Live-Publikum wagt. Zuvor ist im Herbst letzten Jahres noch die ausgezeichnete LP "Vision Thing" erschienen, ein überraschend rockiger Nachfolger zu der von Andrew Eldritch unter Mithilfe der ehemaligen Gun-Club-Bassistin Patricia Morrison aufgenommenen LP "Floodland", die sich eher in ruhigen Keyboardklängen gehalten hatte. Immerhin war "Floodland" das erste Lebenszeichen der Sisters of Mercy, die ja 1985 das letzte Mal als Band aufgetreten waren.
1990 stehen sie dann wieder auf der Bühne. In Berlin traten sie im Rahmen ihrer "Vision Thinq Tour" sogar zweimal auf. Noch verbessert zeigten sich die Sisters bei ihrem zweiten Berlin Gig im Mai in der leider nur schwach besuchten Seelenbinder-Halle. Wie schon vorher gab es eine ausgezeichnete Mischung ihres wirklich sehr starken Songmaterials. Und Andrew Eldritch verkauft sich den Fans so, wie sie es wollen: Als hinter dunklen Gläsern versteckten Mythos, dem es leider nicht reicht, die zur Zeit besten Düsterrock-Songs zu schreiben, sondern der sich zudem noch gewohnt überheblich und abgehoben präsentieren muß. Zum Ende des Auftritts schnippt er seine Zigarettenkippe in die jubelnde Menge und verläßt die Bühne. Die Presse tut natürlich ein Übriges, labert dummes Zeug von Mythen, Monstern, Mutationen und beschwört bis zum Erbrechen irgendwelche schwachsinnigen Gruftie-Kulte, die teilweise mehr zu bedeuten scheinen als die Songs selbst.
"Andrew ist aber auch ein Mythos" entgegnet Andreas. "Manchmal ist es natürlich schon Quatsch, also ein bißchen irritierend, wenn die Zeitungen immer noch auf diesem Gruft-Ding 'rumreiten, das ist lästig. Ich empfinde unsere Musik auch gar nicht als düster. Andrew hat eben 'ne dunkle Stimme, und er haßt Scheinwerferlicht. Deshalb geht er mit Sonnenbrille auf die Bühne, das ist alles. Und trotzdem machen die Leute da immer wieder einen Wind drum, das ist unglaublich. Ich habe mir darüber zum Glück keine Gedanken gemacht, als ich einstieg. Das kam erst später, als mich die Leute danach gefragt haben. Ich bin ziemlich blauäugig einfach drauflos, sonst wär ich wohl ziemlich nervös gewesen. Es lief auch alles sehr langsam an, als Andrew über die Plattenfirma jemanden suchte, der ihm bei seinen Demos helfen konnte. Dann erst haben wir uns entschieden, die ganze Platte zusammen zu machen, und dann hat mich Andrew gefragt, ob ich in die Band kommen wollte. Die Presse hat das erst mitgekriegt, als ich schon ein Jahr dabei war. Ich bin im April '89 dazugekommen und habe erst mit Patricia dann ohne Patricia die Stücke vorbereitet, und wir sind ins Studio gegangen. Und erst als wir da mittendrin waren, ist die Presse auf uns aufmerksam geworden."
NIAGARA: "Du hast also noch mit Patricia zusammengearbeitet? Warum ist sie denn jetzt nicht mehr dabei?"
Andreas: "Das haben Andrew und sie alleine ausgemacht.
NIAGARA: "Aber du mußt doch einen Eindruck bekommen haben, warum sie ausgestiegen ist"
Andreas: "Hab' ich auch, aber das ist ein Ding zwischen Andrew und ihr. Da ist noch große Zurückhaltung angesagt, das darf nicht so breitgetreten werden. Aber Patricia mochte ich sehr gern. Sehr schade, daß sie gehen mußte, aber das sind persönliche Dinge zwischen ihr und Andrew."
NIAGARA: "Welchen Einfluß hattest Du denn eigentlich auf die 'Vision Thing' LP?"
Andreas: "Ich bin wohl der einzige, der neben Andrew einen Einf1uß auf die LP hatte, weil Tony James erst viel später dazukam, als alle Baßlinien schon fertig waren, und als der zweite Gitarrist Tim Bricheno einstig, war die gesamte LP schon fertig."
Hinzukommt, daß Andreas die Musik zu der Single-B-Seite "You could be the one" und dem Song "Detonation Boulevard" alleine geschrieben und an den Singles "When you don't see me" und "Doctor Jeep" mitgeschriehen hat. Dennoch ist klar daß Andrew Eldritch die Arbeit an "Vision Thing" die ganze Zeit über fest in Händen hatte.
Andreas: "Manchmal ist er schon schwierig, mit Andrew zu arbeiten. Er ist ein Perfektionist und ziemlich eigenwillig. Das bedeutet dann, daß wir zwei Wochen lang an einem Ding arbeiten und dann merken, daß es nicht geht, und dann schmeißen wir's wieder raus. Wir haben acht Monate für die LP gebraucht, acht Monate für neun Stücke! Und manchmal haben wir Tag und Nacht an einigen Sachen gesessen, um dann zu merken, daß es nicht ging und die Sachen 'rausgeschmissen. Viele andere Leute hätten das nicht gemacht, sondern die Sachen einfach genommen, aber bei Andrew läuft es entweder perfekt oder gar nicht. Und das war wirklich zeit- und nervenaufreibend, aber eben richtig. Hinzukommt, daß das Studio in Dänemark auf einem Feld lag mit nichts drumherum. Für zwei Monate ist das ganz wunderbar, aber für acht... Am Ende waren auch nur noch Andrew und ich da. Tony hatte die Nase voll und ist nach Hause gefahren."
Rechtzeitig zur Tour sind die Sisters of Mercy dann aber wieder als Band aus der Taufe gehoben worden, und die ausgedehnten Touren sind um so überraschender, da Andrew Eldritch immer behauptet hatte, er haßte Touren.
"Das stimmt auch" stimmt Andreas zu, "aber Andrew beginnt jetzt Touren zu mögen. Er hat jetzt aber auch zum ersten mal eine Band, in der er sich nicht um alles kümmern muß. Er muß sich also, während er auf der Bühne steht, nicht noch darum kümmern, daß die Stücke richtig laufen. Er kann sich wirklich darauf konzentrieren, nur zu singen. Die Band spielt einfach gut zusammen Es ist bequemer für ihn. Und Tony hat so viel Erfahrung mit dem Musikbusiness, er macht das ja schon seit Jahren. Er kann in der Arbeit mit der Presse auch sehr viele Ideen einbringen. Tim und ich bringen mehr musikalische Ideen ein und setzen sie um. Tim spielt ganz anders Gitarre als ich und doch passen wir sehr gut zusammen. Andrew und Tony sind eher die großen Egos. Tim und ich sind etwas ruhiger."
Diese Besetzung soll fest sein und in dieser Besetzung vollen die Sisters of Mercy auch ihre nächste LP aufnehmen. "Ich hoffe, daß die nächste LP dann eine Zusammenarbeit der gesamten Band wird" meint Andreas. Man kann gespannt sein wie es weitergeht, denn Adreas meint: "Wir sagen immer: Entweder die Band hält noch zehn Jahre so, oder sie bricht in zehn Minuten auseinander."
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Interview mit Andrew Eldritch
Subline - 5 June 1992
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"The Sisters are ugly!" "The Sisters leave blood on the microphonel" Diese und ähnliche Schlagzeilen waren in der englischen Musikpresse Anfang der 80er Jahre zu finden, als Gary Marx und Andrew Eldritch unter dem Namen The Sisters Of Mercy ihre ersten Singles auf dem neugegründeten Labet "Merciful Release" veröffentlichten. Die frühen Sisters Songs, welche maßgeblich für das Gruft- und Gothicmage der Band verantwortlich sind, können jetzt erstmals als geballte Ladung auf LP, MC, CD erworben werden. "Some Girls Wander By Mistake" ist diese Compilatlon betitelt und enthält insgesamt 19 Tracks aus den Jahren 1980-83, darunter einige inzwischen sehr gesuchte rare Singles, Maxis und B-Selten.
Anläßlich dieser Veröffentlichung traf sich SUBLINE in Hamburg mit Sisters-Mastermind Andrew Eldritch vorab zu einem ExkusIv-Interview.
Eldritch, seit 1981 unzweifelhaft der Kopf dieser Kultband, zeigt sich nicht sonderlich begeistert von der Idee, die alten Stücke noch einmal neu herauszubringen: "Ich mag die Idee nicht, und stehe als Musiker auch nicht hundertprozentig hinter dieser Veröffentlichung unserer Plattenfirma. Einige der Stücke sind grausam, vom Sound absolut schlecht, verglichen mit heutigem Standard. Aber dann gibt es da noch die zahlreichen Sisters-Fans, und die verlangen nach unseren Frühwerken immer wieder. Mir ist bekannt, daß einige der alten Singles oder Bootlegs z.B. auf Plattenbörsen zu horrenden Summen gehandelt werden. Also habe ich mir gesagt, wir machen einen fairen Deal: Die Fans bekommen die bisher raren Tracks aus unseren Gründerjahren, und von den Royallties meiner Plattenfirma kann ich mir endlich ein neues Auto kaufen. Das ist O.K., denn bisher konnte ich mir keinen Wagen leisten..."
Habt Ihr, als 1980 die Sisters Of Mercy gegründet wurden, schon daran gedacht, daß Ihr von Eurer Musik jemals leben könntet?
Nein, mcht im Traum. Das erste Mal, daß mir der Gedanke kam, daß hier vielleicht
ein Projekt entstanden war, daß es wert ist weitergeführt zu werden, war, als 1982 "Alice" veröffentlicht wurde. In den ersten fünf Jahren war die finanzielle Situation äußerst schwierig; es blieb niemals Geld für die Band übrig. Nicht einmal unser erster großer Hit "Temple Of Love" hat unterm Strich Gewinn abgeworfen. Gerade die Aufnahmekosten und das Budget für die Pressung der Platten wurden wieder eingespielt. Dafür haben wir Musiker in diesen Jahren eine Menge gelernt. Wir haben im Laufe der Zeit die Plattenproduktion von A-Z selbst in die Hand genommen. Das ist besser, als von vornherein irgendwelche Klauseln zu unterschreiben oder sich durch Knebelverträge an dubiose Managements zu binden. Nebenbei bemerkt, macht es auch Spaß, sich als Musiker um Business-Belange zu kümmern.
Wie groß schätzt Du die Macht der Printmedien in der Musikbranche ein? Welchen Einfluß haben z.B. Melody Maker oder New Musical Express und welchen Anteil hatten diese englischen Blätter an dem Erfolg der Sisters?
Der Melody Maker mochte uns eigentlich immer, und der NME haßte uns von Anfang an. Wir hatten immer irgendwo in den englischen Blättern eine Platte der Woche, aber nie im NME. Ich halte den Einfluß des NME für sehr groß, schon deshalb, weil er als Wochenzeitschrift einen sehr guten Export-Vertrieb hat. Gerade in den Benelux-Ländern glauben die Leute fast alles, was der NME schreibt. Die meinungsmachende Wirkung dieses Blattes innerhalb der Musikszene ist enorm. Der NME wird für eine intelligente Zeitung gehalten, weil viele Studenten das Blatt lesen; als Schlußfolgerung müssen nach Meinug der Leser, alle Bands die der NME ignoriert, dumm sein. Aus diesem Grunde hat uns die fehlende Präsenz im NME sehr hart getroffen. Diese Zeitschrift ist in der Lage, den Verlauf einer Bandkarriere zu begründen und zu beeinflussen. The Smiths z.B. haben in England niemanden interessiert, bis zu dem Zeitpunkt, als der NME begann, sie massiv zu powern, Er braucht nur eine Band zu featuren, auch wenn sie es nicht wert ist, und die Leute kaufen die Platte.
Woher kam eigentlich der Name "Sisters Of Mercy" als die Band 1980 gegründet wurde?
Ich habe die Sisters nicht wirklich gegründet. Während des ersten Jahres war ich lediglich der Drummer, noch dazu ein besonders schlechter. Der Bandname ist von dem gleichnamigen Leonard Cohen-Song übernommen worden; ein Stück üher Prostituierte.
Leonard Cohen erfreut sich großer Beliebtheit innerhalb der alternativen Musikszene. Alle covern seine Songs, was denkst Du, woran das liegt?
Ich glaube, daß Leonard Cohen falsch verstanden wird. Alle meinen, er macht depressive Musik, aber seine Songs sind durchaus humorvoll. Cohen besitzt einen vortrefflichen schwarzen und sensiblen Humor. Seine Platten sind auf keinen Fall depressiv, wie manchmai fälschlicherweise angenommen wird. Niemand würde sich eine Platte kaufen, um sich schlecht zu fühlen. Keiner wurde sich eine Sisters Of Mercy Platte kaufen, damit es ihm anschließend schlecht geht. Auch die Sisters waren nie eine depressive Band. Definitiv nicht!
Euer letztes Album "Vision Thing" hat auch in Heavy Metal-Kreisen großen Anklang gefunden. Wie ist Deine Einstellung zur Heavy Metal-Szene? Wird aus den Sisters am Ende gar eine Heavy Metal Band?
Ich mag Heavy Metal als Musik, aber ich habe eine andere Vorstellung von dem, was Heavy Metal ist. Anthrax z.B. ist für mich nicht Heavy Metal, Anthrax ist lediglich schlechter Punk Rock. Speed-, Thrash- und Death-Metal sind für mich alles das Gleiche, ich kann den Unterschied nicht erkennen. Ich finde diese Art von Musik einfach nur primitiv, aber nicht genial-primitiv. Motörhead z.B. sind genial-priimtiv. Ich mag auch Metallica-Songs. Doch wenn die Sisters ihre Texte hätten, z.B. von "Enter Sandman", würden alle Leute uns als Grufties bezeichnen. Man würde uns kreuzigen!
Als "Vision Thing" produktionsmäßig abgeschlossen war, haben wir die fertigen Master-Bänder verworfen. Ich bringe auschließlich kein perfekt ausgefeiltes Material auf eine Platte, Die ausgereiften und bis ins letzte I-Tüpfelchen technisch polierten Songs klingen zu überladen und zu kompliziert, "Vision Thing" war alles Mögliehe, aber mit Sicherheit kein Gothic-Rock. Dennoch wird aus den Sisters auch keine Metal Band. Wir sind und bleiben Rockmusiker.
Warum ist Deiner Meinung nach der Seattle-Sound zur Zeit so angesagt?
Die Leute wurden von der Pressa permanent aufgefordert, sich nach etwas Neuem, Intelligenterem innerhalb der Musikszene umzusehen. Hinzu kam, daß Geffen-Records zum damaligen Zeitpunkt als sich die Veröffentlichung der beiden Guns'N'Roses-Alben ständig verzögerte, eine Band brauchte, die es wert war, massiv promotet zu werden. Sie fanden Nirvana, steckten eine Menge Geld in Promotion und Marketing und machten die Band zur Nummer Eins der Billboard-Charts. Nach dem Nirvana-Erfolg dachte plötzlich jede Plattenfirma, auch sie brauchte Seattle-Bands.
Nirvana sind o.k., aber sie haben mit "Teen Spirit" nur einen wirklich guten Song auf ihrem Albuni. Pearl Jam's "Ten" hingegen ist brilliant, außerdem sieht der Sänger besser aus, ein nicht zu unterschätzender Aspekt. Ich sehe dennoch keine ganze Generation von Soundgardens. [Hier irrte der Meister ;-)]
Die Sisters Of Mercy tourten in den Staaten mit Public Enemy. Was hältst Du von den ganzen Crossover-Kombinationen; wie Public Enerny - Anthrax oder Bodycount - Ice T?
lce T's Platten sind besser als die der andren genannten Gruppen. Die Public Enemy-Anthrax-Single war wirklich schlecht, nichts weiter als eine Menge Gerappe und vielleicht noch ein paar Instrumente im Hintergrund. Es war weder eine Heavy Metal-Platte noch eine Rap-Scheibe. Public Enemys Songs stehen immer für etwas, sie enthalten immer eine Botschaft, auch wenn man mit dieser nicht immer einverstande ist. Die Kombination P.E.-Anthrax dagegen steht für überhaupt nichts.
Könntest Du Dir vorstellen, daß vielleicht die Sisters Of Mercy in naher Zukunft eine Platte mit Public Enemy aufnehmen?
Ich könnte mir denken, so etwas zu produzieren oder vielleicht einmal live zu performen. Aber eigentlich glaube ich nicht an Crossover. Ich persönlich, habe genauso wenig einen Background für Rap-Musik, wie Public Enerny für Rock, also warum sollte es eine gute Idee sei? Wir waren eine der ersten Bands in den USA, die eine Crossover-Tour gemacht haben, und die Reaktionen im Publikum waren denkbar schlecht. Wenn schon in den USA wenig Akzeptanz vorhanden ist, dann würde der Widerstand in Europa nur noch größer sein. Einmal habe ich "The Bulgarian Women Squire", eine sehr gute bulgariache Band einer deutschen Plattenfirma vorgestellt. Sie wurden mit der Begründmig abgelehnt, daß nur türkische Leute so etwas kaufen würden, und die hätten keinen CD-Player. Niemand will "Lollapalooza", niemand will "mixed charts".
Welche konkreten Pläne haben die Sisters für 1992?
Tim und ich werden in den nächsten Wochen beginnen, Material für eine neue LP zusammenzutragen, die aller Voraussicht nach bis zum Ende des Jahres fertiggestellt wird. Was ein Tour angeht, so denke ich, daß wir im Sommer ein paar Gigs auf Festivals spielen werden. Mir würde es gefallen, mit Pearl Jam zusammen aufzutreten oder mal wieder der Loreley einen Konzertbesuch abzustatten. Ich erfahre in den nächsten Tagen ob es funktioniert. Eine richtige Sisters-Tour wird es mit Sicherheit in diesem Jahr nicht geben, da sonst die neue LP niemals fertig werden würde. Ich habe auch kein Interesse daran, den gesamten Sommer in einem Tour-Bus zu verbringen und 30 Leute zu bezahlen, mit Geld, das ich nicht habe.
Du hast mit Ofra Haza zusammen einen "Temple Of Love"-Remix aufgenommen. Wird es weitere neue Versionen alter Sisters-Songs geben?
Ich habe emen Vertrag mit meiner Plattenfirma in England »Alice" neu aufzunehmen. Mir gefällt diese Idee nicht unbedingt, aber der Punkt ist, daß Plattenfirmen ständig nach Hits verlangen. Sie haben kein Interesse daran, "Some Girls Wander By Mistake" herauszubringen, wenn ich nicht als Begleitmaterial ein paar neue Versionen alter Titel aufnehme. Sie befürchten, daß die Compilation allein nicht genügend Stückzahlen verkauft.
Eine persönliche Frage am Schluß, Andrew. Warum ist gerade Hamburg Deine Wahlheimat?
Ich kam vor einiger Zeit hierher, um meine Gedanken zu ordnen und beschloß irgendwann , einfach nicht wieder zurückzukehren. Hamburg ist ais Stadt weder altmodisch noch in sich selbat verliebt. Die Leute tun was sie wollen, aber sie reden nicht ständig darüber. Niemand gibt vor, etwas besseres zu sein als er in Wirklichkeit ist. Wenn man in Berlin ein Bier trinken geht, ist es fast sicher, daß man sich neben einem Performance-Künstler wiederfindet, Hamburg ist einfach eine Stadt mit Charme und Flair, ohne übersteigerten Geltungsdrang.
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Die vielen Gesichter des Andrew Eldritch
VISIONS - 1992
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Jahrelang gehörte der verbale Boxkampf mit Oberschwester Andrew Eldritch zu den gefürchteten Feuerproben eines jeden Rockjournalisten. Meist kurz angebunden, vor Zynismus und Ironie nur so sprühend, gestalteten sich die Gespräche mit dem Wahl-Hamburger stets zu einer kommunikativen tour de force. Doch die unbarmherzigen Zeiten scheinen ebenso passé, wie das antiquierte Image einer schwarz-umnebelten Kunstfigur. Seitdem die Düsterrock-Legende im Sommer 1990 den Mythos der Vergangenheit zu Gunsten einer realexistierenden Musikerkarriere eintauschte, hat sich scheinbar nicht nur das Auditorium einer grundlegenden Veränderung unterzogen. Zur Veröffentlichung von "Some Girls Wander By Mistake", der Compilation des gesamten Backkataloges 1981-83, gewährte uns ein überraschend relaxter Musikus den kurzen Blick hinter die Kulissen seiner fasettenreichen Masken.
Rotumrandete, kleine Augen, ein zerknautschtes Gesicht, eilends gekämmtes Haar und ein großer Becher schwarzen Kaffees. Es ist elf Uhr in der Frühe und die Spuren einer feucht-fröhlichen Nacht stehen Herrn Eldritch nur allzu deutlich im fahlen Gesicht. "No Photos, please!", lautet die Devise des Tages. Doch andererseits scheint das nachhaltige Wirken des Alkohols auch zu einer ruhigeren, gelasseneren Wesensart zu verleiten. Meine erste Frage nach seinem derweiligen Image des "Prince of darkness" vermag er somit noch großzügig zu überhören.
"Normalerweise verlasse ich bei solchen Fragen den Raum, aber du hast heute nocheinmal Glück". Mein erstes und letztes Fettnäpfchen - für heute.
"Ich hatte noch nie ein besonders gutes Verhältnis zur Presse", meint er fast entschuldigend, "aber es könnte auch schlechter sein. Ich mag sie nicht, warum also sollte ich verlangen, daß sie mich mögen?"
Nervige Fragen, das ewige Aufkauen abgehandelter Kapitel seiner eigenen, bewegten Biographie. Reminiszenzen an ehemalige Weggefährten und die geradezu blasphemischen Kosenamen der Gothic-Szene sind für Andrew Eldritch noch immer ein Greul. "Sich über Musik großartig zu unterhalten ist prinzipiell sehr stupide. Sie kann nur gut oder schlecht sein, was soll man da noch große Worte verlieren, aber das gehört wohl zum Berufsrisiko. Die Leute sollten eigentlich nichts glauben, was ein Rockstar erzählt", meint er lakonisch und schaut mich das erste Mal grinsend über den Rand seines dampfenden Kaffees an. Vor knapp zwei Jahren, als es an selber Lokalität um ernsthaft Promotion seines neuen Gruppenprojektes "Vision Thing" ging, war einem finster-entnervten Träger langer, schwarzer Haare und eines notorisch ungewaschenen Motörhead-T-Shirts nicht einmal der Anflug solcher Zwischenmenschlichkeiten entwichen. "Ich fühle mich momentan relativ ungezwungen, da ich nicht davon ausgehe, daß irgendwelche Interviews den Verkauf dieses Albums direkt beeinflussen, Es ist mir also ziemlich egal, was du mir jetzt für Fragen stellst und vor allem, was du darüber schreibst."
Der Gewissenskonflikt baut sich auf. Nehme ich dieses offenherzige Angebot nun dankbar an und löchere ihn auf unerfreuliche Kapitel der Bandgeschichte, z.B. die Trennung von seinen ehemaligen Mitstreitern Craig Adams und Wayne Hussey, die als The Mission nicht minder erfolgreich sind? Wage ich den Vorstoß auf die schwarzen Schafe Ben Gunn, Gary Marx oder gar Patricia Morrison, mit der Eldritch noch immer im Rechtsstreit liegt? Ich bringe es einfach nicht über die Lippen, sondern pflege stattdessen die höfliche Philosophie des angenehmen, entgegenkommenden Gesprächs, um mich fortan auf die Hintergründe des neuen Albums zu konzentrieren. Muß man eine Art "Best Of.." überhaupt promoten?, kompensiere ich meine ersten Zweifel an dieser Veröffentlichung.
"Die Leute sind einfach verrückt nach den alten Sachen, auch wenn ich die meisten Songs auf dieser Platte für wenig gelungen erachte. Um aber fair zu Fans wie Sammlern zu sein, durften darauf ausschließlich Originalversionen zusammengestellt werden, selbst wenn deren Aufnahmequalität vom heutigen Standpunkt einfach nur schrecklich billig klingt. Meine einzige Befürchtung war nur, daß diejenigen, die mit unserer letzten Platte eingestiegen sind oder mit Punk-Rock überhaupt nichts anfangen können von dieser Retrospektive geradzu schockiert sein würden. Eine weiter unglückliche Konstellation ist zudem, daß die gegenwärtigen Sisters of Mercy in ihrer Besetzung mit den Songs dieses Albums überhaupt nichts zu tun haben. Die einzig Berechtigten, die hier neben mir sitzen müßten, wären im Grunde Craig und Gary. Da ich aber überhaupt nicht weiß, was sie derzeit eigentlich treiben, mich das im Grunde aber auch nicht interessiert, bin ich nun einmal alleine hier. Abgesehen davon halte ich mich für die meisten der Titel beinahe 100 Prozent allein verantwortlich. Bei Stücken wie "Reptile House" oder "Temple Of Love" haben sie nicht einmal mitgespielt. Es war weniger ihr Ding, Platten aufzunehmen, als ständig live auftreten zu wollen. Stattdessen lagen sie irgendwo herum ind ich mußte sie schließlich wecken, nachdem ich alles fertig eingespielt und aufgenommen hatte. Als sie mich dann fragten, wie denn ihre Gitarren- und Baßparts geworden wären, pflegte ich ihnen immer zu sagen, daß sie das sehr gut gemacht hätten. Gary hatte die "Reptile House" E.P. nicht einmal gehört, bis sie schließlich auf Vinyl erschien und ich sie ihm mit den Worten gab, daß das unsere neue Platte wäre und er sie bestimmt möge."
Nun, ist das nicht genug schmutzige Wäsche für eine Story? Dennoch bildete gerade das von Eldritch so sehr verhaßte Touren die Hauptaktivität der Jahre 1990/1991.
"Als Band muß man einfach gewisse demokratische Kompromisse eingehen. Wenn jeder unbedingt Touren möchte, kann ich mich dem auch nicht einfach verschließen. Außerdem hatte ich vor, zumindest ein bißchen Geld zu verdienen, das ich aber später genauso schnell verlor. Wir waren anfangs so schlecht, daß wir es einfach nicht verantworten konnten, frühzeitig von der Presse gesehen zu werden. Das hatte natürlich seinen Preis."
Dennoch muß ihm der Zyklus des unablässigen Reisens irgendwie gefallen haben. Schließlich setzten die Sisters für diesen Sommer eine Reihe von Festival-Auftritten an, ehe sie im Herbst mit ihrem kommenden Studio-Album beginnen. Doch genau da liegt das corpus delikti, die derart von ihrem Führer-Ego beseelt ist, daß sie zwischen den Phasen ihrer Zusammenarbei vollkommen brach liegt.
"Die derzeitige Situation ist etwas merkwürdig. Andreas z.B. ist ausschließlich mit seinem ersten Solo-Album beschäftigt. Ich bin mir dabei nicht ganz sicher, habe aber die Befürchtung, daß er seinen langgehegten Wunsch einer eigenen Karriere nun umzusetzen gedenkt. Was Tim betrifft, so habe ich in meinem Leben schon eine ganze Reihe von Menschen kennengelernt, die wirklich härter arbeiten als er. Frag mich bitte nicht wieso, aber Tim ist sich einfach nicht sicher, sowohl an einem Album wie auch an einer anschließenden Tournee mitwirken zu können, ohne daß er von einem zweiten Gitarristen begleitet würde. Damit ist also noch gar nicht klar, ob es nach den vier Festivals überhaupt weitere Konzerte geben wird."
Die Geschichte von den zehn kleinen Negerlein erlebt ihre Reinkarnation. Was 1990 noch als kompakte, gleichberechtigte Band verkauft werden sollte, hat sich heute längst als Ansammlung beliebig auswechselbarer Marionetten um die Persönlichkeit Eldritchs erwiesen. Schließlich verließ der obercoole ex-Generation X-Bassist Tony james die Sisters schon Ende letzten Jahres, um einer wesentlich beschaulicheren Tätigkeit als Drehbuchautor der BBC nachzugehen.
"Es ist sicherlich eine körperlich ermüdende Sache, jeden Abend für 90 Minuten den Baß zu spielen, aber alles was Tony wirklich wollte, war in teuren Bars voller Neon und Chrom anzuhängen, um über Konzepte nachzudenken und den erfolgreichen, wichtigen jungen Mann herauszukehren. Alles was wir aber wollten, war ein ambitionierter Bass-Player, jemand der einfach seinen Job macht, nicht mehr, nicht weniger. Aber lassen wir das..."
Doch wer bleibt denn jetzt noch an Bord, geschweige denn, wer wird den großen Meister begleiten?
"Ich weiß es wirklich nicht", zuckt dieser die lederumhüllten Schultern. "Ebensowenig kann ich sagen, wann und mit wem wir demnächst ins Studio gehen. Wenn ich genügend Geld zur Verfügung habe und richtig bombastische Songs zu schreiben vermag, könnte ich mir aber vorstellen, wieder mit Jim Steinman zu arbeiten. Das Problem ist nur, daß ich diese stupide Art von Song nicht so oft schreibe."
Wir überlassen das weitere Geschehen Fortunas Schicksal und warten erst einmal ab, wer denn nun bei den "GoBang"-Festivals den Platz an der Seite Eldritchs einzunehmen vermag. Bill Wyman soll ja noch zu haben sein...
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Statement von Andrew Eldritch
Zillo
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Zum leider immer noch aktuellen Thema Zillo:
Wir verhinderten den Verkauf der Zillo "Sonderhefte" während unserer Konzerte aus ganz einfachen Gründen. Es ist einfach zu behaupten, daß ein Sonderheft viel bietet für sein Geld, wenn das Material nicht einmal selbst erarbeitet ist, sondern größtenteils gestohlen wurde. Und wenn keine richtige Erwähnung der ursprünglichen Autoren und Photographen gegeben wurde, von Genehmigungen und Tantiemen ganz zu schweigen. All dies ist illegal.
Wir können Zillo nicht daran hindern, den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen, aber wir dürfen es nicht dulden, daß sie es während unserer Konzerte tun. Es kann nicht zugelassen werden, daß Leute gegen das Gesetz verstoßen, all die Kohle einstreichen und die Sisters dafür den Kopf hinhalten sollen.
Bevor all dies passierte waren wir Zillo gegenüber mehr als nur kooperativ. Zillo "Journalisten' hatten sogar während jedes Konzertes auf unserer Tour Zugang zur Backstage. Wir haben uns sehr angestrengt nett zu sein.
Unglücklicherweise wurde Zillo sehr ungemütlich, als wir es ihnen erschwerten, weiterhin Kapital aus uns zu schlagen. Seitdem haben sie schon so viel Müll gedruickt, daß ich mich gezwungen sehe, Interviews nur noch dann zu geben, wenn ich sie vor dem Druck kontrollieren kann. Das entsprechende Papier hat Zillo unterschrieben, allerdings gleich dagegen verstoßen.
Diese Schwierigkeiten habe ich mit keiner anderen Zeitschrift. Auf der anderen Seite hat auch kaum eine andere Zeitschrift die Band einfach aus dem Grunde kritisiert, weil der Sänger, nach 10 Jahren in der Branche, sich nun endlich sein erstes Auto leisten konnte. (Scheinbar eine gute Möglichkeit Deine Freunde zu erkennen) Währen der ersten 5 Jahre der Band lebte ich von 26 Pfund brutto in der Woche, und ich habe es satt, mir von Leuten, die wie z.B. Zillo reichlich an der Band verdienen, vorschreiben zu lassen, daß ich weiterhin völlig abgebrannt leben soll. Die köönen mich mal.
Wenn Ihr denkt, daß es schlecht ist, daß die Sisters diese Woche mehr Platten verkauft haben als Mr. Big, dann könnt ihr alles glauben was ZilJo so schreibt, besonders dann, wenn ihr der Meinung seid. wir sollten ihnen die Kohle in den Rachen werfen. Ich persönlich bin der Meinung, das Geld soll wie immer in die nächste Platte oder das nächste Konzert investiert werden. (Letzte Woche habe ich erfahren, daß die Kosten für die 4 Konzerte, die wir im Juni geben, fast DM 200.000.- betragen sollen.)
Jeder in der Band verdient mehr, als ich es je getan habe, und es stinkt mir, daß ständig auf mir herumgehackt wird. Ich sehe keinen Grund zur Beschwerde, wenn es mir nach immerhin 10 Jahren gelingt, mir einen Wagen zu kaufen, der nicht einmal neu ist.
The Sisters Of Mercy stand for Truth, Justice and A Damn Good Time. Solange wir die Art Art von Platten machen können die wir wollen, und dabei sogar (ab und zu) mehr verkaufen als Mr. Big, solltet Ihr stolz auf uns sein. Ich hin verdammt stolz auf uns. Wer nicht - fuck off...
Andrew Eldritch, Hamburg.
PS: Wie ich erfahren habe, will Zillo ehemalige Mitglieder der Sisters Of Mercy ausgraben, die nichts besseres zu tun haben, Unwahrheiten über mich in die Welt zu setzen. Zillo sollte endlich begreifen: Eine meinungsbildende Zeitschrift muß verantwortungsvoll arbeiten
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Sie kennen kein Erbarmen!
Bravo Talk Show
Ihr Macher Andrew Eldritch wohnt auf St. Pauli
Miesepeter und Manipulatoren
(Bremen), 17 June 1992
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GO !BANG!, ein Festival, das zu verpassen sich auch nicht lohnte
Liebe Gudrun,
die Du im Krankenhaus das GO !BANG!-Festival bei Klöckner verpaßt hast - Du hast Dir auch einigen Ärger erspart. Ging schon mal so los: Ein miesepetriger Busfahrer hielt im eigens eingerichteten Pendelverkehr nicht am Klöckner-Eingang, sondern gut zwei Kilometer entfernt. So rächt sich das kleine Arschloch für's entgangene Grillvergnügen auf Parzelle. Nube hat selbst für Lilith sechsundvierzig Mark Eintritt zahlen müssen, wo es doch Zehnjährige mit Zahnspange sowieso nicht leicht haben.
Die Security-Onkels hatten für ihren Kontrolljob extra ihre mutmaßliche Lieblingsbeschäftigung aufgegeben, Grabplatten von der Autobahnbrücke zu donnern - richtige Herzchen dabei.
Was das Catering betrifft: angenehme Duschtemperatur hatte das Bier von Anfang an, soll ja gut für den Magen sein. Das Kebap stank nach Kerosin, die Soft- Drinks waren ab frühen Nachmittag vergriffen und dennoch großer Andrang bei den Buden: im hermetisch abgeschlossenen Gelände hatte marktwirtschaftliche Konkurrenz keine Chance - und wer sich neue Batterien für den Herzschrittmacher aus dem Auto holen wollte, mußte sich flugs ein neues Ticket kaufen. Der einzige Haschischhändler am Platze war ein sattsam bekannter Lakritz-Manipulator, ich habe ihn Martin Thomas getauft.
Jingo De Lunch und Concrete Blonde störten mit dem schlichtgestrickten Wohlklang ihrer Lieder nur wenig und sorgten mit hippiemäßigen Sängerinnen für Love & Peace & Harmony. Fury in the Slaughterhouse aus Hannover gaben den menschenfreundlich-kumpeligen Part der ehrlichen Rocks mit dem Appell, heimische Bands durch regen Besuch zu unterstützen. Warum auch nicht?! Zum Hauptereignis wurde überraschend die von Trendbewußten längst als Combo der Stunde gehandelte kalifornische Formation Pearl Jam. Das ziemlich schwülstige Organ ihres Sängers Eddie Vedder animierte die Mutigen, jesusgleich auf dem Meer verzückter Arme durch die Publikumswellen zu hüpfen. Passiert ist dabei nix , und da sieht man, daß auch die himmlischen Heerscharen im Klang-Bombast der amerikanischen Westküste ihr Plätzchen haben. Warum Mr. Eddie zwischendurch immer "Hello Germany" schrie, wirft Fragen auf, deren Beantwortung für Krankenhauspatienten vermutlich nicht so aktuell ist...
Bad Religion war natürlich jenseits aller Kritik: Die kunstlose Ruppigkeit dieser schmutzigen, kleinen Punklieder wird zwar von Ignoranten als "immer gleich" bemosert, aber was macht das dem Ohr, dessen Nerv just dadurch getroffen wird. Greg Gaffin soll angeblich Lehrer sein - für diese ungebügelte Stimme sei ihm sogar das verziehen. Und selbst der Breikoch als Mixer schafft es nicht, der einfachen Struktur dieser Songs ihren Charme zu nehmen.
Ärgerlich aalglatt der Auftritt von Sister of Mercy. Und wenn Düstermann Andrew Eldritch sich tausendmal vom Gothic-Quatsch distanziert: Wer so effekthaschend auf die Nebelmaschinen-Mätzchen & Co. setzt, muß sich den ausgetretenen Schuh schon anziehen lassen.
So. Jetzt weißt Du, was Du versäumt hast, werd also schnell wieder gesund. Und beschließe noch heute, ein Rockstar zu werden.
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Interview mit dem Mann, der krampfhaft versucht, sein Grufti-Image loszuwerden
ZILLO - 6-7 August 1992
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[Als dieser Artikel erschien, war der Streit zwischen Eldritch und Zillo schon kräftig am kochen. Zillo konnte das Ganze überhaupt nur abdrucken, weil sie einen Artikel aus dem englischen "Siren"-Magazin übersetzten. Um Eldritch besonders zu ärgern, wurde zudem in billigster Yellow-Press-Manier ein Photo von ihm ohne Brille abgebildet (das hier nicht weiterverbreitet wird). Schade eigentlich, denn dieses Interview ist ja eigentlich nicht schlecht...]
"Ich hab nur noch eine Zigarette, also faß dich am besten kurz. Ich kann richtig unausstehlich sein, wenn ich keine Zigaretten mehr habe", kommt die liebevolle Warnung. Andrew Eldritch ist bester Laune, und das sollte er ja wohl auch sein - er fährt jetzt in einem schicken weißen Benz durch Hamburg, den ihm der Verkauf der alten Songs aus der Zeit vor seinem Vertrag mit WEA eingebracht hat. Außerdem hat er gerade dieZusammenarbeit mit Ofra Haza hinter sich, aus der eine überraschende Bearbeitung des 80er Jahre Mammutklassikers "Temple of Love" hervorgegangen ist. Warum bekam "Temple Of Love" diese Spezialbehandlung?
"Weil es abgefahren, außergewöhnlich und einfach wunderbar ist", schwärmt Eldritch. "Weil die Plattenfirma meinte, ein Album mit alten Songs würde sich ohne etwas Neues nicht verkaufen - obwohl ich an dieser Stelle betonen möchte, daß der Titel nicht auf der Platte ist. Daß Ofra Haza mit dabei ist, war nur ein zusätzliches Bonbon. Ich war bereits im Studio und hatte die Backing Tracks und meinen Gesang schon fertig, als sie endlich Zeit hatte, es gab eigentlich keinen Grund dafür. Aber wenn sie gesagt hätte, 'ja, ich will etwas beitragen, aber nur bei einem anderen Song', dann wäre es eben ein anderer geworden."
Eldritchs Lob für seine jemenitische Kollegin ist großzügig, um es mal vorsichtig auszudrücken.
"Diese Frau ist ein absoluter Star, sie hat die beste Stimme auf der Welt. Sie ist eine absolute Göttin - und sie hat wirklich die beste Stimme der ganzen Welt."
Wird sie bei weiteren Projekten der Sisters dabei sein?
"Ich hoffe", antwortet er knapp.
Ofra Haza ist die letzte in einer langen Reihe von Künstlern, mit denen Eldritch schon gearbeitet hat. In den Tagen der Sisterhood bekam Andrew Unterstützung von Lucas Fox und Alan Vega', "Floodland" und "More" entstanden zusammen mit Jim Steinman, der als Produzent von Meat Loaf berühmt wurde. Gibt es noch andere, mit denen Eldritch sich in Zukunft gern zusammentun würde?
"Stevie Nicks und Dolly Parton", antwortet Eldritch. "Beide sind tolle Songschreiberinnen, ich habe großen Respekt vor ihnen. Ebenso wie Kate Bush - ich halte Kate Bush für eine hervorragende Produzentin; seit "Hounds of Love" habe ich nichts gehört, was besser produziert gewesen wäre. Ich wollte mal eine Platte mit Pol Pot machen, aber das ist eine lange Geschichte."
"Temple of Love - Touched By The Hand Of Ofra Haza", wie der Titel des Remixes in voller Länge lautet, ist ein donnernder Schnellzug, ein Track, der seltsamerweise sogar langsamer und trockener klingt, wie Andrew erklärt:
"Wir haben ihn langsamer gespielt, um eine stampfende, schwere Geschwindigkeit zu erzeugen, keine überzogene, unwirksame Höchstgeschwindigkeit. Das Original ist sehr, sehr schnell. Fast schon albern."
Und durch einen seltsamen Zufall erschien "Temple Of Love 1992" an genau demselben Tag wie die neue Single von The Mission, "Never Again". Und wie nicht anders zu erwarten, haben einige Blätter diese beiden in reichlich einfallsloser Weise zusammen rezensiert. Nervt das ständige Herumstochern in der Vergangenheit nicht langsam?
"Für mich gibt das überhaupt keinen Sinn", meint Eldritch. "Vor allem, weil ich annehme, daß The Mission - zu ihrem Vorteil übrigens - mutig genug waren, eine ganz andere Platte zu machen als von ihnen erwartet wurde, und das ist wohl noch mehr von dem entfernt, was wir machen. Ob es gut oder schlecht ist, spielt keine Rolle, ich habe sie außerdem noch nicht gehört und kann nichts darüber sagen - es stört mich aber genauso, als würde meine Platte zusammen mit der neuen von Tonika Tikaram oder Wasp besprochen. Es besteht einfach kein Zusammenhang."
Das Original von "Temple Of Love" erschien, kurz bevor Wayne Hussey zu den Sisters of Mercy stieß. Zu dieser Zeit hatte der Drogenkonsum bei der Band Rekordhöhe erreicht, und Eldritch arbeitete beharrlich auf den eigenen körperlichen und seelischen Zusammenbruch hin - eine gnadenlose Tour folgte auf die andere, und er stand mitten in Verhandlungen um den besten Deal mit einer großen Plattenfirma.
Was hat sich für Eldritch verändert, seit "Temple Of Love" im Original auf die ahnungslosen, aber ewig dankbaren Tanzflächen in den Indie-Discos losgelassen wurde?
"Ich bin heute gesünder, aber noch immer nicht reich und berühmt", lacht Eldritch. "Ich will aber auch immer noch nicht reich und berühmt sein. Die Songs sollten reich und berühmt werden, und ich denke, einige von ihnen sind das auch. Ich glaube, was sich wirklich für mich geändert hat, ist, daß es jetzt nichts mehr gibt, was ich mir unbedingt beweisen muß, das ist ein sehr gutes Gefühl. Ich erinnere mich zwar nicht daran, daß ich in der Zeit, als das erste 'Temple' rauskam, rumgelaufen wäre und dachte, oh Gott, ich muß es ihnen allen zeigen, aber ich denke schon, daß das damals ein Problem war - und heute denke ich ganz bewußt nicht mehr darüber nach."
Zur Enttäuschung einiger verbohrter Fans ist "Temple of Love 1992" keine genaue Kopie des Vorgängers von 1983 ("Da singt eine Frau drauf und versaut alles...") - es ist die logische Steigerung zur Lichtgeschwindigkeit. Für den Weltmeister kinetischer Songs wäre Stillstand auch uninteressant gewesen. Aber immerhin deutete der schwere Gitarrensound, der auch die "Vision Thing''-LP geprägt hat, eine Kontinuität an, die noch nie so deutlich sichtbar war. Jede Sis!ers-Platte war anders: "First And Last And Always", "Gift", "Floodland" und "Vision Thing" waren zwar jeweils die logische Fortsetzung der anderen, aber klangen alle verschieden.
Zeigt diese Beibehaltung des "Vision Thing''-Stils, daß Eldritch mit dieser Art Heavy-Rock jetzt ganz zufrieden ist?
"Ich weiß nicht - es sind weniger Gitarren dabei als beim Orginal", überlegt Eldritch. "Viel weniger. Wenn die Leute zu mir sagen, du hast ein Rock-Album gemacht, dann meinen sie, es sind mehr Gitarren drauf. Das sagt mir nichts. Für mich hat schwer oder "heavy" nichts mit der Instrumentierung oder dem Arrangement zu tun; für mich sind einige Songs, die wir sehr minimal arrangierten, viel eher heavy. Heavy hat eher etwas mit Intensität und Unbarmherzigkeit zu tun und hängt nicht von den Instrumenten ab."
Vielleicht hatten die verschiedenen Stilrichtungen der einzelnen Platten eher etwas mit dem jeweiligen Line-up zu der Zeit zu tun. Das würde auch erklären, warum "Temple Of Love 1992" und "Vision Thing" verwandt klingen - die Besetzung hat sich schließlich kaum verändert. Nur Tim Brichenos Einfluß ist noch immer nicht einzuschätzen. Der frühere All About Eve-Gitamst wurde zu spät in die Reihen der Sisters berufen, um "Vision Thing" seinen Stempel aufzudrücken.
"Tim kam sehr spät zu der letzten Platte", erzählt Eldritch. "Gerade noch rechtzeitig, um ein paar Songs mit einzuspielen. Tim will sich auf dem nächsten Album sehr viel mehr einbringen, aber ich denke nicht, daß Andreas das beunruhigt."
Wird Tims Einfluß den rockigen Sound wieder in eine etwas komplexere, verspieltere Richtung führen? "Ja. In die Richtung, die ich immer M-62-Sound nenne", die M 62 ist die Autobahn, die von Liverpool über Manchester nach Leeds führt, "sie zieht eine Linie quer über den Norden Englands, und bei jedem nordenglischen Gitarristen, ob er aus Hull oder Leeds oder Sheffield oder Manchester oder Liverpool kommt, kann man hören, daß er von dieser Linie stammt. Diesen Sound habe ich auf 'Vision Thing' vermißt.
"Wann wird denn das nächste Studio-Album in die Läden kommen?
"Wir haben Ende April/Anfang Mai angefangen, daran zu arbeiten", erklärt Eldritch. "Ich weiß nicht, in der Vergangenheit habe ich ein Album in zehn Tagen geschrieben, aufgenommen und veröffentlicht, ich habe aber auch schon drei Jahre an einem Album gearbeitet. Ich habe keine Ahnung, wie lange es diesmal dauert."
"Some Girls Wander By Mistake", die neue Compilation-LP enthält alles von "Damage Done" bis zu "Temple Of Love" und alle dementsprechenden B-Seiten. Diese Tracks sind allesamt unberührt und nicht remastered, "noch unberührt von Menschenhand", wie Eldritch sich ausdrückt. In anderen Interviews hat Eldritch bereits erklärt, der einzige Grund für diese Veröffentlichung läge darin, daß sie ihm einen Mercedes bezahlt hat, der ihm jetzt so ans Herz gewachsen zu sein scheint. Vielleicht gibt es auch einen anderen Grund, wenn man bedenkt, daß die Sisters zu den meist gebootlegten Bands zählen, wie die WEA vor einiger Zeit bekannt gab. Die Sisters tauchen regelmäßig in den Bootleg-Charts neben Elvis oder den Beatles auf. Da das meiste Material dieser Bootlegs auch aus ihrer Independent-Zeit stammt, ist das vielleicht ein weiterer Grund für dieses Album?
"Ja, insoweit, daß viele Leute diese Platte kaufen wollen, ob legal oder nicht", nickt Eldritch. "Ich glaube, es sind sehr viele gute Sachen drauf, allerdings auch eine Menge Müll. Besonders die ganz frühen Songs sind mir heute ziemlich peinlich, und ich hätte sie lieber nicht wieder herausgebracht, aber die Leute wollen sie eben haben. Die Fans sind sehr gut zu mir gewesen, also weiß ich nicht,warum ich bis zu einem gewissen Punkt nicht auch gut zu ihnen sein sollte. Wenn man all diese Songs in den Originalpressungen kaufen wollte, würde man mehr als 3000 DM dafür zahlen - eine alberne Summe, die es einfach nicht wert wäre. Aber es gibt eben Leute, die das tun würden, und ich sehe nicht ein, warum man sie dazu zwingen sollte. Ich hätte diese ganzen Songs schon viel früher rausgebracht, aber es hat etwas gedauert, sich mit den Anwälten der anderen zu arrangieren."
Mit "die anderen" meint Eldritch die Ex-Sisters. Die Liste ist lang; Eldritch und Doktor Avalanche sind schließlich die einzigen, die von Anfang an dabei sind. Der erste, der ging, war Ben Gunn, der dann die Band Torch [nein! Die Band hieß "Anabas"] gründete, deren Spur sich schnell verlor. Gründungsmitglied Gary Marx folgte ihm ein bißchen später, er gründete zusammen mit Anne-Marie Ghostdance, die sich zunächst mal einen ganz guten Namen machten, bevor sie bei einem Major unterschrieben und daran scheiterten.
Kurz darauf machten Wayne Hussey und Craig Adams sich selbständig und gründeten The Mission, die immer noch gut im Rennen sind. Patricia Morrison verabschiedete sich nach "Floodland" von Eldritch', gerüchteweise soll sie jetzt entweder mit Killing Joke's Jaz Coleman spielen oder ihre eigene Band gegründet haben.
Der letzte, der seinen Hut nahm, war Tony James, der in die Geschichte einging, als er sich in einem verfremdeten Sisters-T-Shirt mit dem Aufdruck "Judas leaves the Sisters" fotografieren ließ, und der versuchte, für die exklusive Geschichte seines Abschieds ein paar Tausender aus der Presse herauszukitzeln. Wie stabil ist das Line-Up im Augenblick?
"Ich weiß es nicht", eröffnet Eldritch. "Viele Leute haben Andreas einen Solo-Deal angeboten, und ich glaube, er wäre blöd genug, das anzunehmen. Wahrscheinlich wird er probeweise gehen, und was er dann macht, hängt von ihm ab - was mich betrifft, ist er immer noch dabei, wenn er das will. Manchmal gehen die Leute, ohne daß sie danach groß etwas anderes täten, einfach weil sie meinen, es gäbe einfachere Wege als meinen. Ich gehe immer den schwersten Weg, nicht, weil er schwer ist, sondern, weil es der richtige ist, und das macht viele Leute müde."
Liegt das daran, daß du ein Perfektionist bist?
"Ja...."
Meinst du, andere Leute können damit umgehen?
"Nein, um es mit einem Wort zu sagen.
"Glaubst du, Andreas wird solo erfolgreich sein?
"Nein. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob er es machen will, aber die Vorstellung ist kein Problem für mich. Ich denke, er sollte es einfach mal versuchen, das braucht jeder mal. Für mich ist es einfacher, ich kann mich in anderen Dingen ausleben, die nichts mit der Band zu tun haben."
Wie bereits erwähnt, gehört zu denen, die die Sisters verließen, auch Patricia Morrison, die Eldritch auf einer Tour mit dem Gun Club kennenlernte. Nachdem sie diese Band verlassen hatte, tat sie sich mit Eldritch für das Sisterhood-Projekt zusammen und arbeitete dann offiziell an "Floodland" mit. Bevor dann die Aufnahmen zu "Vision Thing" begannen, sickerte erstmals durch, daß ihre Zusammenarbeit auseinanderbrach. Angeblich erhob sie Anspruch auf einen Teil des Profits, der ihr nicht zustand, und hat auch behauptet, die Hälfte des Albums geschrieben zu haben, das erst lange Zeit nach ihrem Abschied fertiggestellt wurde. Eldritch äußert sich verständlicherweise nicht gern zu dem Thema, wie das eben bei rechtlichen Auseinandersetzungen so ist, und gibt also nur einen äußerst knappen Kommentar dazu ab:
"Ihre Anwälte führen sich noch immer wie Idioten auf. Es ist schade, daß es so kommen mußte, aber sie ist einfach ein bißchen ausgerastet."
Patricia Morrison wurde am Baß von Eldritchs altem Kumpel und Sigue-Sigue-Sputnik-Frontmann Tony James ersetzt, der auch schnell den Posten des Privatsekretärs in der Band übernahm. Er verließ die Sisters in gutem Einvernehmen für eine Sputnik-Reunion, kurz nachdem sie ihrer Welttournee mit einem Auftritt beim Reading-Festival vor 30.000 Leuten die Krone aufgesetzt hatten.
Die Bassisten wechselten bei den Sislers in atemberaubender Geschwindigkeit, und diesmal geht Eldritch bei der Neubesetzung kein Risiko mehr ein.
"Ich denke, im Augenblick wird der Doktor Tonys Aufgaben übernehmen", meint er. Ob damit auch die Stelle als Privatsekretär gemeint ist, stand bei Drucklegung noch nicht fest.
Wird Doktor Avalanche auch bei den Liveshows Baß spielen?
"Ja. Wir werden mal sehen, wie das klappt." Eldritch wird ein bißchen lauter. "Es könnte sogar sehr interessant sein. Es wird uns dazu zwingen, uns wieder mehr an die alten Techno-Wurzeln zu erinnern, die immer noch von Zeit zu Zeit in unseren Songs lauem."
Obwohl Eldritch jetzt einen echten Terrninator-Haarschnitt hat (keinen schwarzen übrigens), ist er dennoch keine unfehlbare Maschine - er macht ebenso viele Fehler wie wir alle. Ebensowenig ist er der Fürst der Finsternis mit irgendwelchen Zauberkräften. Er ist so normal wie du und ich. Er ist auch kein zitterndes nervliches Wrack mit einem Haufen Neurosen. Verglichen mit vielen anderen Leuten, bekommt er die meisten Situationen mit einer schlauen Bemerkung oder einer intelligenten Replik im Griff. Ist dieses ständig falsch gezeichnete Portrait der Grund für das jetzige, unauffälligere Image?
"Ja. Es hängt mir zum Hals raus, immer wieder als der Herrscher aus der Gruft angesehen zu werden", nickt Eldritch. "Ich trage außerdem auch nicht mehr Schwarz als Alvin Stardust oder Johnny Cash. Es gibt Leute, die die Platten und auch die Fans - für die mir das sehr leid tut - danach beurteilen, wieviel Schwarz man trägt; daraus ziehen sie dann irgendwelche Schlüsse, und irgendwann muß man einfach einen Schritt in die entgegengesetzte Richtung machen, um sie davon abzubringen. Es ist mindestens sechs Jahre her, daß ich ganz in Schwarz unter die Leute gegangen bin, obwohl ich das persönlich gerne täte."
Fühlst du dich auch in anderer Hinsicht von der Presse mißverstanden?
"Ständig", seufzt Eldritch. "In einem gewissen Maß ist das unvermeidlich, aber es liegt zum Teil auch an der blöden Voreingenommenheit der Presse. Ich meine, ich habe schon oft, so oft, gesehen, daß sie Fotos von 1983 abdrucken, statt die zu nehmen, die wir ihnen erst vor ein paar Tagen geschickt haben. Das Problem der britischen Presse liegt darin, daß jede Redaktion so eine Art Politbüro hat, die die offizielle Linie fest legt, und dann schicken sie dir irgend jemanden, der dich darin einpassen soll. Letztendlich hat man immer mit Leuten zu tun, die einen dazu benutzen wollen, die eigenen Theorien zu verteidigen."
Vor kurzem veröffentlichte das englische Magazin "Select" ein Interview, in dem Eldritch als nervöser Mensch mit enormer Paranoia dargestellt wurde, also ganz anders, als man vielleicht erwarten würde. Von meiner eigenen Meinung mal ganz abgesehen - ist das ein wahres Bild des Eldritch hinter seinem Image?
"Ich fand das großartig", antwortet er überraschenderweise. "Mir gefiel dieses Interview wirklich, obwohl es wirklich schade war, daß der Typ so schockiert war, nur ein bißchen an der Oberfläche zu kratzen und darunter einen echten Menschen vorzufinden. Ich kann nicht verstehen, warum er so schockiert war, aber ich bin froh, daß endlich mal gesagt wurde, daß ich ein Mensch bin. Im Augenblick kommen viele Leute bei Interviews auf mich zu, die einen Herrscher aus der Gruft erwarten und auch wollen, und den bekommen sie nicht... anstelle daß sie dann ihre Vorurteile überwinden, jammern sie dann auf Artikellänge: "Ja, aber... aber... er ist gar kein düsterer Herrscher!" Ich verstehe nicht, warum das die Leute so schockiert. Ich bin keiner, ich war nie einer und will es auch nicht sein. Ich mache menschliche Platten für menschliche Leute, die vielleicht ein bißchen verdreht sind, aber das sind die meisten. Es ist eine verdrehte Welt.
Was mir in den letzten Interviews besonders gegen den Strich ging", fährt Eldritch fort, "war, daß mir vorgeworfen wurde, ich hätte mich von England abgewandt, weil ich nach Deutschland gezogen bin. Das ist so typisch kleingeistig Englisch. Ich sehe mich als Europäer, ich habe mich nicht von England abgewandt, nur weil ich zufällig in einem anderen Teil Europas lebe, der noch nicht mal weit weg ist. Jeder hier spricht fantastisch Englisch. Es ist ein einziges großes Land - wenn jemand von Kalifornien nach Texas zieht, tut man ja auch nicht so, als würde er jetzt auf einem anderen Stern leben."
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Break Out 1992
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Rock Power 1992
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Unknown Publication 1992/1993
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Broon: Typisch Skorpion
Indiecator - 2/1993
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"So konnte es mit mir und Eldridge [aua!] nicht weitergehen," beschreibt Andreas BROON seine Trennung von den SISTERS und ihrem Kopf. Nach dreijähriger Zusammenarbeit endete ihre Beziehung, nachdem bei den letzten gemeinsamen Aufnahmen klar war, daß Eldridge nicht bereit war, sich etwas von der Führung der Band aus der Hand nehmen zu lassen. Kurzerhand, aber lange vorbereitet, startete der eigenwillige wie universell talentierte Gitarrist der SISTERS sein eigenes Projekt. BROON war geboren. Im Vorwege hatte Andreas bereits seine Demos verschickt, um die sich die Majors der Republik begeistert rissen. Erstaunliches Gezerre wie im Nürnberger Kreidekreis setzte ein, "Auf einmal lassen sie dich in den besten Hotels absteigen, schicken Erste-Klasse-Flüge und setzen dir sogar leichte Mädchen auf die Bettkante, auf der anderen Seite erzählen sie dir Texte, die man höchstens einer Nachwuchsband erzählt, oder behandeln dich auf einmal wie den besten Freund des Hauses, wo du vorher nur der dumme Gitarrist warst.
Sehr verwirrend, das alles. Am Ende hab ich dann wohl doch Glück gehabt. Ich fühle mich bei Harvest inzwischen gut untergebracht."
Sein Debüt liegt eher im Mainstream-Rockbereich und wird sich dort gegen größere Konkurrenz behaupten müssen, als vorher die SISTERS im Dark-Feld. Ob ihm das gelingt? "Ich bin zuversichtlich. Schon seit ich vier war, spiele ich Gitarre und glaube, daß ich weiß, was ich tue. Was am Ende bei den SISTERS nicht mehr klappte, nämlich die Zusammenarbeit, läuft bei mir jetzt, weil ich alle Instrumente selber spiele."
Auch der Produzent Chris Tsangarides, der schon mit Gary Moore oder JUDAS PRIEST arbeitete, zog erstaunt die Augenbrauen hoch, als BROON allein erschien, war aber rasch überzeugt. BROON muß jetzt ganz von vorn anfangen, was ihn aber nicht abhält, auch wenn er es vorher leichter hatte. "Ich bin Musiker aus Leidenschaft. Für mich gibt es nichts anderes. Die Zeit mit den SISTERS war sehr positiv für mich, aber als sich Eldridge am Ende nicht einmal mehr meine Stücke anhören wollte, mußte ich einfach etwas Eigenes machen.
Ich habe damals wie Gott in Frankreich gelebt, aber das allein ist eben nicht genug, wenn du fühlst, daß etwas in dir sich ausdrücken muß. Außerdem war immer schon mein größter Traum, auch zu singen. Ich singe so verdammt gerne." Das tut er auf dem Debüt "Broon" und zwar nicht schlecht. Balladen und zornige Rocknummern, ein Album und ein erfüllter Traum.
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Broon im Huxley's
TAZ-BERLIN - 11 March 1993
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Als Andrew Eldritch mal wieder alle seine Mitschwestern gefeuert hatte, aber sich immer noch nicht traute, unter seinem eigenen Namen Platten zu machen, sah er sich gezwungen, die Sisters of Mercy komplett neu zu rekrutieren. Das war 1989, und unter den Auserwählten, die fortan dem Zeremonienmeister des schwarzen Gefühls den nötigen verhängnisvoll schwelgenden Background liefern sollten, fand sich auch ein ehemaliges Mitglied von Sigue Sigue Sputnik. Wir sehen also, Eldritch nahm sich nur die Besten.
Da er sich zu der Zeit just in Hamburg aufhielt, stolperte er wohl auch über einen Herren namens Andreas Bruhn. Der trug auch gerade schwarzes Leder, das paßte ganz hervorragend, also rein mit ihm in die Band. Die versammelten Knallchargen durften die dritte LP der Sisters of Mercy namens "Vision Thing" orchestrieren und die Begleitkapelle für die anschließende und werbende Tour mimen. Das trug sich zu im Jahre des Herrn 1989.
Vor gar nicht langer Zeit fühlte sich der Herr Bruhn offensichtlich mit seiner Statistenrolle nicht mehr ausgelastet und beschloß deshalb, eine Soloplatte machen zu wollen. Dafür dachte er sich den schön prägnanten Namen Broon aus, denn das klingt ja irgendwie englisch, und Andreas heißen ja auch schon so viele Leute.
Zur Promotion seiner eigenen Bemühungen vertraut er ganz auf seine ausführliche Vergangenheit als Gnadenschwester und behauptet trotzdem, etwas ganz anderes zu machen. Stimmt aber nicht. Über der gesamten Platte hängt der alles beherrschende Schatten von Eldritch. Ja, man hört noch nicht mal das ehrliche Bemühen heraus, irgend etwas anders machen zu wollen. Das Schlagzeug tom-tömmt genauso monoton wie bei den Sisters, um pünktlich zum Refrain hektischer zu werden. Die Songs sind ebenso episch, die Gitarre genauso gezügelt und verhalten-hinterlistig. Selbst der Gesang von Broon könnte mit einem Hauch Böswilligkeit als von Eldritch abgekupfert erscheinen.
Das alles ist nicht weiter schlimm. Vor allem, weil Broon nie die unheilvolle Größe des Meisterbeschwörers der dunklen Mächte erreicht. Sein Gruftrock funktioniert nicht wirklich, ihm fehlt die böse Seele. Was bleibt, ist halt Rock oder Sisters minus Gänsehaut. Was nicht heißen soll, daß solch ein mißlungener Versuch nicht auch anzuhören ist. Den richtigen Produzenten hat er sich jedenfalls gesucht. Chris Tsangarides hat schon für Judas Priest gearbeitet. Da weiß man, was man hat. Thomas Winkler
"Broon": Heute um 20 Uhr im Huxley's Jr., Hasenheide 108-114.
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Past, Present, Future
Subline - 10/1993
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Wie definieren sich die Sisters of Mercy im Jahre 1993? Wo stehen sie? Zur Überraschung aller Insider verkauft sich die aktuelle Sisters of Mercy-Compilation "A Slight Case Of Overbombing" extrem gut. Zum Redaktionsschluß stürmte die Zusammenstellung alter und neuer Sisters-Hits gerade die Top Twenty der deutschen Media Control-Verkaufscharts. Noch mehr überraschen allerdings der einzige neue Song des Albums: "Under The Gun". Ein hervorragend produzierter, exzellenter... Popsong. Oder wie der Melody Maker in einer seiner letzten Ausgaben bewundernd feststellt: "What a devilishly handsome rock'n roll love god... Andrew Eldritch."
Anläßlich der Veröffentlichung der Compilatlon bat Subline in Hamburg Sisters Of Mercy-Mastermind Andrew Eldritch zu einem Interview, was sich zu einen lockeren Smalltalk über seine neue Single, die Musikszene, Freunde, Fußball und das Leben an sich und in sich entwickelte. Den Ausklang des ca. einstündigen recht lockeren Gespräches bildete eine Foto-Session mit Andrew auf St.Pauli vor der Kulisse des Stadions und dem Hamburger Dom.
Subline: Es war eine ziemliche Überraschung für uns und deine Fans, daß du in diesen Tagen so etwas wie eine zweite "Best of..."-Zusammenstellung auf den Markt gebracht hast.
Andrew: Es handelt sich nicht um eine "Best of...". "Some Girls Wander By Mistahe", daß waren Babyphotos, und die neue Platte ist eine "Greatest Hits"-Zusammenstelluing, aber kerne "Best of...". Eine "Best of..." enthält wirklich nur das Beste eines Künstlers oder einer Gruppe, und "A Slight Case Of Overbombing" ist nur eine Zusammenstellung der Singles. Das ist ein riesiger Unterschied für mich.
Subline: "A Slight Case..." ist ja auch Volume One untertitelt. Wann können wir denn mit Volume Two rechnen? So in einem Jahr?
Andrew: So in ungefahr zehn Jahren, Ich habe halt vor, bis dahin noch eine Reihe von Hits zu schreiben, aber zwölf Hits in einem Jahr wären wohl doch etwas schwer. Volume One heißt auch, daß ich noch nicht bereit bin als Musiker in der Szene aufzuhören, was ja viele Leute Jahr für Jahr von mir erwarten. Ich bm schon so oft totgesagt worden, und ich habe mir gedacht, wenn ich diese Platte Volume One nenne, dann gibt es keinen Zweifel daran, daß ich noch einiges vorhabe.
Subline: Mit der neuen Platte präsentierst du ja genaugenommen kein neues Material, abgesehen von der aktuellen Single "Under The Gun". Das letzte Studio-Album "Vision Thing" liegt inzwischen auch schon drei Jahre zurück...
Andrew: ...das ist für mich nicht lange...
Subline: ...aber vielleicht für deine Fans...
Andrew: ...die sind es gewohnt zu warten. Die Gruppe gibt es ja seit 1981, die erste LP kam erst 1984, die zweite 1987, die letzte 1990. So drei Jahre brauche ich also schon für eine LP, und ich habe auch wenig Lust mich damit zu beeilen, erstens weil ich keine Motivation habe, am laufenden Band Musik zu fabrizieren und zweitens weil für mich eine LP halt gut sein muß. Ich möchte nur dann eine neue Platte veröffentlichen, wenn ich davon 100-prozentig überzeugt bin, daß alle Songs wirklich gut sind, und wenn dem nicht so ist, dann schweige ich lieber. Für mich ist es letzten Endes auch wichtiger, überhaupt so etwas wie ein Privatleben zu haben. Wenn man jedes Jahr eine neue Platte macht, und jedes Jahr auf Tournee geht, ist das kaum müglich.
Subline: Damit unterscheidest du dich sicherlich von neunsig Prozent der anderen Bands auf dem Musikmarkt.
Andrew: Genau dadurch wird jegliches Talent total verwässert. Ich verstehe nicht, woher der Druck in diesen Musikern, die das so praktizieren kommt; ich verspüre keinen solchen Druek in mir.
Subline: Hältst du dich denn für einen Perfektionisten was die Musik angeht?
Andrew: Ja, aber das heißt nicht, daß alles was ich mache perfekt ist. Manchmal kann Perfektionismus ein Fehler sein. Sowas tötet die Spontaneität.
Subline: Bei den Credits des einzigen neuen Songs "Under The Gun" werden zwei unbekannte Namen genannt: Wer sind "Hughes" und "Seeman".
Andrew: "Hughes" ist ein Mann und "Seeman" ist eine Frau. Die beiden sind Songwriter und haben vor zeha Jahren ein Stück geschrieben das "Two Worlds Apart" hieß. Ohne meinen Beitrag ist "Under The Gun" "Two Worids Apart". Ich habe das Stück praktisch von ihnen übernommen.
Subline: Handelt es sich bei "Under The Gun" dann um so etwas wie eine Coverversion?
Andrew: Nein, das Wort "Coverversion" hat eine rechtliche Bedeutung. Ich habe den Song umgeschrieben, hier ein bißchen verlängert, dort ein bißchen gekürzt und ihm ein neues Ende gegeben. Der Originalsong wurde vor zehn Jahren in Japan schon einmal veröffentlicht, aber er ist so gut wie unbekannt.
Subline: Wo wir gerade von Songs sprechen; wie entstehen eigentlich generell die Sistere-Songs?
Andrew: Das verrate ich dir nicht, das ist mein Geheimnis und wird es auch bleiben...
Subline: Okay, müssen wir respektieren...Du hast vorhin gesagt, daß es wichtigere Dinge gibt im Leben, als für dich ein neues Album zu machen. Was sind das für Dinge?
Andrew: Leben, einfach ganz normal leben, telefonieren, einkaufen gehen, Zeitung lesen und so weiter. Ich habe vor knapp einem Jahr meinen Führerschein gemacht, und kann jetzt spontan in andere Länder und andere Städte fahren. Wenn mir mal danach ist, fahre ich einfach nach Amsterdam. Und mir ist in letzter Zeit ganz schön oft danach...
Subline: Wieso ausgerechnet Amsterdam?
Andrew: Weil Amsterdam eine unheimlich geile Stadt ist. Ich geniesse es sehr, dort zu sein. Ich bin in letzter Zeit auch oft nach England gefahren, nach Leeds natürlich. Ich habe dort immer noch jede Menge Freiinde, die endlich seit einiger Zeit respektieren, daß ich versuche, etwas aus meinem Leben zu machen. Es kann einige Leute, die den ganzen Tag nur rumsitzen und kiffen, ziemlich nerven wenn jemand aus ihrem Umfeld plötzlich etwas mehr Willen und Aktivität neigt
Subline:Kiffen tötet ja auch die Kreativität...
Andrew: ...macht aber Spaß, und wenn man keinen Job in Aussicht hat, ist das schon ein Zeitvertreib.
Subline: Dich verbindet ja immer noch eine Menge mit Leeds, obwohl du jetzt in Hamburg wohnst. Bist du eigentlich noch Anhänger des Fußballclubs "Leeds United"?
Andrew: Das war ich eigentlich nie. Meine Lieblingsmannschaft, Manchester United, hat letztes Jahr die Meisterschaft gewonnen, und so habe ich nichts mehr was mich dort noch interessiert. Aber ich stehe jetzt sehr auf den FC St. Pauli, obwohl die in dieser Saison wohl kaum den Meistertitel holen werden. Borussia Dortmund in der ersten Liga finde ich auch sehr gut.
Subline: Eintracht Frankfurt ist in dieser Saison auch sehr stark
Andrew: Und Werder auch, oder Stuttgart.
Subline: Gehst du auch persönlich zu den Heimspielen des FC St. Pauli?
Andrew: Ja, natürlich.
Subline: Themawechsel. Du hast erst kürzlich einige Konzerte mit Depeche Mode im Ausland bestritten?
Andrew: Ja, es waren zwei Konzerte, in Belgien und in England, vor sechzig- bis siebzigtausend Leuten. Depeche Mode hatten zwei digitale 24 Spur Bandmaschinen hinter der Bühne, und eine Beleuchtung mit einem Equipment von mehreren Millionen Mark, aber eine schwache Show. Wir haben versucht, sehr viel Power und Krach dagegenzusetzen.
Subline; Wie waren die Reaktionen des Depeche Mode Publikums auf die Sisters-Show?
Andrew: Ich weiß nicht, denn es standen natürlich unsere Fans vorne, und wenn ich einen Gig mache, dann spiele ich nur für die eraten drei Reihen, was dahinter passiert interessiert mich überhaupt nicht.
Subline: Du gibst dieses Jahr auch ein Konzsrt in Deutschland, als Headliner auf einem Open Air Featival in. Losheim/Saar. Warum nicht mehr?
Andrew: Weil mir nicht mehr Angebote zugesagt haben. Wenn mir andere Angebote finanziell zusagen, dann werden wir auch da spielen.
Subline: Wird es eigentlich einen Videociip zu "Under The Gun" geben?
Andrew: Da bin ich noch unsicher. Nach meiner Meinung lohnen sich Videoclips finanziell auch nicht. In den vergangenen Zeitenhabe ich sehr viel Geld in Videoclips investiert, und das hat den Verkauf der Platten nicht unbedingt sehr weitergebracht.
Subline: Wiewürdest du eigentlich selbst "Under The Gun" charakterisieren. Es ist ja eigentlich eher ein untypisches Sisters-Stüek, eher ein Popsong.
Andrew: "Under The Gun" ist Jennifer Rush mit 'ner Uzi.
Subline: Was bedeutet eigentlich der doppeldeutige Album-Titel "A Slight Case of Overbombing"?
Andrew: To Bomb im englischen heißt soviel wie floppen". Nach meiner Meinung der pasasende Titel für ein Album mit "Greatest Hits", die teilweise keine waren, Es ist auch ein Anspiel auf das Bombastische, was die meisten Singles ja auch waren.
Subline: Hast du eigentlich auch Verkaufserwartungen an das neue Album?
Andrew: Ja, natürlich. Aber die Verkaufterwartungen die ich habe wird die Plattenfirma vermutlich nie erreichen.
Subline: In Deutschland?...
Andrew: In Deutachland und auch überall sonstwo. In Deutschland läuft es eigentlich ganz gut, aber es könnte vor allem im Ausland viel besser laufen.
Sublime: Aber Deutschland ist doch wohl der für dich kommerziell erfolgreichste Markt, oder?
Andrew: Ja, das stimmt schon, aber mich interessieren solche Gedankengänge nicht. Ich würde genau die selben Sachen machen, auch wenn kein Schwein die Platten kaufen würde. Ich habe ja auch durch das Projekt Sisters teilweise sehr viel Geld verloren.
Subline: Das wird sehr viele unserer Leser überraschen, wenn du sagat du hättest durch die Musik Geld "verloren". Wie kann so etwas passieren?
Andrew: Nun, die Produktion der Platten hat früher sehr viel Geld gekostet. Und dann bin ich nicht immer dort aufgetreten, wo ich das Optimale hätte verdienen können; ich habe meinen Mitarbeitern teilweise zuviel Geld bezahlt, Geld das ich damals nicht hatte, - undsoweiter.
Subline: Hast du eigentlich derzeit so etwas wie einen eigenen Manager?
Andrew: Nein, derzeit manage ich mich selbst. Ich würde mich aber zum Beispiel sehr für einen Manager in den Vereinigten Staaten interessieren.
Subline: Hast du eigentlich auch Interesse, andere Bands z.B. auch Newcomer zu produzieren?
Andrew: Ja, wenn ich davon überzeugt bin schon. Ich habe derartige Sachen auch schon umsonst produziert, wenn sie mir gefallen haben.
Subline: Wer sind momentan deine persönlichen Lieblingsmusiker?
Andrew: Bruckner, Mahler, Peace, Love & Pitbulls - beknackte Lyrics, aber super Musik, Utah Saints, weil sie meine Freunde sind, ein paar Sonderabmischungen von Alanah Miles, englische Volksmusik aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Ich höre in meiner Freizeit nicht soviel Musik, da ich ja jeden Tag direkt oder indirekt damit zu tun habe.
Subline: Schlußfrage dieses Interviews: Wie sieht es denn jetzt konkret mit einem neuen Album aus mit wirklich neuem Song-Material?
Andrew: Keine Ahnung! Ich habe mir gerade erst wieder Gedanken über das Songschreiben gemacht. Ich habe schon einige Stücke im Hinterkopf. Texte existieren noch keine... ein paar Songideen aber noch keine fertigen Stücke. Das wird wohl noch eine Weile dauern.
Subline: Vielen Dank für das Interview!
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Ashes to Ashes
NM!Messitsch - 11/1993
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Als ich vor kurzem aus Gründen des Platzmangels einmal wieder meinen Plattenschrank entrümpelte, fiel mir ein schon längst in Vergessenheit geratener Live-Mitschnitt einer Gruppe namens Sex Gang Children in die Hände. Nie etwas gehört von dieser Band? Ist auch nicht weiter schlimm, heutzutage muß man die wirklich nicht mehr kennen. Vor ungefähr zehn Jahren waren sie ziemlich hip, galten als so eine Art Aushängeschild der Gothic Szene, Ihr wißt doch, jenem Schwarzkittelkollektiv, das modisch dem Vorbild eines Grafen Dracula huldigte, zu dessen favorisierten Versammlungsplätzen folgerichtig auch der nächstgelegene Friedhof gehörte und dessen Philosophie respektive Lebenselexier sich aus einer kruden Mischung aus Jean Paul Sartre und romantischem Ideengut rekrutierte. Die beiden Hymnen der Bewegung waren "Bela Lugosi's Dead" von Bauhaus und "Temple Of Love" der Sisters Of Mercy. Zwei Scheiben, die auch ich damals bis zum Erbrechen rauf und runter gespielt habe, allerdings schon vor längerer Zeit einer
meiner Aufräumarbeiten zum Opfer fielen und nun in irgendeinem Pappkarton vor sich hin siechen. Ausgehend von meinem jetzigen musical state of mind wird sich innerhalb der nächsten Jahre am Schicksal dieser Platten auch nichts grundlegend ändern, bis sie eines schonen Tages den Weg alles Vergänglichen gehen werden. Ashes to Ashes, Dust to Dust.
Andrew Eldridge [Anm.: so stand es nunmal in diesem Artikel, ich habe keine Lust, die Schreibweise ständig zu korrigieren. v.] meint, ich solle diese beiden Platten mit etwas mehr Sorgfalt behandeln, sie könnten eines Tages vielleicht einmal sehr viel Geld wert sein. Andrew Eldridge ist heute schon sehr viel Geld wert, denn dieser kleine, unscheinbare Mann mit den kurzen, platinblond gefärbten Haaren ist der Vater von "Temple Of The [AUA!] Love" und damit gleichzeitig Kopf, Herz und' Seele der Sisters Of Mercy. Weil er eben so erfolgreich ist, kann er es sich leisten, über jede noch so berechtigte Stimme der Kritik nonchalant hinwegzugehen. Wie sagte doch schon E. Geibel: das ist die klarste Kritik der Welt, wenn neben das, was ihm mißfällt, einer ein eigenes, besseres stellt. Anders ausgedruckt ließe sich natürlich auch konstatieren, die Wurzel jeglicher Kritik liegt im Neid, und wer machte einem Menschen wie Andrew Eldridge' schon seinen Erfolg neiden, lange genug þuf3te er darauf warten, hart genug muf3te e darauf hinarbeiten. Typischer Fall von richtiger Musik am richtigen Ort, aber zur falschen' Zeit. Jetzt, im Herbst 1993 also 13 Jahre nach ihrem ersten öffentlichen in Erscheinung treten, stimmt eigentlich alles. Man geht auf Promo-Tour durch alle wichtigen Absatzländer Europas, man gastiert als Headliner auf dem ein oder anderen Open-Air-Festival und veröffentlicht im Vorbeigehen noch seine erste Greatest-Hits-Compilation, die einerseits die Zeit bis zur Fertigstellung eines Albums mit, Neukompositionen zu überbrücken hilft und andererseits die durch die langen Produktionspausen leergewordenen Kassen wieder füllt. Business as usual eben. Auch ein selbsternannter Individualist kann sich solchen Gesetzmäßigkeiten nicht entziehen, er kann jedoch innerhalb eines festgesetzten Rahmenwerkes sein eigenes Regelwerk aufstellen. Konsequenterweise formuliert sich dann das künstlerische Selbstverständnis nicht in der Form von "Give the people what they want" sondern "The people have to take what the artist wants". Eine Devise, die selbstverständlich nur solange funktioniert, wie der Konsument mitspielt.
Im Falle der Sisters Of Mercy frißt das Publikum seinem Herrn und Meister aus der Hand. Ein Tatbestand, der sich allein schon darin manifestiert, daß trotz massiver Medienpräsenz, mehr als respektabler Plattenumsätze und dem damit unvermeidlich einhergehenden Popstartum Andrew Eldridge nicht auch nur einen Deut an Street-Cred verloren hat. Ganz allgemein und damit weit über die eigene Gefolgschaft hinaus assoziiert man den Begriff "Underground" im Zweifelsfalle eher mit einem Andrew Eldridge als mit einem Kevin Saunderson. Bei dem Angesprochenen selbst stoßen solcherlei Begrifflichkeiten eher auf Unverständnis. "Ich mag es überhaupt nicht wenn ich mit Termini wie Underground, Kult oder Independent in Verbindung gebracht werde. Ich kenne nicht einmal die Bedeutung dieser Worte. Independent sind wir vielleicht im Sinne von independent in our minds."
Die Suche nach einem Erklärungsmodell für die Faszination der Sisters auf ihre Fanscharen hinterläßt beim Objekt der Begierde denn auch selbst eher den Hauch von Hilflosigkeit. "Wir kümmern uns um unser Publikum. Wir werden seinen Bedürfnissen gerecht. Das soll nun nicht heißen, daß wir uns normalerweise nach den Wünschen unserer Zuhörer richten, mittlerweile wissen wir ganz genau, was sie brauchen. Wir waren unseren Fans nur immer eigentlich einen Schritt voraus, und wir haben sie dahingehend erzogen, unseren Veröffentlichungen mit der entsprechenden Sorgfalt entgegenzutreten, unsere Songs nicht nur von der Oberfläche her wahrzunehmen, sondern auch Zwischentöne oder kleine, versteckte Details herauszuhören. Eigentlich kann man das nicht als Erziehung bezeichnen. Unser Publikum erwartet von Rock'n 'Roll einfach mehr als ein paar Gitarren auf der Buhne und Texte im Stil von Oh Baby Baby. Von diesen Leuten gibt es mehr als allgemein angenommen, sie werden von den meisten Musikern jedoch ignoriert, weil die sich lieber der Frage zuwenden, wie sie reich und berühmt werden. Ich gehe auf meine Hörer ein, und wenn es mich weitere zehn Jahre kostet, bis ich reich und berühmt werde. "
Gar keine Frage. Es wäre nicht nur falsch, sondern auch geradezu dreist, Sisters Of Mercy in einem Atemzug mit Guns n'Roses zu nennen (das konstatiere ich jetzt völlig wertfrei), aber auch ein Eigenbrötler wie Andrew Eldridge kann sich nicht ganz der Business-Seite des Rock'n'Roll entziehen. "Ich schreibe einfach nur Songs. Ob sie dann auch gekauft werden liegt nicht in meiner Entscheidungsgewalt, sondern in der der Öffentlichkeit. So viele verschiedene Fakten spielen bei der Frage nach den Verkaufszahlen eine Rolle. Bedient sich deine Plattenfirma der geeigneten Promotionmaßnahmen, läuft der Song im Radio, wird das Video im Fernsehen gezeigt. Die Entscheidung, ob und wann die Platte gekauft wird, kann ich nicht beeinflussen. Hier in Deutschland fragt man mich nach den Gründen für meinen kommerziellen Wandel 1987 im Zusammenhang mit This Corrosion. In anderen Ländern wundert man sich, wieso ich l984 plötzlich sichere Mainstreamgefilde in Richtung Rock'n 'Roll verließ. Für mich bleiben solche Begebenheiten ein ewiges Rätsel. Deshalb setze ich mich hin, schreibe neue Kompositionen und überlasse den Rest denjenigen, die etwas davon verstehen oder dies zumindest glauben. Ich lasse mich jedesmal überraschen, zu welchem Zeitpunkt welcher Song in welchem Land ein Hit wird."
Mit der aktuellen Single-Veröffentlichung "Under The Gun" sind auf jeden Fall erst einmal die Weichen für eine Überraschung positiver Art gestellt. Will heißen, die Reise geht in Richtung sicherer Hit, und zwar länderübergreifend, MTV sei's gedankt. Dieser Song ist übrigens die erste und leider Gottes auch einzige Neuveröffentlichung Eldridges seit den Arbeiten zu seinem letzten Studio-Longplayer "Vision Thing", und die liegen ja nunmehr drei Jahre zurück. Keine Frage, Eldridge ist nicht gerade the hardest working man in Show-business. Ganze vier Alben (einschließlich der Sisterhood-Produktion) in immerhin 13 Jahren zeugen davon, aber eine einzige Neukomposition als kreativer Output dieser nun wahrlich nicht mehr taufrischen Dekade ist selbst für seine Verhältnisse etwas mager. Gehen ihm etwa langsam die Ideen aus? "Von mir aus könnt Ihr das ruhig meinen, ich weiß es aber besser. Die Wartezeiten zwischen den einzelnen Alben dauern bei mir immer so lange, weil ich mir für die einzelnen Songs die entsprechende Zeit lasse bzw. Material das nicht meinen eigenen Ansprüchen genügt, aussortiere. Qualitätskontrolle nennt man sowas, glaube ich. Davon abgesehen, wenn ich nichts zu sagen habe, schweige ich eben. Ich ignoriere Buchhalter die mich mit zerknirschtem Gesicht darauf aufmerksam machen, daß es wieder Zeit für ein neues Album wäre. Zwischen den Aufnahmen für eine neue Platte möchte ich ein ganz normales Leben führen. Dafür brauche ich natürlich die entsprechende Zeit. Wenn man zwischendurch kein normales Leben führt schreibt man anders, und das Ergebnis wäre dann nutzlos. Diesmal habe ich die Lücke mit einem Greatest-Hits-Album geschlossen, denn das ist der Gang der Dinge. In zehn Jahren, nach den nächsten drei Studio-Alben, werden dann die Greatest Hits Vol. II erscheinen. Du siehst, ich habe noch einiges vor" Die Marschroute für die Zukunft ist von Andrew Eldridge also schon festgelegt, aber auf welchem Vehikel die Reise fortgesetzt werden soll, scheint wohl eher auf der Basis zweckgebundener Überlegungen an Ort und Stelle entschieden zu werden. Produktionstechnisch gesehen befinden sich die Sisters of Mercy momentan schon in jenem Stadium, das für das Perfektionsbestreben sogenannter Dinosaurier aus den späten Siebzigern charakteristisch war. Die alte Weisheit "weniger ist oft mehr" hat Eldridge auf unabsehbare Zeit aus seinem Erinnerungsvermögen gestrichen, stattdessen bedient er sich jeder nur erdenklichen Klangspielerei und bringt dabei pro Komposition so viel unter wie nur irgend vertraglich. Spontaneität ist in solcher Umgebung eher lästig. Ausnahmen wie ein gemeinsamer Auftritt mit den britischen Stadion-Ravern Utah Saints bestätigen nur die Regel; etwaig entstehende Ecken und Kanten weichen dem Prinzip der Stromlinienförmigkeit. Bestens belegbar durch die Neuaufnahme des schon erwähnten Klassikers "Temple Of Love".
Geschmackssache, mag der ein oder andere entgegnen. Destodrum beenden wir dieses Thema und wenden uns den angenehmeren Dingen des Lebens zu, und da bietet die "Temple Of Love"-Version 1992 die bestmögliche Überleitung, denn nicht wenige Beobachter waren der festen Überzeugung, daß das Zusammentreffen Eldridges mit Ofra Haza anläßlich der Neubearbeitung des Stuckes nicht ausschließlich auf die künstlerische Ebene beschrankt blieb. Romantisch veranlagte Gemüter vernahmen sogar schon die Hochzeitsglocken läuten. "In diesem Fall entsprechen die Gerüchte ausnahmsweise der Wahrheit. Läge die Entscheidung allein in meinen Händen, waren Ofra und ich schon lange ein Ehepaar. Leider scheint sie diese Gefühle mit mir nicht ganz zu teilen. Das würde mich normalerweise persönlich gar nicht so sehr treffen, denn schlußendlich muß jeder selbst wissen, welcher Pfad zum Glück in seinem Leben führt, bloß was würdest du davon halten, wenn dich deine Angebetete wegen eines Mannes mit Namen Kevin sitzen läßt? Nicht, daß ich an diesem Mann konkret irgend etwas auszusetzen hätte, ich kenne ihn ja nicht einmal, aber alleine schon dieser Name, Kevin, das kann doch wohl nichts werden. Das wäre ja so, als würde deine Freundin statt deiner einen Kerl namens Helmut heiraten."
Kamen die Antworten zu den vorherigen Fragen eher verhalten, manchmal auch zynisch bis verärgert, so scheint Andrew Eldridge bei diesem Thema endgültig aus seiner Lethargie zu erwachen. "Mal davon abgesehen, daß ich sowieso zur Presse ein zwiespältiges Verhältnis habe, kann ich die Journalisten nun wirklich nicht verstehen, die immer die gleichen Fragen stellen und - noch schlimmer - darauf auch immer die gleichen Antworten erwarten. Wieso fragt man mich eigentlich nicht nach Dingen, über die man wirklich etwas erfahren möchte? Andauernd befragt man mich über Sachverhalte, die längst der Vergangenheit Angehören und die inzwischen keine Relevanz mehr besitzen. Glaubst du wirklich, daß auch nur einer deiner Leser etwas über die Entstehung unseres Gruppennamens oder den Grund für den Split unserer ersten Besetzung wissen mochte?"
Recht hat er, der Gute, nur um ganz ehrlich zu sein, hege ich wiederum Zweifel, ob unsere abschließende Diskussion über den Stellenwert diverser linguistischer Untersuchungen, angefangen bei Wittgenstein über Chomsky bis hin zu Jacques Derrida, für den Leser von gesteigertem Interesse ist. Nein, wohl kaum anzunehmen, zumal das ausgewiesene Sprachgenie (eigenen Angaben zufolge beherrscht er ein gutes Dutzend Sprachen mehr oder weniger fließend) selbst anderen Bereichen weitaus mehr Aufmerksamkeit schenkt als sprach- oder literaturwissenschaftlichen Studien. "Die einzigen Dinge im Leben, die mich wirklich interessieren, sind meine Songs, meine Katze und mein Computer." Erstaunlich. Nicht etwa, daß gegen diese Art von Lebensinhalt grundsätzliche Bedenken bestehen wurden, aber jemandem, der sich selbst als very political animal charakterisiert, unterstellt man unweigerlich etwas mehr soziales Potential. "Meine Texte wenden sich nicht an die Personengruppe, die die gesammelten Werke von Fugazi ihr Eigen nennt sondern an den durchschnittlichen Musikkonsumenten, der noch offen für neue Erkenntnisse ist. Meine Kritik am politischen System Amerikas äußert sich nicht in Hetz-Parolen, sondern am Beispiel einer Liebesbeziehung zwischen den Vertretern zweier unterschiedlicher Rassen."
Alles in allem ist dieser Punkt aber nur einer von vielen Ungereimtheiten, die die Person Eldridge umgeben. Weitaus auffälliger ist sein steter Wechsel von der Ich- in die Wir-Form in seiner Funktion als ' Repräsentant der Sisters Of Mercy. Wie eingangs schon erwähnt beherrscht er sein Imperium mit diktatorischer Strenge. Widerspruch oder eigene Ideen sind strengstens untersagt. Seine Mitmusiker fügen sich denn auch anstandslos in diese Rahmenbedingungen. Zu groß ist der Respekt vor ihrem Herrn und Meister. Sie selbst genügen sich in der Funktion des ausführenden Organs. "Wahrend ihrer Gründungszeit betrachtete ich die Sisters als eine wirkliche Band, aber dieser Zustand war nur von kurzer Dauer. Das Wesen der Sisters existiert in meinem Kopf von der jetzigen Situation ausgehend kann ich mir auch nur schwerlich vorstellen, meine Person innerhalb des Bandgefüges unterzuordnen. Das soll allerdings nicht heißen, daß ich für die Ideen meiner Mitmusiker kein offenes Gehör zeige. Es ist nur meist sehr schwer Vorstellungen von außerhalb in Einklang mit meinem eigenen sehr konkreten Verständnis des Erscheinungsbildes zu bringen."
Wie schwer ein solches Verständnis tatsächlich ist, filtert sich alleine schon beim Versuch der Charakterisierung des typischen Sisters-Sounds heraus. Zustandsbeschreibungen wie melancholisch, duster oder gar depressiv halt Eldridge im Zusammenhang mit seiner Musik für geradezu abstrus, enthält sich andererseits jedoch der Offenlegung seiner eigenen Definition. "That's not my problem. That's your problem. Please, don't bother me with your problems."
Wie meinte Eldridge doch so nett am Anfang unseres Gesprächs? "Auch wenn du mir die erwartet langweiligen Fragen stellst werde ich versuchen, dir interessante Antworten zu geben. Interessante, nicht ehrliche."
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Eldritchs Memoiren?
INTRO - 12/1993
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Er könnte der "Franz Beckenbauer der melancholischen Musik" sein denn... Andrew Eldritch kreierte völlig neue Stile in seinem Tätigkeitsfeld und wandte sich danach anderen Projekten zu, genau wie der "Kaiser" aus dem Bayern-Lande. Eine weitere Parallele scheint zu sein, daß beide Personen schwer erreichbar sind: Das folgende Interview war lange geplant und terminiert, wurde jedoch immer wieder abgesagt oder verschoben.
Eldritch beglückte den Plattenmarkt gegen Ende August '93 mit dem fünften regulären Album der SISTERS OF MERCY, die nun wieder mehr oder minder ein Soloprojekt des gebürtigen Engländers mit Hamburger Wohnsitz, darstellen dürften. "Greatest Hits Volume One - A Slight Case Of Overbombing" ist trotzdem nicht so richtig neu, denn es enthält die Single-Erfolge der Band aus den Jahren 1984-93. Es komplettiert die Wiederveröffentlichung alter Hits, denn bereits 1992 wurden die unabhängig (um nicht zu sagen »independent«) erschienenen Maxis des Veröffentlichungszeitraums 1980-83 auf CD gebannt.
Der Song »Under the Gun«, gesungen im Duett mit Terri Nunn, ist somit das erste richtig neue Statement der SISTERS seit dem 1990er "Vision Thing". Damals heavy/hard im »Bandgefühl« eingespielt & promotet, klingt die musikalische Welt des Andrew E. anno '93 eher verträum/chartorientiert (was kein Kritikpunkt sein soll, denn jeder arbeitende Mensch versucht, sein »Schäfchen« so schnell als möglich ins »Trockene« zu bringen).
Zum Gespräch erscheint Eldritch in weiblicher Begleitung, »als Zeuge, weil in der Presse soviel falsches über mich geschrieben wird.« Halb spaßig dahergesagt, dürfte diese Bemerkung trotzdem einen wahren Hintergrund haben. Besonders in England häuften sich (angeblich) die Falschmeldungen.
Da sich lange Erkläruagen über den Werdegang der SISTERS OF MERCY wohl erübrigen, soll im folgenden nur der Inhalt des Gespräches Beachtung finden.
Die neuen Musiker / die neue Band:
»Es war nur ein Neuer dabei (bei den Konzerten August/September). Sein Name ist Adam Pearson, er stammt aus Leeds.. Andreas Bruhn war wieder dabei, sein Solo-Projekt läuft nicht so gut wie das von Tim Bricheno. Deshalb hatte er Zeit, Tim nicht.«
Fernsehen:
»Wir sind in Ronny's Pop-Show mit Schlagzeuger aufgetreten, weil uns die gesamte Band so angeboten wurde und um zu zeigen, daß man/frau das Fernsehen nicht so ernst nehmen kann. Im englischen Fernsehen traten wir z.B. mit Rodney Orpheus auf. Er machte an den Keyboards eine Show, wie sie von Eno bekannt ist, er trat quasi als unser Eno auf.«
Bests-Of-B-Sides-Sampler:
»Eine solche Compilation wird es erst noch nicht geben, nicht vor dem nächsten Studio-Album. Ich weiß, daß die Leute es nun von mir erwarten, und die Fans wollen die Songs auch auf CD, aber drei Alben mit alten Stücken hintereinander wären wohl doch ein bißchen zuviel. Ich hatte bisher einfach noch keine Zeit, neue Songs zu verfassen, werde mich jetzt aber wieder damit befassen.«
Eldritch betont, übrigens das ganze Interview perfekt deutsch redend (unser erstes gemeinsames Interview '90 fand in englisch statt, das zweite, '92, wurde 50/50 in deutsch/englisch geführt), daß es noch kein festes Konzept für das kommende Werk gibt, trotzdem könne es wieder, gegenüber »Under The Gun«, ungleich "härter" werden. Die dann daran beteiligten Musiker werden jeweils zum Material passend ausgewählt werden/worden sein.
Mitsprache:
»Mitreden darf jeder, es fragt sich nur, ob ich darauf eingehe oder zuhöre!«
Kollegen:
»Heute sollte eigentlich die neue Platte von MOTÖRHEAD in den Läden sein. Aber sie war nirgends aufzutreiben, was ich sehr bedaure, denn ich mag MOTÖRHEAD sehr gerne.«
Auf GARY GLITTER angesprochen, erwidert Eldritch, daß in der Vergangenheit durch den Rhythmus von Dr. Avalanche genügend Anleihen an GARY GLITTER gemacht wurden, daher in Zukunft keine mehr Beachtung finden werden. Er sah GLITTER mehrmals live in concert und genoß die Shows. Im Gegensatz zu der schwachen Vorstellung DAVID BOWIEs mit TIN MACHINE. Das läge jedoch nicht am Alter, »denn "Hunky Dory" hat mich daimals auch enttäuscht« (Anm.: »Hunky Dory« von DAVID BOWIE erschien zu Beginn der 70er-Jahre). Das Tour-Comeback der VELVET UNDERGROUND verstehe er sehr gut, »warum sollten die VELVETS nicht nach all den Jahren nicht endlich ein bißchen Geld mit ihrer Musik verdienen.«
Merciful Release:
»Merciful Release gibt es auch weiterhin noch. Demnächst wird eventuell abermals eine andere Band auf diesem Label ein Album herausbringen, ansonsten ist es den SISTERS vorbehalten und wird nur noch durch mich vertreten.« Im Laufe des vergangenen jahres hatte Ex-Merciful-Act James Ray des öfteren verkündet, daß Merciful Release nicht existiere. »Wenn James Ray keinen Erfolg hat, dann liegt es nicht an mir. Und wenn er unzufrieden ist/war, sollte sich lieber bei mir beschweren, als woanders.«
Produzententätigkeiten:
»Es war wie Zusammenarbeit mit PRONG im Gespräch, doch das Material war noch nicht fertig. Vielleicht klappt es noch. Ansonsten gab es diesbezüglich Gespräche mit Tori Amos. Meistens ist ein Großteil der ernsthaften Angebote aber so scheußliche Musik, daß ich dazu keine Lust habe. Damit es zu einer Co-Produktion kommt, müssen drei Dinge zusammenkommen: a) Spaß/Lust, b) Zeit, c) gute Musik. Obwohl man es eigentlich beim Produzieren einfacher hat. Man erledigt seine Arbeit und gut. Man braucht keine Interviews zu geben und nicht zu promoten.«
Interviews:
»Im/während eines Interviews bin ich ein anderer Mensch. Viele Leute fragen nur "warum habt ihr diesen Namen", "was bedeutet er" oder "wie lange spielt ihr schon zusammen." Bei diesen Sätzen schalte ich dann meistens schon ab. Es hat nichts mit dem wirklichem Leben zu tun.«
Reales Leben:
»Das wirkliche Leben besteht für mich aus Freunde-besuchen, mit-Katzen-spielen, Staubsaugen, faxen (für die Arbeit, ich habe keinen Manager) oder aus dem Wetter - ob es regnet oder nicht.«
Technik:
»Man braucht nicht immer die neuesten Sachen. Ich kaufe nur alle paar Jahre einmal richtig ein. Ich beschäftige mich mehr mit den Dingen, als nur einmal die Bedienungsanleitung zu lesen und die Sache dann zu verwerfen. Ich finde es viel interessanter, aus den vorhandenen Sachen das Bestmögliche herauszuholen.«
Kultur:
»Manchester United ist englischer Fußballmeister geworden, nun bin ich quitt damit. Es interessiert mich nicht mehr. Im deutschen Fußball bedaure ich sehr, daß Borussia Dortmund so schlecht dasteht. In Hamburg gehe ich alle zwei Wochen, wie ich Zeit habe, zu den Spielen des FC St. Pauli.« (Besonders das zweite Tor aus dem Saarbrücken-Spiel hat es für ihn in sich. Regelgerechtes Gegentor oder regelwidrig erzielt?)
Eldritch scheint gelassener geworden zu sein, er selbst sagt, daß er mit der Zeit geduldiger geworden sei. Probleme mit »alten« Ex-SISTERS-Kolleginnen habe er auch nicht, nur in Interviews werde er immer wieder danach befragt. Nur von der eingangs erwähnten »falschen« Berichterstattung hat er die Nase voll. »Ab jetzt wird angeklagt, darum ist auch meine Kollegin dabei. Sie paßt auf, daß im Nachhinein nicht falsch zitiert wird. Die Sache vor kurzem mit dem Abendblatt hat mir gereicht. Nun hab ich's satt!"
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Raus aus der Gruft
WOM-Journal - 12/1993
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Die Szene könnte aus Polanskis "Macbeth" sein: Ein heftiger Gewitterschauer geht über Hamburg nieder als ich dem Boß der SISTERS OF MERCY zum Interview gegenübersitze. Immerhin bringt ihn das düstere Wetter dazu, die berühmte Sonnenbrille abzusetzen - ein Requisit, ohne das Andrew gleich viel weniger wie Eldritch aussieht.
Vor kurzem haben die Sisters Of Mercy sich mit der Compilation "A Slight Case Of Overbombing" zurückgemeldet, auf der als einzig neuer Track die Single "Under The Gun" enthalten ist. Das letzte reguläre Album ist drei Jahre alt - die Muse küßt Andy nur selten.
"Ich habe einfach nicht so viel zu sagen. Außerdem dauert es immer sehr lange, bis ich mit den Texten zufrieden bin. Musikalisch kenne ich mich nicht so aus. Das, was ich selbst schreibe, kann ich spielen, aber ich bin kein guter Musiker werde auch nicht besser."
Andrew, sprachbegabter Ex-Oxford-Student, ist trotzdem fasziniert vom Rock'n'Roll, "weil er so großartig blöd ist. Deswegen habe ich auch mal auf einer Gary-Moore-Platte mitgesungen. Ich wollte wissen, was bei einer Heavy-Metal-Band im Studio abgeht." Bei den Aufnahmen mit Ofra Haza für "Temple Of Love 1992" gab es da schon mehr Spannung - allerdings wollte Andrews Traumfrau die Zusammenarbeit leider nicht weiter ausbauen. "Das Problem war, ich wollte gleich im Anschluß daran mit ihr 'Je t'aime' aufnehmen, aber so richtig stöhnen wollte sie irgendwie nicht."
Dafür durfte er sich für das Video der neuen Single "Under The Gun" (mit Terri Nunn von Berlin) ausziehen. "Purer Sex, nech'?", grinst Andrew, dessen fließendes Deutsch von einer Mischung aus britischem Akzent und Hamburger Dialekt gezeichnet ist. Für eingeschworene Gruft-Fans ist Terris poppiger Gesang sicherlich ein harter Schlag, aber Eldritch hat das Finsterling-Image sowieso langsam satt. "Die neue LP ist dazu da, neue Freunde anzubaggern."
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Super-Bang
Bremer 12/1993
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"Zu Beginn hatten wir weder Geld noch ein eigenes Equipment, unsere ganze Energie konzentrierten wir darauf, in jedem Konzert noch lauter zu sein als beim vorherigen", schrieb Andrew Eldritch, der Kopf von Sisters Of Mercy, rückblickend in einer Infobroschüre. "In manchen Nächten konnte man gar kein Lied erkennen."
Mit Songs wie 'Alice' und 'Temple Of Love' verzeichneten sie bald erste Erfolge in den Independent-Charts, gleichzeitig jedoch kriselte es hinter den Kulissen. 1983 wechselte Marx zu der Formation 'Ghost Dance' und wurde durch Wayne Hussey ersetzt. [Anm: Das ist natürlich Quatsch. 1983 verließ Ben Gunn die Band, Gary Marx ging erst 1985 zu GHOST DANCE.] Nach dem ersten Album bei einer Major-Company 'First & Last & Always' krachte es wieder. Noch vor den Aufnahmen zu dem Album 'Floodland' verließen Adams und Hussey die Band, um 'The Mission' zu gründen. "Die anderen wollten ständig unterwegs sein, und ich hatte dazu keine Lust", erklärt Eldritch den damaligen Zwist.
Patricia Morrison hieß zwischenzeitlich die 'Fürstin der Finsternis' an Eldritchs Seite, doch im Herbst 1989 warf auch die Ex-Gun-Club-Bassistin das Handtuch, Einzig und allein der zur Menschmaschine apostrophierte Drum-Computer 'Doktor Avalance' überlebte das vergangene Jahrzehnt an der Seite des Sängers.
Anfang der 90er Jahre hatte Eldritch eine neue Band zusammengestellt: Tim Bricheno (Ex-All About Eve), der Bassist Tony James (Ex-Generation X) und der bis dahin nahezu unbekannte Hamburger Studiomusiker Andreas Bruhn. Auf der gemeinsam eingespielten CD 'Vision Thing' verließen Sisters Of Mercy die düsteren Gefilde hin zu weitaus rockigeren Klängen. Die Keyboards wurden auf ein Minimum reduziert, dafür dominierten harte treibende Gitarrensequenzen. Auf seine Vorliebe für bombastische Arrangements wollte Eldritch jedoch auch diesmal nicht verzichten. Die erfolgreiche Single 'More' produzierte er wieder gemeinsam mit Jim Steinman (Meat Loaf, Bonnie Tyler). Steinman hatte bereits auf der CD 'Floodland' den Titel 'This Corrosion' durch opulente Chöre aufgewertet und dadurch den Sprung in die deutschen Top 20 ermöglicht.
Das neue Album 'A Slight Case Of Overbombing‘ (Greatest Hits Vol. I) (East West Records) ist nun eine Werkschau der Sisters-Geschichte. Einer Geschichte, die den hohen Musikerverschleiß des Egozentrikers Eldritch demonstriert, dem inzwischen auch Tony James und Andreas Bruhn zum Opfer fielen. Die Retrospektive 'A Slight. . . ' umfaßt neben den bekannten Hits auch die neue Single 'Under The Gun'. Die einstige Abneigung gegenüber Live-Konzerten hat sieh inzwischen gelegt. Bereits 1991 tourten die 'Schwestern' rund um die Welt.
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Der ungereimte Mann
6. Dezember 1993
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Nicht länger "Prince of Darkness", aber etwas Schwarz muß schon sein: Andrew Eldritch, Alleininhaber der "Sisters of Mercy", auf Tour. Von Thomas Winkler
Das erste, was ich von ihm sehe, sind die grauen Haare an seinen Schläfen. Vereinzelt, aber doch gut sichtbar haben sie sich eingeschlichen. Plötzlich wird mir klar, wie lange das schon her ist: damals, als Andrew Eldritch noch eine tiefschwarze Mähne hatte und in Interviews die Musik seiner Band scherzhaft als "Speed Folk" charakterisierte. Eine Musik, die in den beginnenden 80ern in eine Sparte eingeordnet wurde, die heutzutage kein Mensch mehr kennt: Positive Punk.
Ein obskurer Begriff, wie so viele andere auf die Musik der Sisters of Mercy schon damals sicher nicht zutreffend. Zu der Zeit gab es allerdings auch noch keinen Dark Rock, und das Label "Gruftie" noch nicht einmal als abfällige Bezeichnung - auch wenn die so Titulierten es mittlerweile mit rechtem Stolz tragen und die Wortschöpfung es sogar bis ins Englische geschafft hat.
Andrew Eldritch mag es gar nicht leiden, wenn - vor allem im Zusammenhang mit ihm - das Wort "Gruftie" fällt: "Ich habe versucht, mein Image zu ändern. Ich bin seit zehn Jahren nicht mehr ganz in Schwarz aufgetreten. Aber ich könnte morgen eine Heino- Platte übernehmen und meinen Namen draufschreiben, und jeder würde sagen: Gothic." Da sitzt er, sichtlich unlustig, den Werbemaßnahmen seiner Plattenfirma nachkommen zu müssen. Man hat ihn, den gebürtigen Engländer, von einem Mischpult in Hamburg (seiner Heimatstadt seit 1984) weggeholt, um so etwas Lästiges zu tun wie Interviews zu geben. Aber er nimmt es in Kauf, um das nächste seiner regelmäßig stattfindenden Comebacks zu befördern.
Eldritch hat sich immer sehr viel Zeit gelassen für seine Platten, "weil man keine guten Texte schreiben kann, wenn man kein normales Leben mehr führt". Also managt er sich selbst und telefoniert und faxt und telefoniert wieder und führt sein normales Leben. Notgedrungen wählte er einen gemütlichen Drei-Jahre-Rhythmus für LPs, hat es aber trotzdem auf ganze vier Stück gebracht. Und weil er es leid war, "jedesmal total totgesagt zu werden", steigert er seine Aktivitäten im Moment fast zu Rockstar-Dimensionen. Seit einem Vierteljahr gibt es eine Best- of-Platte der Sisters (auf der sogar eine neue Single namens "Under The Gun" enthalten ist), er schreibt an einer neuen LP und geht auf Tournee - eine Tätigkeit, die ihm eigentlich verhaßt ist: "Guck mich an, wie ich gebaut bin. Ich verliere bei jedem Konzert unheimlich an Körpergewicht."
Aber das Fliegengewicht, physisch gesehen, ist nur eines der Probleme, die Eldritch dann doch davon abhalten, ein richtiger Rockstar zu werden. Ein anderes sind "die Medien", natürlich, vor allem die schreibenden. Seit Jahren verfolgt dieses hagere Männchen der Vorwurf, ein zutiefst depressiver Mensch zu sein - und zutiefst depressive Musik für andere zutiefst depressive Menschen zu machen. Und er weiß auch, woran es liegt: Es ist sein Bariton.
"Nur der gibt den Leuten die Möglichkeit, bei ihren blöden Vorurteilen zu bleiben. Eigentlich habe ich mich nie um ein Image gekümmert, bis mir klar wurde, daß unsere Platten dahingehend indiziert wurden. Tatsächlich haben wir uns schon früher ziemlich grell angezogen. Wir sind auch in Frauenklamotten aufgetreten, mit Strapsen und drum und dran, nur um den Leuten das Gegenteil zu beweisen." Und nestelt zum Beweis sein quietschbuntes Hemd unter seiner schwarzen Weste hervor. "Wenn ich bei Festivals teilweise vor 30.000 Leuten spiele, dann kann ich kein Gruftie sein, denn so viele Grufties gibt's gar nicht."
Als die Sisters of Mercy 1985 tourten, wählten sie in Abwandlung des berühmten Timothy- Leary-Slogans aus der Hippiezeit das Motto "Tune In, Turn On, Burn Out". Daß das - oder die gerne aus der Untersicht aufgenommenen Fotos in strenger Sonnenbrillen-Kleiderordnung - möglicherweise etwas mit den Image- Problemen seiner Band zu tun haben könnte, sieht Eldritch ganz anders. Wenn er sich prinzipiell nicht ohne Brille ablichten läßt, so liegt dem ein anderes Problem zugrunde: Er möchte nicht gern in hanseatischen Supermärkten erkannt werden.
Die Best-of-Compilation trägt den dezent bombastischen (ironisch zu verstehenden) Titel "A Slight Case Of Overbombing". Auf dem Cover steht, gar nicht verschämt, "Greatest Hits Volume One" - in Erwartung noch besserer Zeiten. Die neue Single des Mannes, der so vehement gegen sein Image kämpft, fällt allerdings zwischen "Temple of Love" oder "This Corrosion" nicht weiter auf - weder negativ noch positiv. Zwar ist "Under The Gun" ruhiger und von Keyboards dominiert, aber das war auch der Solo-Ausflug 1986 (unter dem Namen Sisterhood).
Damals hatten Wayne Hussey und Graig Adams die Band verlassen, um als The Mission mit einer zwar ausgedünnten, aber cleveren Version der ganzen Chose endlich mal richtig Kasse zu machen. Der folgende Privatkrieg, der zwischen ihm und The Mission um den Namen Sisters of Mercy tobte, ernährte nicht nur einige Anwälte und führte zu einer Inflation von sistersähnlichen Bandnamen, er zwang Eldritch aus Vertragsgründen auch dazu, auf dieser Platte nicht selbst zu singen. Das Resultat, "Gift" betitelt, war komisch, nicht nur deswegen. Recht fragmentarisch, angeblich stümperhaft und schlampig aufgenommen. Die Plattenfirma fand's so komisch, daß sie ihn rausschmiß.
Noch komischer ist, was Eldritch heute über die Platte denkt: "Für mich war das eine Techno- Platte. Oder was ich damals für Techno hielt." Wie er sich überhaupt "für ziemlich viel, was in den 80ern passiert ist - mit anderen Leuten zusammen natürlich -, verantwortlich fühlt". Für anderes fühlt er sich dafür gar nicht verantwortlich. So für die Tatsache, daß er bei der gerade anlaufenden Tournee nicht nur mit den Ramones und Monster Magnet, sondern auch mit Type-O-Negative die Bühne teilen wird, jener amerikanischen Kult-Fascho-Band, deren Konzerte in Deutschland regelmäßig und vehement von autonomen Aufläufen unterbunden wurden, die aber, ganz Böhse-Onkelz-mäßig, innerhalb kürzester Zeit und unter tätiger Mithilfe ihrer neuen Major-Plattenfirma einen dramatischen Wandel zu einer wertneutralen Dumpfbacken-Metal-Band hin durchschritten hat.
Eldritch mag Metal sowieso nicht - außer Motörhead: "Ich kenne kaum Heavy-Metal-Platten, aber wenn ich auf die Texte sehe - mit den wenigsten von den Leuten möchte ich essen gehen." Ihm genügt es, daß Type-O-Negative mit ihnen zusammen auf einem Plakat stehen, in dessen Ecke eine zum Hitlergruß gereckte Hand mit den Worten "Wir müssen draußen bleiben" inkriminiert wird: "Man hat mir ein Tape vorgespielt, wo Type-O-Negative sagen, daß sie mißverstanden wurden. Wenn da überhaupt was war, ist es widerrufen worden. Und ich finde, man sollte sich über Widerrufe freuen und nicht Leute auf immer und ewig ausgrenzen."
Wenigstens damit hat er also kein Problem. Auch nicht damit, daß man wohl kaum die neuen Songs zu hören bekommen wird, weil "ein Festival mit dem Schwerpunkt Hardrock wohl kaum der neue Ort ist, was Neues auszuprobieren". Das glaubt man ihm allerdings aufs Wort: daß er zu seiner Vergangenheit steht: "Ich nehme mich sehr ernst - aber das tun die meisten Komiker auch." Was natürlich nicht heißen soll, daß die Sisters of Mercy jemals komisch gemeint waren.
Musikvideos sind übrigens in Eldritchs Meinungspanorama auch "blöde", weil "die Leute in der Videobranche blöde sind. Die können Bertolucci nicht mal buchstabieren." Madonnas "Rain" aber findet er schön. Völlig daneben sind aber wieder Sampler. Heutzutage geht es sowieso nur noch um den Sound, und deshalb wird nur noch geklaut, "denn es ist viel leichter, eine Platte zu machen, die wie eine Platte klingt, wenn das schon eine Platte war."
Seine Computer, und von denen hat er einige, liebt er trotzdem. Und darauf, daß sie eine der ersten Rockbands waren, die mit einer Rhythmusmaschine - dem legendären Dr. Avalanche - arbeiteten, ist er immer noch stolz. Daß aber ausgerechnet die bisher letzte LP "Vision Thing" mit einem echten lebendigen Schlagzeuger rhythmisch so eintönig klingt, daß es nervtötend ist, ist natürlich mein persönliches Problem. "So eine klinische Disziplin von hinten erlaubt es, vorne viel freier zu sein", erklärt er mir, "das sollte wie Herzklopfen klingen. Nach einer Weile merkt man es nicht mehr, aber bei dir hat das wohl nicht funktioniert." Und grinst noch einmal wie eine Maus.
Und um den Ungereimtheiten noch eine weitere hinzuzufügen: Obwohl Andrew Eldritch nie Dark Rock gemacht hat, bleiben die Sisters of Mercy die beste Band im Melancholie-Bezirk. Auch wenn der Schuster seine Leisten nicht leiden kann: Handwerk hat immer noch goldenen Boden.
6.12. Stuttgart, 7.12. Berlin, 8.12. Frankfurt/Main, 10.12. München,
12.12. Hannover, 13.12. Bremen, 14.12. Hamburg, 16.12. Essen, 17.12. Halle
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Visions 1993
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Volle Kraft voraus!
Subline - 01/1994
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Sub Line: Andrew, du hast bisher in schöner Regelmäßigkeit alle drei Jahre eine neue Platte herausgebracht, 1984, 87 und 90. Da wäre 1993 eigentlich wieder ein neues Sisters-Album fällig gewesen, nicht nur eine Single-Compilatian. Brütest du etwas ganz besenderes aus, oder machst du einfach eine kreative Pause?
Andrew: Das mit der schönen Regelmäßigkeit ist Zufall. Nein, ich brüte nichts besonderes aus. Ich überlege nach jedem Album, wie es mit den Sisters weitergehen soll. Das braucht Zeit. Nach der letzten Platte habe ich das mit besonderer Bewußtheit getan. Die zwei Songsammlungen, "Babyphotos" und "Greatest Hits" (Some Güls Wander By Mistake" und »A Slight Case Of Overbombing", J.A.), die irgendwie zusammengehören, sollten mir etwas mehr Zeit verschaffen, um auch nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten zu suchen. Das hat länger gedauert als geplant, weil jede Menge von zusätzlichem Streß dazwischengekommen ist.
Sub Line: Was war das für Streß?
Andrew: Ach, eigentlich nichts besonderes. Der übliche Business-Streß, Streitigkeiten, die man wohl oder übel in dieser Branche erwarten muß. Deshalb will ich auch nicht darüber meckern, doch es kam ungewöhnlich viel aufeinmal auf mich zu, das geklärt werden mußte.
Sub Line: Deine Proinoterin hat angedeutet, daß du ein neues Album in der Mache hast. Kannst du dazu etwas mehr sagen?
Andrew; Nein, weil ich mich immer noch mit der Promotion für die aktuelle Single "Under The Gun" und dem neuen Compiler beschäftige. Ich habe mich entschlossen, im Dezember wieder aufautreten, und das braucht seine Vorbereitungszeit. Außerdem habe ich meine Kraft, in letzter Zeit in einige andere Projekte gesteckt, die mir wahnsinnig gut gefallen haben. Von daher habe ich mich noch nicht allzu konkret mit meiner eigenen Zukunft befaßt. Ich kann also noch nicht sagen, wann das Album erscheinen wird.
Sub Line: Werden deine Mit-Musiker da nicht unruhig, wenn sie über lange Strecken nichts zu tun haben?
Andrew: (Lacht) Im Laufe der Zeit werden die ruhiger. Sie verstehen allmählich, was in meinem Kopf vorgeht, wo es langgehen soll, und warum ich mir so viel Zeit lasse. Zu Anfang sage ich ihnen immer, daß ich sehr behutsam und wohlüberlegt an neue Dinge herangehe. Wenn sie dann den Schock verdaut haben, daß ich das wirklich ehrlich meine, beruhigen sie sich. Und dann verstehen sie auch, daß die Kontrolle, die man als Gruppe über alles haben will, auch ausgeübt werden muß. Dabei geht einige Zeit drauf, in der man nicht an seiner Musik arbeiten kann. Doch wenn ich mich erst einmal für etwas entschieden habe, dann geht es musikalisch sehr rasch und mit viel Instinkt weiter.
Sub Line: Du hast es fast geschafft, mich vom Thema abzubringen. Mit deinem Statement zur neuen Platte bin ich noch nicht zufrieden. Erscheint sie nun im nächsten Jahr oder nicht?
Andrew: Das hoffen wir alle.
Sub Line: Ist sas alles, was du dazu sagen willst? Hältst du dich bewußt bedeckt? Viele wollen sicher wissen, in welche Richtung du dich weiterbewegst. Ich vermute mal etwas provokativ, daß es in die Richtung deiner neuen, etwas poppigen Single geht...
Andrew: Tja, mit den Beziehungen zu anderen Stilen ist das immer so eine Sache, Schubladen kann man wie eine Waffe verwenden., und man wird sehr leicht mißverstanden, wenn man sich auf diese Art ausdrückt, besonders wenn die Leute es nicht gewöhnt sind, so etwas zu hören. Ich will mich deshalb nicht konkreter äußern. Wenn du willst, würde ich sagen, es ist nur bedingt Popmusik.
Sub Line: Was meinst du mit "bedingt"?
Andrew: Ich will dir ein Beispiel geben. Die neue Single "Under The Gun" habe ich anderen Leuten abgekauft, und etwas ganz anderes daraus gemacht. Glücklicherweise waren diese Leute Kalifornier und haben gar nicht bemerkt, was ich aus ihrem sehr lieben und netten Stück gemacht habe. Ich habe es sehr verändert, und so, wie es jetzt ist, besitzt es eine bestimmte Gemeinheit, die man bestimmt nicht als poppig bezeichnen kann. Ich habe dem Süßen etwas sehr Saures beigefügt. Außerdem ist „Under The Gun", ähnlich wie "Temple Of Love" oder "This Corrosion", etwas, das ich gelegentlich einfach gern mache, obwohl es für meine sonstige Arbeit nicht so repräsentativ ist. Die meisten meiner Stücke liegen nach wie vor irgendwo zwischen bombast-ironischem Krach und Stücken wie "Under The Gun".
Sub Line: Der angesprochene Compiler ist, wenn ich richtig informiert bin, bereits 250.000 Mal verkauft worden. Hast du selbst mit diesem dicken Erfolg gerechnet?
Andrew: Also, ob der Compiler diese Zahl schon erreicht hat, weiß ich nicht. Aber ich bin sicher, daß dies bis Januar der Fall sein wird. Bis auf das erste Album sind mittlerweile alle Platten vergoldet, was mich bei "Vision Thing" allerdings etwas gewundert hat. Die Plattenfirma müßte schon etwas wirklich Dummes machen, damit diese Platte nicht auch vergoldet wird.
Sub Line: Ist es nicht ziemlich ungewöhnlich, eine Singte-Compllation mit einer brandneuen Single zu krönen?
Andrew: Das ist mittlerweile branchenüblich. Ich versteh's auch nicht, warum das unbedingt so sein muß, warum keine Plattenfirma der Welt sich in der Lage fühlt, einen Compiler zu verkaufen, auf dem kein neues Stück drauf ist. Ich finde es eigentlich sogar ziemlich arrogant, eine Single als "Greatest Hit" im Voraus zu bezeichnen. Ich hätte "Under The Gun", wie eigentlich jedes Stück, auch erfolgreich als Single herausbringen können, Doch wenn die Plattenfirma davon nicht überzeugt werden kann, muß man damit leben. Heutzutage kann man eine Plattenfirma höchstens davon überzeugen, daß Heino sich verkauft.
Sub Line: Es fällt auf, daß dein Publikum, deine Fans zum großen Teil aus sehr Jungen Leuten bestehen, die noch im Vorschulalter waren, als die Sisters ihre ersten Erfolge halten. Überrascht dich das, oder hast du eine Erklärung dafür?
Andrew: (Lacht) Die Sisters waren selbst teilweise noch im Vorsuhulalter, als sie ihre ersten Erfolge hatten! Als wir das erste Mal in Nevada waren, konnte die Hälfte der Gruppe nicht in die Kneipe gehen, in der wir eigentlich spielen sollten, - Das deutsche Publikum gefällt mir, weil es ein sehr breites Publikum ist. Ich sehe in unserem Publikum Punks, alte Hippies und Rocker. Mittlerweile sind sogar ein paar Hausfrauen dabei, zum Teil recht perverse, aber das ist mir auch recht. Unsere Musik ist sicher nicht jedermanns Sache, aber jeder kann kommen.
Sub Line: Welches Gefühl hast du dabei, wenn du erkennst, daß du verschiedene Generationen begeistern kannst? - Das Olück haben Ja nur wenige.
Andrew: Ich bin da sehr stolz drauf. Ich glaube, das hat vie! mit der Ausdauer der Gruppe und damit, daß wir uns immer treu geblieben sind, zu tun. Ich stehe nicht immer zu dem, was ehemalige Mitglieder im Nachhinein daraus gemacht haben. Aber das, was die Gruppe gemacht hat, wurde langsam aufgebaut, und sie hat diesen Erfolg verdient.
Sub Line: Arbeitest du mit deiner Musik und deiner Liveshow bewußt darauf hin, auch Jüngere anzusprechen?
Andrew: Nein, eigentlich nicht.
Sub Line: Was macht eigentlich der Nicht-Musiker Eldritch, der Mensch? Gibt es Themen, die dich beseonders interessieren, beschäftigen, freuen?
Andrew: Ich interessiere mich sehr für Politik. Eines meiner Hobbies ist immer noch das Fechten, und ich besuche gerne Freunde.
Sub Line: Gibt es Dinge aus dem Weltgeschehen, die dich besonders gefreut haben?
Andrew: Wenige. Aber der neue kanadische Premiermnister ist schon eine verhältnismässig gute Sache. Eben so Clinton, der ohne Zweifel wesentlich besser ist als alle Alternativen. Großbritannien ist leider immer noch voll kaputt.
Sub Line: Gibt es etwas, was du auf den Tod nicht ausstehen kannst?
Andrew: (überlegt lange). Jein. Prinzipiell schon, aber man gewöhnt sieh an alles.
Sub Line: Jemand wie du, der mit den Sisters riesige Konzerthallen - auch ohne neues Album - füllt, macht der sich Gedanken darüber, was er vermittelt und wie er es vermttteln kann? Anders gefragt: Verspürst du eine gewisse Verantwortung bezüglich dessen, was du machst?
Andrew: Nur, indem ich manche Stücke nicht vor einem ganz breiten Publikum singen möchte. Denn manche Stücke könnten mißverstanden werden, wenn man sie nur oberflächlich betrachtet. Ich war nie sorglos beim Schreiben meiner Texte, aber in letzter Zeit fällt mir öfter auf, daß ich mich immer schon sehr indirekt, sehr versteckt ausgedrückt habe, was zu Mißdeutungen führen kann.
Sub Line: Stichwort Konzerte. Die Sisters sind Headliner des "Super Bang 93"-Festivals, das elf Mal im Dezember stattfinden wild. Einleitend dazu eine kritischere Frage. Du hast kürzlich im Sub Line zwei Dinge geäußert, dir mir widersprüchlich erscheinen. Zum einen, du würdest die gleiche Musik auch dann machen, wenn kein Schwein deine Platten kauft, zum anderen, daß du nur auftrittst, wenn das finanzielle Angebot stimmt.
Andrew: Das ist ganz einfach. Ich mag es, Platten zu machen, und ich hasse es, live zu spielen, Außerdem habe ich damit von 1990 bis 1992 ungefähr eine halbe Million Mark verloren, Geld, das ich eigentlich nicht hatte und irgendwie zusammenkriegen mußte. Daher war ich an starken finanziellen Angeboten interessiert. Mittlerweile ist es zwar nicht mehr ganz so unbequem, auf Tour zu gehen, weil die Hotels besser und die Reisebusse nicht mehr so eng sind, aber ich mag es dennoch nicht, live zu spielen, weil dies einfach keine perfekte Umgebung für die Songs ist.
Sub Line: Macht es für dich einen Unterschied, ob die Sisters allein oder im Rahmen eines Festivals spielen?
Andrew: Normalerweise ja, das sind zwei völlig verschiedene Umgebungen, ganz andere Stimmungen. Auf der kommenden Tour sind diese Unterschiede allerdings kaum vorhanden. Wir haben unsere volle, normale Crew dabei, unsere eigene Beleuchtung aus England und unsere eigene Anlage, so daß wir auch mit dem Sound zufrieden sein werden. Wir betrachten das „Super Bang" eigentlich als normale Sisters-Tour - nur mit etwas mehr Vorgruppen als gewöhnlich.
Sub Line: Was sagst du zu den Gruppen, die mit dabei sein werden, The Ramones, Monster Magnet, Type O Negative, La Costa Rasa?
Andrew: La Costa Rasa sind Freunde von mir, aus meiner Heimatstadt Leeds, wir bringen demnächst eine CD von ihnen heraus. Monster Magnet kenne ich nur von dem, was ich über sie gelesen habe. Die Ramones kenne ich nicht so gut, bin aber ein Fan von ihnen. Type O Negative ist nicht unbedingt mein Ding. Die Leute haben mir erzählt, daß sie einen sehr schlechten Ruf haben, und daß sie gerne die Chance hätten, sich so vorzustellen, wie sie wirklich sind.
Sub Line: Du meinst sicher die Vorwürfe an Type O Negative, daß ihre Texte faschistisch seien. Weißt du darüber Genaueres? Wte siehst du die Sache?
Andrew: Ja, darum geht es. Deshalb haben wir auch diesen Anti-Nazi-Sticker auf allen Tourplakaten. Die Jungs von Type O Negative können nicht so blöd sein. Ok, richtiger Heavymetal muß irgendwie blöd sein. Aber die Jungs haben mir geschworen, daß sie nicht derart blöde sind. Da hat die Presse wohl bis ins Dämlichste vereinfacht. Du weißt ja, wie das funktioniert.
Sub Line: Kannst du etwas über die aktuelle Sisters-Besetzung sagen? Haben die Sisters das gleiche Line Up wie auf dem letzten Album „Vision Thing"? Ist der legendäre Drum-Doktor dabei oder überraschst du vielleicht mit einem echten Schlagzeug?
Andrew: Ich habe mich noch nicht entschieden, welche Songs wir spielen werden. Von daher bin ich mir über die Besetzung noch nicht ganz im Klaren. Könnte sein, daß wir 20 Bratschen brauchen, zwei Klaviere oder drei elektrische Gitarren, Vielleicht aber auch nur zwei oder eine.
Sub Line: Was ist mit der "Vision Thlng"-Crew?
Andrew: Adam Pearson aus Leeds, der Tim Bricheno ersetzt und bei allen letzten Konzerten mitgespielt hat, wird dabei sein.
Sub Line: Was ist mit Andreas Bruhn?
Andrew: Vielleicht. - Nein, ich denke schon, daß er dabei sein wird.
Sub Line: Und was ist mit dem Baßman Tony James?
Andrew: Der Doktor (unsere Drummachine) macht vorläufig das, was Tony gemacht hat, außerdem werden die beiden Mädels, die bei den letzten anderthalb Touren die Background-Vocals gemacht haben, wieder mitmachen, unterstützt, durch eine Hamburgerin.
Sub Line: Hat das Publikum einen Einfluß darauf, wie ihr eure Stücke spielt?
Andrew: Aber ja! Wenn die mich zum Beispiel bewerfen, geht's richtig ab! In Deutschland passiert das mittlerweile nicht mehr, aber das ist schon ein Erlebnis - ein beworfener Andrew! Das Publikum hat schon einen großen Einfluß. Es kann gut mitmachen, so daß es allen einen Riesenspaß macht, und die Leute können blöd dastehen - dann macht es keinem Spaß. Wir tun immer unser Bestes, aber live spielen ist immer ein Risiko. Wenn ich irgendwelche Vorgruppen unheimlich gut finde und die Leute sie niedermachen, dann nehme ich ihnen das ziemlich übel. Dann gehe ich auch etwas geladen auf die Bühne und frage sie, warum sie so abweisend waren.
Sub Line: Das ehrt dich gewaltig. Bei den meisten Headlinern steht das ganz anders aus.
Andrew: Wir haben nie dieses Spiel gespielt, daß die Vorgruppe nur die Hälfte der Beleuchtung benutzen oder nur halb so laut sein durfte. So etwas finde ich voll Kacke.
Sub Line: Wie intensiv werdet Ihr euch auf die Tour vorbereiten?
Andrew: Normalerweise genügt ein Probetag vor dem ersten Konzert. Aber diesmal müssen wir uns intensiver vorbereiten. Denn wir werden auch Stücke spielen, die wir nie zuvor live gespielt haben, und einiges absolut neues Material wird ebenfalls dabei sein.
Sub Line: Sind diese neuen Songs Material des kommenden Albums?
Andrew: Das läßt sich noch überlegen. Wir haben schon manche Stücke live gespielt, die nie veröffentlicht wurden.
Sub Line: Eine letzte, etwas theatralische Frage. Du hast 1985, am Ende deiner Tour, in der Royal Albert Hall nicht "Good Night", sondem "Geod Bye" gesagt.
Danach kamen fünf Jahre Bühnenabstinenz. Weißt du schon, was du am 17.12., am Ende der Super Bang Gigs, sagen wirst?
Andrew: Happy Christmas!
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Patricia Morrison
Zillo - 6/1994
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Patricia Morrison - bei Sisters-Of-Mercy-Fans klingelt es. Das war doch die Dame mit den langen schwarzen Haaren, die Andrew bei seinem "Floodland"-Album zur Seite stand.
Darüberhinaus ist die Person und insbesondere die Musikerin Patricia Morrison weitgehend unbekannt geblieben. Chef-Schwester Andrew schwieg sie kategorisch tot, die etablierte Presse nahm sie ohnehin nur beiläufig zur Kenntnis, dem durchschnittlich Interessierten fiel sie lediglich als extrem attraktives Beiwerk auf. Gerüchte meinten, daß zwischen den beiden irgendwas liefe und Andrew sie irgendwann '87 nur deshalb zur Sister Of Mercy gemacht hätte und niemand bemühte sich ernsthaft den Eindruck des sexy Dummchens zu widerlegen. Andrew wollte nicht, Patricia tat es nicht, vermutlich durfte sie einfach nicht.
In Fankreisen rankte sich seitdem ein kleiner Mythos um ihr Auftauchen, ihre Präsenz und ihr Verschwinden in Andrews Ein-Mann-Show.
Nach aufwendiger Recherche gelang es Zillo endlich, Patricia ausfindig zu machen, sie zu treffen und letztlich sogar als besondere Überraschung für unser Zillo-Festival zu verpflichten.
Ich treffe Patricia an einem sonnigen Nachmittag in London und frage mich ernsthaft: "Wie kann man sich von dieser Frau bloß trennen?". Ein sonniges Gemüt, gute Laune und schön ist sie auch noch. Nicht der leicht dänionische Sex-Appeal des "This Corrosion''-Videos, nicht die aberwitzige Eleganz des "Dominion"-Clips und auch nicht allein die zerbrechliche Feenhaftigkeit des "1959"-Filmchens. Nein, Patricia Morrison ist all das zusammen. Zugleich aber ein Charakter mit weichem Kern und großem Herz, dessen Schale im rauhen Rock-Geschäft immer härter wurde. Wer sie mit ihrer Suzuki "Savage" trifft und erlebt, wagt kaum an das "sexy Dummchen''-lmage zu denken, daß ihr verpaßt wurde. Sie würde es merken und mich ohrfeigen. Zurecht.
Mir wurde im Vorfeld bereits angekündigt, daß dieses erste Interview weltweit (!) nicht ganz problemlos würde, Patricia war bis vor kurzem in eine gerichtliche Auseinandersetzung verwickelt. Wir mutmaßen, daß ein "in Hamburg lebender englischer Düster-Musiker" ebenfalls involviert war. Patricia: "Ich fange am besten vorn an. Als ich den Gun Club verließ zog ich von Los Angeles nach London um und gründete hier mit Kid Congo eine neue Band namens Fur Bible. Wir veröffentlichten eine EP, die einige Leute sogar richtig gut fanden. Ich denke, daß war das schlechteste was ich je gemacht habe. Jim Thiriwell (Foetus) hat uns damals produziert. Das war ganz schön abgefahren. Eines Tages hat Andrew Eldritch mich dann angerufen und sagte, daß er Hilfe braucht. Er wolle die Band wieder starten. Wir kannten uns seit einer England-Tour, während der die Sisters Of Mercy als Vorgruppe des Gun Club auftraten. Jetzt beginnt es schon schwierig zu werden, hier kann ich nichts mehr zu sagen. Nur eins: Vor meinem Eintritt bei den Sisters - was heißt Sisters - bei Eldritch! - warnte mich einer, der aus Erfahrung sprach, doch ich hörte nicht auf ihn. Er ist Sänger einer Band, die ebenfalls beim Zillo-Festival in Durmersheim spielt. Früher war er Mitglied der Sisters. Ich freue mich übrigens ihn wiederzusehen." [Falls jemand es nicht kapiert hat: Es geht um Wayne Hussey, THE MISSION...]
Sie sagt, daß es ihr durch eine außergerichtliche Auseinandersetzung verboten sei, über ihre Arbeit mit Andrew zu sprechen. Sie antwortet nicht auf Fragen, die konkret ihre gemeinsame Arbeit oder gar Anwaltliches betreffen. Zillo-informationen zufolge gab es einen Streit um Rechte an Songs, die Patricia mitkomponiert haben soll und um Patricias Bezahlung. In der englischen Presse munkelte man vor Jahren, daß Andrew und Patricia gemeinsam in Hamburg gewesen seien und Songs geschrieben hätten. Sie selbst hierzu: "Ich kann mich dazu nicht äußern, ich kann aber nicht verhindern, daß Außenstehende zwei und zwei zusammenzählen."
Waren diese strittigen Interna auch der Grund dafür, nicht live aufzutreten?
Patricia: "Der Plan meiner alten Band war, nicht live aufzutreten, bevor alles perfekt stimmte. Tatsächlich bestand - von wem auch immer - jedoch gar kein Interesse daran, daß dem jemals so sein würde. Wir sind nur wenige Male zu Playback aufgetreten. Beim Montreux' Pop-Festival, in einer belgischen Fernsehshow und in "Top Of The Pops' in England."
Die Trennung von den Sisters verlief zunächst ohne großes Aufsehen, einige Leute gingen eh davon aus, daß die beiden ein sehr persönliches Verhältnis miteinander hatten. Patricia lacht mich schon aus, bevor ich dieses Gerücht ganz ausgesprochen habe.
"Nein, es ist definitiv niemals irgend etwas gelaufen, vergiß es."
OK, ich glaube ihr. Was passierte denn nach ihrem Ausscheiden bei den Sisters?
"Als entschieden wurde, daß ich nicht mehr Mitglied der Sisters Of Mercy bin, hatte ich innerhalb von zwei Wochen kein Geld und keine Wohnung mehr. Nur einen Anwalt und ein paar sehr gute Freunde, die zu mir gehalten hatten. Ich habe daran gedacht, nach Los Angeles zurückzugehen, dann entschied ich mich aber hierzubleiben und zu klären, was geklärt werden mußte.
Ich wollte auch nicht mehr in irgendeiner Band Baß spielen und in kleinen Londoner Clubs wieder ganz unten anfangen. Ich realisierte, daß es an der Zeit war, selbst die 'Frontperson' zu sein, alles andere wäre ein Schritt zurück gewesen. Unglücklich war nur der Zeitpunkt dieser Einsicht. Wenn du in ein so tiefes Loch fällst und kein Geld hast, ist sehr schwer, da wieder unbeschadet rauszukommen. Deswegen hat alles so lang gedauert.
Daraufhin begann ich Songs zu schreiben, Musiker zu suchen, Pläne zu schmieden und darauf zu achten, daß dieses Mal alles so läuft, wie ich es wollte. Ich hätte sofort einen Vertrag unterschreiben können und die nächste Belinda Carlisle werden. Aber das kann wohl niemand von mir verlangen. Ich möchte mit einer Plattenfirma arbeiten, die mich versteht und die weiß, was ich will. Ich möchte mit denen nicht kämpfen müssen."
Mittlerweile sind Patricias Verhandlungen mit diversen amerikanischen Firmen fortgeschritten. Eine Veröffentlichung wird es dieses Jahr wahrscheinlich aber nicht mehr geben.
Patricia: "Ungefähr vor einem Jahr begannen wir Material einzuspielen und Demos aufzunehmen. Da spielt aber nicht nur einfach eine Band ihre Songs ein und das war's. Das Album hat dazu einen gewissen technischen Anspruch. Ähnlich meiner letzten Band, nur nicht ganz so gefühllos. Ein bißchen Bandseele soll es schon haben. Und das dauert eben. Ich selbst spiele Gitarre, Baß und singe. Ich habe jetzt einen sehr guten Drummer namens Franco und einen Gitarristen namens Andy. Live werde ich allerdings nur singen, Baß spielt James."
Unabhängig von der Tatsache, daß Patricia ziemlich gut aussieht, wird sie auffällig häufig angeglotzt mit diesem "Die kenn-ich-?"-Blick.
Patricia: "Das Interesse überrascht mich immer wieder. Andauernd werde ich angesprochen und begafft, wenn ich irgendwo hingehe. Das liegt daran, daß ich beim Gun Club und bei den Sisters war und dann plötzlich verschwand ohne ausgebrannt zu sein. Ich bin quasi immer noch frisch, ich mache die Leute noch immer neugierig. Beispielsweise hatte ich noch nicht einmal Demos, als ich die erste Plattenfirma traf. Trotzdem wollten sie mit mir reden. Es freut mich und es macht mir Mut, daß einige Leute mich unterstützen, mich verstehen und mich anspornen."
Wir sind froh, Patricia für das Zillo-Festival gewonnen zu haben. Ihr bisheriges Material ist mehr als vielversprechend, Songs wie "Believe" oder "The Living End" reflektieren ihre gesamte musikalische Vergangenheit. Aufwendiger britischer Underground vermischt sich hier mit ihren Wurzeln aus Los Angeles und der Aura einer etwas anderen Persönlichkeit. Die Zeit ist reif für sie. Die Songschreiberin und Sängerin Patricia Morrison korrigiert nun endlich ihre Position. Die Offensive war längst überfällig und im Hintergrund wird so mancher ehemalige Mitstreiter zufrieden nicken.
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XC-NN - Britischer Spleen?
Subline - 6/1994
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XC-NN, die Band um den Ex-Sisters Of Mercy-Gitarristen Tim Bricheno, hat sichjenseits des Ärmelkanals bis dato weniger durch ihre Musik als durch ihre ironische Haltung gegenüber der Unterhaltungsindustrie einen Namen gemacht. So brachte ihr '93er Single-Debüt "Young, Stupid and White", ein deutlicher Seitenhieb auf das Pop-Establishment, dem Quartett denn auch beinahe handfesten Arger ein. Sänger David Tomlinson berichtet: "Unter anderem wurde unserem Management mit körperlicher Gewalt gedroht. Die Leute fühlen sich immer sofort auf den Schlips getreten. Klar, wir wollten mit dieser Aktion schon etwas Ernsthaftes rüberbringen, nur uns erscheint provokativer Spaß als der beste Weg, die Menschen zum Nachdenken anzuregen."
Woher kommt Freund Sarkasmus, der Weltverbesserer ? "Nun ja", räumt Schlagwerker Neill Lambert ein, "wenn Du in England geboren bist, ist Ironie bei dir automatisch installiert. Sich selbst einfach nicht so ernst nehmen, das ist so eine Art britisches Verteidigungssystem." Der Sound von XC-NN, deren gleichnamiges Erstlingswerk Ende April erschienen ist, befindet sich eher auflerhalb angelsächsischer Normen: Meist weitab vom Brit-Rock, treffen Rave- und HipHop-Beats auf kalte Radiosequenzen aus der Sample-Konserve, wechselt sich Davids schräg-melodiöse Gesangsmelange mit wandartigem Gitarrenlärm ab. Zwischendurch werden auch schon einmal solide Rockstampfer („1000 Easy") vom Stapel gelassen, dann aber stößt der geneigte Hörer unvermittelt auf Subtilitäten wie "Logic Bomb", wo Teile der mir aus früheren Tagen so vertrauten Kinderweise "Meister Jakob" hypnotisch über ein dezentes Rave-Getacker hinwegschweben... David: "Ich weiß, wir klingen teilweise recht exzentrisch, was irgendwie aber schon wieder typisch englisch ist. Bei uns Finden sich Stilelemente aus den verschiedensten Bereichen wieder, weil wir sind ständig dabei sind, einzelne bits & pieces aus unserer Umwelt zu einer Gesamtkollage zusammenzufügen. Dadurch verschaffen wir uns eine eigene Stimme. Wir sind nicht eine Band, die einfach nur Rock- oder Popmusik macht."
Obwohl solche Worte ein hoffnungsvolles kreatives Potential durchschimmem lassen, ist es erstaunlich, daß Tim die Sisters Anfang 1992 verlassen hat, um mit einem neuen Projekt quasi von Null zu begin nen. "Bei den Sisters Of Mercy war Tim halt nur ein einfaches Bandmitglied.", erklärt David, "Nachdem wir einige Ideen ausgetauscht hatten, merkten wir, daß etwas Neues und Aufregendes auf uns zukommen würde, etwas, wo jeder seine Freiheiten ausleben kann..." Nachdem Neill ein knappes Jahr später dazustieß, kam der Stein richtig ins Rollen: Im April '93 nahm das damals noch unter "CNN" firmierende Trio das Debüt-Album auf und ging im Sommer, unterstützt von Live-Bassist Nick Witherick, auf Tour.
Im Herbst wurde die zweite Single "Looking Forward To The Day" veröffentlicht und der Longplayer schließlich abgemixt. Aber auch nachdem das Werk nun endlich auf dem Markt ist, wollen sich XC-NN kein Ruhepäuschen gönnen. Im Juni besuchen die britischen Newcomer das Festland, wobei auch Deutschland nicht ausgespart wird. Danach werden sie in den USA an einigen Festivals teilnehmen. David geht noch weiter: "Wir haben eine Menge Ideen und denken schon wieder an neue Aufnahmen." Nun denn, to be continued...
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Labelportrait Merciful Release
Zillo - 10/1994
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Merciful Release ist ein kleiner aber feiner Ein-Mann-Betrieb, dessen Chef Andrew Eldritch heißt. Nachdem wir uns beim in Hamburg geplanten Interviewtermin dummerweise knapp verpaßt hatten, ergab sich im Rahmen der Kölner Messe Popkomm die Gelegenheit, dem Mann, den die meisten primär in seiner Eigenschaft als Chef seiner Band The Sisters Of Mercy kennen werden, noch rechtzeitig zur Oktoberausgabe ein paar Fragen zu seinem anderen Betätigungsfeld zu stellen.
"Ich mache das seit '81. Als die Sisters damals - erst als Hobby und dann etwas ernsthafter - Singles rausbringen wollten, wollte kein Schwein das für uns machen, wir mußten das also alleine zustande bringen", blickt Eldritch zurück.
"Die Sisters-Platten erschienen bis '84 auf Merciful Release. Seit wir auf Eastwest sind, ist die Merciful Release-Flagge auf Sisters-Sachen eher so 'ne Art Schmucksache. Aber im Laufe der Jahre hatten mir ziemlich viele Leute geholfen, und da, wo ich jetzt ab und zu Zeit und etwas Sisters-Geld übrig habe, und da, wo ich manchmal gute Musik zu hören bekomme, denke ich, daß ich auch mal anderen ein bißchen helfen sollte. Im normalen Sinne ist Merciful Release also gar kein Label, weil wir keinen Hype machen und nicht jede Demo-Cassette akzeptieren. Manchmal trifft man Leute, oder man hört was, und die Bands oder Künstler meinen 'Möcht ich eigentlich gern veröffentlichen, aber ich weiß nicht, wie das geht' oder 'ich will das nicht mit 'nem Major' oder 'kein lndie-Label will mir einen Deal anbieten', ganz verschiedene Gründe. Und seit '81 haben wir dann ab und zu etwas außerhalb der Sisters veröffentlicht."
Salvation und die March Violets waren z.B. Acts, deren Cover das Mercifui Release-Logo zierte. Die beiden aktuellen Bands auf Mercifui Release sind La Costa Rasa und The MK Ultra, den Stil der ersten beschreibt Andrew als "Intelligent Modern Punk mit Grunge-Tendenzen", die zweite charakterisiert er ebenfalls zutreffend als "Rock-Techno-Ambient-Geschichte, die in Zukunft zunehmend in Richtung Ambient gehen wird, was ich voll unterstütze, weil sie das am besten können", wobei er Ambient definiert als "atmosphärische Musik ohne Strukturbedingungen, bei der Klangfarben im Vordergrund stehen. Aber ich hab ein Problem damit, wenn unter Ambient verstanden wird 'nett, zum Einschlafen, hippiemäßig', weil Ambient auch sehr gemein sein kann."
Eine solche Zusammenstellung von Bands hätte ich nicht unbedingt vom Sisters Of Mercy-Chef erwartet."Das hat vielleicht etwas damit zu tun, daß du Zillo-Leser bist. Meine Lieblingsplatten zur Zeit sind Peace, Love And Pitbulls und Tori Amos. Und ich finde die aktuelle Roxette-Single 'Crash Boom Bang' voll geil. Als Konsument bin ich aufgeschlossen. Und ich veröffentliche gerne das, was mir gefällt. Hätten mir die Roxette-Leute 'Crash Boom Bang' geschickt, wäre ich auch dafür zu haben gewesen. Leider krieg' ich zu viele Demo-Cassetten von Leuten, die meinen 'Ja, wenn wir nur versuchen, irgend welchen alten Sisters-Sound so gut wie möglich nachzurnachen, wird ihm das bestimmt gefallen, der fährt darauf total ab'. Und das stimmt überhaupt nicht, das ist für mich das Allerschlimmste."
Die Bands auf Mercifui Release rekrutieren sich bislang aus Andrews Bekanntenkreis: Der Sänger von La Costa Rasa wohnt in einer ehemaligen Wohnung von ihm, und The MK Ultra sind eine Nachfolgeorganisation von James Rays Gangwar, "von denen wir früher schon Platten veröffentlicht haben. Auf jeden Fall ist der Sänger der gleiche, bei den anderen weiß ich's nicht, denn der Sänger verrät mir nicht, wer sonst noch dabei ist. Aber das darf er ja auch. Ich bin nicht so darauf fixiert, Persönlichkeiten oder Trends zu verkaufen, ich meine, beide Platten liegen jenseits von irgendwelchen Trends, und ich habe sie trotzdem gleichzeitig rausgebracht. Klar, reich wird dabei keiner, aber der Künstler behält seine künstlerische Freiheit und kriegt seine Kosten gedeckt, es schadet also nicht."
Neben La Costa Rasa und The MK Ultra wurde bisher noch die "Gift" von The Sisterhood via Mercifui Release wiederveröffentlicht, und für den Herbst steht noch das Projekt The Leeds Underground an.
"Das ist eine ziemlich anonyme Geschichte, es ist eigentlich egal, ob die Leute jetzt aus Leeds kommen oder nicht, das geben sie sowieso nicht preis. Das wird auch in Richtung Ambient gehen, aber Ambient mit unheimlich viel Power, und es kracht auch manchmal 'n bißchen. Und ich bin daran auch künstlerisch beteiligt."
Sind dieses Jahr noch weitere Veröffentlichungen geplant?
"Ich hab' vor, höchstens vier oder fünf CDs pro Jahr auf Mercifui Release rauszubringen. Auch wenn das Label keine musikalische Identität hat in dem Sinne, daß man weiß 'Alles Techno' oder 'Alles Ambient' oder 'Alles rockig', glaube ich schon, daß es eine Identität insofern hat, als daß man sagen kann 'alles, was da rauskommt, ist intelligent, ist irgendwie schön, auch wenn es manchmal gemein ist, und hat was'."
Dann bist du für dieses Jahr also eigentlich schon durch mit dem Veröffentlichen.
"Ziemlich, weil bei mir auch der Rest dieses Jahres unheimlich dicht ist. Ich arbeite zur Zeit an Filmmusik, und zwar für drei Filme gleichzeitig. Das macht mir unheimlich viel Spaß. Und die Leeds Underground-Geschichte ist auch noch nicht ganz fertig, da muß noch etwas dran gearbeitet werden."
Noch einmal kurz zurück zu Merciful Release. Wie sieht's denn mit den anderen Platten aus, die das Label zwischen 1981 und jetzt veröffentlicht hat? Sollen die auch, wie die Sisterhood, wieder rauskommen?
"Die alten Mercifui Release-Platten sind jetzt praktisch vom Markt, March Violets gibt's nicht mehr, Salvation auch nicht, und die alten Sisters-lndie-Sachen sind alle nur noch auf Compilation bei Eastwest erhältlich, weil die sowas von gebootleggt waren und zu viele Leute doofes Geld dafür bezahlt haben, fand ich sehr ungerecht, und damit wollt ich auch das alte Merciful Release-Kapitel schließen. Ich steh' viel mehr auf die aktuellen Platten."
Und für welche Filme arbeitest du an Soundtracks?
"Für 'Judge Dread', das ist eine in England sehr beliebte Comicfigur, sehr, sehr lustig und obergewalttätig, sehr schön, der wird von Sylvester Stallone gespielt; für 'Johnny Mnemonic', auch so eine Art Science Fiction-Geschichte; und dann für den nächsten Film von Paul Verhoeven, der 'Basic Instinct' und 'Robocop' gemacht hat. Es ist zwar absolut noch nicht sicher, ob meine Musik dafür angenommen wird, es gibt da allemal noch Konkurrenz, aber das Gute daran ist, daß ich auf alle drei Filme stehe, und daß ich von den Leuten gefragt wurde, ob ich Lust dazu hätte, und nicht umgekehrt. Dieses Jahr hab' ich Glück gehabt, 'Wayne's Worid' z.B. hab' ich abgelehnt, weil es unbedingt nicht meine Art von Film ist, find ich total scheiße. Und "The Crow', diese eklige Gruftigeschichte, furchtbar, absolut furchtbar. Würd' ich nie mehr machen. Aber dieses Jahr hab' ich gleich drei auf einmal, die mir gefallen."
Man darf also gespannt bleiben. Was sonst noch bleibt, ist der Hinweis, daß der europaweite Vertrieb von Merciful Release über Rough Trade Deutschland läuft. Die Frage, auf die viele jetzt noch warten werden, habe ich natürlich auch noch gestellt, nachdem alles andere abgehakt war, denn einen Absatz wäre es mir auch im Rahmen eines Label-Portraits wert gewesen, darüber zu berichten, wie Andrews zukünftige Pläne mit den Sisters Of Mercy aussehen. "Darum geht's erstmal nicht", war die trockene Antwort, "ich kenn' Zillo, es wär' sonst nur 'n Sisters-Interview, das will ich nicht." Tja, gegen ein solches Pauschalurteil ist anscheinend selbst jemand, der vorher noch nie mit Andrew gesprochen hat, nicht gefeit. Kann man nichts machen.
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St. Pauli : Gesichter und Ansichten vom Kiez.
St. Pauli : Gesichter und Ansichten vom Kiez.
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Der Engländer Andrew Eldritch, geboren 1959, Sohn eines Angehörigen der britischen Luftwaffe, lebte seine ersten 17 Jahre mit der Familie in verschiedenen Ländern Europas und Asiens. Ende der 70er/Anfang der 80er begann er, Musik zu machen und gründete die Gruppe "The Sisters Of Mercy".
ZU HAUSE FÜHLT ANDREW ELDRITCH SICH NUR IN DER ENGLISCHEN SPRACHE.
Was mir am meisten an Hamburg gefällt, daß es hier, soviel wie ich weiß, überhaupt keine Musikszene gibt. Also fühl' ich mich dadurch auch nicht gestört, wie das in England immer ist. Erstmal nerven die Leute dort einfach, weil sie einen nicht mehr als Mensch akzeptieren können, sondern nur als Medienprofi. Und zweitens ist England allgemein ziemlich modebesessen und es herrscht ein tierischer Konkurrenzkampf; sie passen alle auf die Charts auf, auf Marktanteile und so fort. Und hier nicht. Hier interessieren sie sich für mich als Musiker überhaupt nicht. Die meisten kennen mich nicht mal als Musiker. Hier kann man vielmehr so ein Bürger sein. Obwohl ich in England immer noch ansässig bin, und da wähle ich und zahle meine Steuern ganz brav. Wenn es hier eine Szene gibt, ist es bestimmt keine homogene Szene. Jeder tut, worauf er Lust hat, weil die Chancen für deutsche Musiker ziemlich schlecht stehen, sich überhaupt mit irgendwas durchzusetzen, insofern sind sie nicht so zielstrebig im englischen Sinne. Dieser ungesunde Konkurrenzkampf, wie bei den Engländern, besteht nicht.
Heutzutage ist es so, wenn man sich als deutscher Musiker durchsetzen will, muß man so klingen, als ob man aus dem Ausland kommt, um die Plattenfirma überhaupt auf einen aufmerksam zu machen. Dann hat man ganz kurz ein bißchen Profil, verkauft ein paar Platten und dann merkt der Markt, daß wenig dahintersteckt, denn man hat gar keine Zeit gehabt, sich wirklich zu entwickeln oder zu verwirklichen, und dann ist es vorbei.
Ich mußte alles langsam aufbauen, aus mehreren Gründen. Und es ist schon ein Vorteil, aus dem Ausland zu kommen, dann wird man ernster genommen. Die paar deutschen Musiker, die ich auf St. Pauli kenne und die überhaupt was erreicht haben, die haben es nur geschafft, weil sie zunächst in England Erfolg hatten und dann in der Heimat. 1984/85 bin ich dann mit „The Sisters Of Mercy" nach Hamburg gekommen. Wir haben in verschiedenen Läden gespielt und uns hier wohlgefühlt. Ich konnte sowieso ein bißchen Deutsch, was aber auf St. Pauli gar nicht nötig ist. Ich kenne Leute hier, die wohnen seit Jahren auf St. Pauli, die können kein Wort Deutsch und kommen irgendwie klar. Dann wollte ich 1985 'ne Pause machen, beruflich und persönlich, wollte die Batterien aufladen, und dachte, ich gehe für ein paar Monate irgendwo hin. Und war plötzlich in Hamburg. Zuerst bin ich nach Bramfeld gezogen, es war ganz nett, aber es ist mir eigentlich viel zu grün da. Da ich mich sowieso fast jede Nacht in St. Pauli befand, dachte ich, warum nicht gleich dahinziehen.
Dann habe ich neben dem Casino gewohnt. Nun hab' ich 'ne Wohnung mit Elbblick, bin aber selten da. Ich bin sehr oft unterwegs, ich reise gerne, habe inzwischen einen Führerschein gemacht, ich fahre gerne. Wenn ich arbeite, ist es mir lieber, früh aufzustehen, so daß man seine Ruhe hat und ein bißchen nachdenken kann, bevor die Leute alle anfangen zu telefonieren und zu faxen, was so um zehn, elf Uhr spätestens losgeht. Und wenn ich um vier, fünf Uhr aufstehe, blicke ich auf die Elbe, dann ist der Fluß schön, und die Sonnenaufgänge. Ich lebe also von dem Schreiben - auch von Filmmusik - und vom Plattenaufnehmen, meistens bin ich "The Sisters Of Mercy". Ich liefere ab und zu LPs und komischerweise verkaufen die sich. Ich wundere mich, weil die meisten Plattenfirmen so schlecht sind, nicht, weil die Platten so schlecht sind.
Es gibt einige Zwänge, denen ich mich unterwerfe: Ich gehe ans Telefon, obwohl ich selten Lust habe, an den Apparat zu gehen, und ich mache Interviews, und ich mache Promotion. Das fällt mir auch schwer, weil es für mich sowas von nebensächlich ist und es gar nichts mit dem zu tun hat, was ich mach', in meinen Augen. Ich akzeptiere, daß es irgendwie nötig ist, aber ich frage mich immer wieder, muß das denn sein? Auf die Bühne zu gehen ist ein bißchen anders, dazu laß' ich mich schon überreden, unter Umständen. Auf die Bühne zu gehen, ist etwas anderes als hier für ein Interview zu sitzen, da ist schon ein bißchen Nervenkitzel dabei. Das ist wie Achterbahnfahren.
Unter Musikern habe ich kaum Freunde, und auch die, die ich kenne, kenne ich nicht beruflich, wir reden nie über Musik oder zusammenhängende Themen. Nie, das wär' mir zu klaustrophobisch. Weil, wenn ich nicht am Machen bin, spiele ich lieber Computerspiele, gucke fern oder lese Zeitung, und darüber rede ich viel lieber als über Musik. Musik ist sowieso etwas, was zuviel von meiner Zeit verbraucht, was verblöden kann, wenn man kein sonstiges Leben hat. Und es interessiert mich nicht die Bohne, was andere Leute für Musik machen, überhaupt nicht. Und das Diskutieren von Musik ist bestenfalls nebensächlich; wenn man alles mit Worten ausdrücken könnte, dann hätte Musik überhaupt keinen Sinn. Und wenn ich meine Texte alle erklären müßte, dann hätte ich überhaupt keine Zeit, meine Texte zu schreiben. Es ist wie bildende Kunst, ich verstehe nicht, warum die Leute so gern darüber reden und nicht lieber gucken. Entweder man versteht es und hat seinen Spaß dran oder nicht.
St. Pauli ist für Engländer besonders gut, denn in England schließen die Läden traditionell um elf Uhr. Städte, wo es allerlei Läden gibt, die 24 Stunden lang aufhaben, die gefallen mir halt. Es hätte auch San Francisco sein können, es ist zwar ein bißchen weit weg, oder Amsterdam. Die drei Städte liegen mir immer noch sehr nahe, weil es da so viel Wasser gibt, und mittlerweile ist für mich das Wasser nicht wegzudenken. Wasser, Meere, Flüsse sehen, ist sehr therapeutisch, beruhigt die Seele. Wenn ich in England lebe, kann ich ganz gut ohne leben, aber da weiß ich immer, daß ich die Wohnung mit Elbblick habe, das macht ziemlich viel aus.
Es ist dreckiger geworden auf St. Pauli, ein bißchen lauter. Mal macht es ein bißchen mehr Spaß, mal ein bißchen weniger, aber es ist auf alle Fälle ein bißchen dreckiger geworden, ein bißchen gewalttätiger und lauter, vor allen Dingen mit den Drogen ist es direkt auf dem Kiez zu hart geworden fürs tägliche Leben. Es ist gut für Besuche, aber direkt da würde man nicht wohnen wollen. Ich bin auch wegen des Milieus etliche hundert Meter weiter südlich gezogen. Weil ich Ärger mit der Mitbewohnerin und ihrem Gerichtsvollzieher hatte, und weil im Flur gedealt wurde. Und wo gedealt wird, wird gestochen und geschossen, ganz klar. Und irgendwann steht man blöderweise in der Schußlinie. Man kann nichts dafür, mal Glück, mal Pech.
"The Sisters Of Mercy" war die erste Gruppe, die Bandenwerbung im St. Pauli-Stadion hatte, und immer noch hat. Keine andere Gruppe hatte jemals in einem Fußballstadion für sich, nur so allgemein, geworben. Da steht nur der Name der Gruppe. Mittlerweile sind andere nachgekommen, aber die werben in direkter Weise für ihre LPs und CDs, das finde ich nicht so cool.
Meine Heimat ist für mich meine Muttersprache, es ist nicht Stadt- oder landbezogen, es ist abstrakter. Wenn ich Texte schreibe oder überhaupt überlege, was ich schreib', dann bin ich schon in meiner Heimat. Die Sprache ist also mein Zuhause. Ich bin sprachbegabt, sowieso, und Englisch ist für mich das Allerheiligste. So habe ich kein Heimatgefühl zu Leeds, wo ich auch wohne, auch nicht zu dem Ort, wo ich geboren wurde. Mein Vater war in der Luftwaffe und wir sind ständig umgezogen. Ich mußte in unzählig viele Schulen als Kind, ich bin nirgendwo geblieben. Und das habe ich weiter fortgeführt, ohne nachzudenken, nicht absichtlich. Es paßt mir gut. Ich hab das Umziehen nicht als Qual oder Streß oder Ärger empfunden, das war halt normal. Trauer, Ängste, Sorgen, Angst vor dem Neuen, das hab' ich nie gehabt. Darüber bin ich auch froh, daß ich keine solchen Ängste hab'. Ich bin immer auf Achse, aber es hilft mir schon zu wissen, daß ich zwei Bleiben hab', 'ne Wohnung in Hamburg und das Haus in England bei Leeds. Ohne die könnte ich nicht auf Achse bleiben. Es würde mir schon was fehlen. Sowas wie zwei Standbeine.
Das Wort Ausländer heißt für die meisten Deutschen schwarz. Und das bin ich auf jeden Fall nicht. Für deutsche Verhältnisse bin ich kein Ausländer, für meine Verhältnisse bin ich einer. Im allgemeinen Sinne. Also, wenn ich durch die Straße geh', bin ich kein Ausländer. Wenn ich in der Kneipe sitz', bin ich kein Ausländer, es sei denn, ich mach' die Leute irgendwie darauf aufmerksam. Der einzige Zwischenfall, den es in Hamburg gab, •war mit HSV-Fans. Das einzige Mal, wo ich eins auf die Nase gekriegt hab', das waren HSV-Fans. In der U-Bahn. Ich war damals mit 'ner Freundin, die ist Halbchinesin und sieht chinesisch aus und ist aber fast zwei Meter groß, und das haben die mir ziemlich übel genommen. Und weil ich kleiner bin, haben die mich natürlich zuerst geschlagen, weil die halt immer so drauf sind, wenn sie unter sich sind. Und dann kommen die Ausländer-Raus-Sprüche und so weiter und so fort. Sie haben mich aber gar nicht als Ausländer identifiziert, sondern mich nur in ihrer Begleitung gesehen.
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Stellungswechsel
Visions - 1/98
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Andrew Eldritch kommt im Januar mit den Sisters Of Mercy auf Tour, im März wird ein Tonträger einer Formation namens SSV erscheinen, die von der Plattenfirma ‘eastwest records’ als sein neues Projekt beworben wird. Was der Künstler selbst wiederum nicht so sieht.
"Du hast mich teilweise über Dinge befragt, die mich sehr nerven. Das ist dein gutes Recht. Ich möchte trotzdem behaupten, daß ich allgemein sehr gut gelaunt bin!" Der Schlußsatz des nach einem telefonischem Vorgespräch per E-mail abgewickelten Interviews sagt eigentlich schon recht viel aus. Zum einen, daß er kein Griesgram ist, wie gerne beschrieben wird (auch ich kann das nicht behaupten, bei unseren drei vorherigen Gesprächen war er immer freundlich und sehr zuvorkommend). Andererseits könnten diese Seiten hier eine willkommene Plattform sein, um endlich mit den Mißverständnissen der Vergangenheit aufzuräumen, und um diverse Statements zu manifestieren, so daß ihm hoffentlich viele Nervereien in Zukunft erspart bleiben.
Doch erst mal zur Gegenwart: Die Band besteht derzeit neben Eldritch aus Adam Pearson (Git.), Mike Varjak (Git.), Doktor Avalanche (so nennt sich ihr Drumcomputer) sowie aus Ravey Davey (Nurse to the Doktor). Diese Formation wird demnächst auch auf unseren Bühnen präsent sein.
Warum eine Sisters-Tour ohne aktuelle Sisters-CD? "Und warum veröffentlichen die Sisters nicht jedes Jahr eine CD wie jede andere brave Gruppe, die ihre Tagesordnung von der Presse, Plattenfirma oder anderen Buchhaltern und Parasiten bestimmen läßt? Tja... Warum haben wir überhaupt so oft gespielt seit der letzten Platte?Natürlich, weil wir Bock hatten. Wenn wir keinen Bock haben, spielen wir nicht, auch wenn es einen aktuellen Tonträger gibt."
So z.B. bei "Floodland" geschehen. Eldritch lebt heute nicht mehr hauptsächlich in Deutschland, zur Zeit des Interviews hält er sich in Spanien auf, und auch in London ist noch ein Büro etabliert. Haben Konzerte in Hamburg, seiner Ex-Wahlheimat, wie z.B. jenes am 25.01.’98 im G1, eine besondere Bedeutung für ihn, oder ist es ein Gig wie jeder andere auch? "Kein Sisters-Konzert ist wie jedes andere. Das ist auch gut so, selbst wenn es heißt, daß manche Konzerte besser sind und manche schlechter. Dafür gibt es aber verschiedene Gründe. Die Güte des Publikums ist dabei eigentlich nicht entscheidend. Wie die meisten Gruppen finden auch wir das Hamburger Publikum ein bißchen schwierig, aber jedes Publikum kommt letztendlich, um Spaß zu haben. Es ist sein gutes Recht, seine Freude zu verbergen. Wir ahnen sie trotzdem. Die Leute haben natürlich das Recht, einem das Leben schwer zu machen, aber das klappt bei den Sisters nicht so richtig, weil wir Herausforderungen mögen. Und schließlich gibt es weitaus Schlimmeres als die Hamburger. Daß ich manchen Zuschauer persönlich kenne, merke ich während der Show nicht, weil ich als Frontmann ja die ganze Zeit geblendet werde. Wirklich fallen mir meistens nur die Leute auf, die bei jedem Sisters-Konzert dabei sind. In Hamburg oder anderen Heimatstädten merkt man erst nachher im Backstage-Bereich, daß man auf einmal zu unheimlich vielen Leuten gleichzeitig nett sein muß. Dies ist natürlich viel anstrengender als das Konzert selbst." 1996 tourten SOM mit den Sex Pistols. Waren diese Konzerte etwas Besonderes, oder auch einfach übliche SOM-Gigs? "Ja, ich denke, für die Sex Pistols waren sie schon etwas Besonderes."
Nach den drei regulären Studioalben von ‘85, ‘87 und ‘90 erschienen in den Jahren ‘92 und ’93 zwei Single-Compilations, die letzte wirklich neue Single "Under The Gun" ist bereits über vier Jahre alt. Kann man schon absehen, wann es ein richtig neues Sisters-Album gibt? "Es wird immer eine Menge geredet. Seit das Problem mit ‘eastwest’ gelöst ist, machen wir uns schon konkretere Gedanken darüber. Mitte April bringen wir eine Single heraus, eventuell eine zweite kurz darauf. Ihr könnt frühestens am Ende des Sommers mit einer Platte rechnen."
Das angesprochene Problem ‘eastwest’ wurde eine Woche vor der Beantwortung dieses Fragenkataloges aus der Welt geschafft. Der Sachverhalt: Das Label offeriert eine Produktion einer Formation namens SSV (music written, performed and produced by Bellendir, words by Schroeder, guest vocals by Eldritch) als das neue Projekt des A.E. "Go Figure", so der Titel des Albums, gehe deutlich in Richtung Techno und Dance. Außerdem stehe Eldritchs Name stets für ungewöhnliche Sound-Abenteuer, und gerade dieser experimentierfreudige Aspekt seiner Musik begründe seinen Erfolg. Soweit das Produkt-Info. Hinter vorgehaltener Hand sagte jedoch eine Mitarbeiterin der Plattenfirma, das Werk sei absolute Scheiße. Eldritch äußerte sich diesbezüglich dahingehend, daß ‘eastwest’ das Produkt ja nicht hätte veröffentlichen müssen, und zeigte sich verwundert, daß die zuständigen Herren sich das Material nicht einmal vorher anhören wollten. Inwiefern hat sich also das Musikverständnis von Eldritch in den letzten Jahren verändert? Das letzte ‘richtig’ neue Album erschien schließlich 1990 (also lange vor Nirvana, Pearl Jam, TripHop, Drum’n’Bass etc.). Gibt es gedanklich eine Anpassung an aktuelle Strömungen, oder fließen diese neuen Sounds an der eigenen Musik sozusagen vorbei?
"Meistens bestehen Strömungen nur aus neuen Klamotten, die eigentlich nicht wirklich neu sind, geschweige denn gutaussehend. Solche Ereignisse gehen uns am Arsch vorbei. Das gilt auch für ‘Strömungen’ wie Drum´n´Bass. Man muß schon sehr armselig sein, um die Rhythmusmaschine auf doppelt-so-schnell-pro-Takt zu stellen und sich dann für ein Genie zu halten. In den frühen Achtzigern haben wir nach Feierabend derartig rumgedaddelt, wie Cabaret Voltaire, Throbbing Gristle, Chrome, MX80 Sound, Suicide und viele andere auch. So ein Gedaddel ist letztendlich aber unbefriedigend. TripHop ist klasse, Nirvana und Pearl Jam fanden wir gut, aber wirklich revolutionär waren sie nicht. Wir waren Vorreiter für so viele Sachen, daß ein späteres Mitmachen für uns eher ein Rückschritt wäre. Zum Beispiel 808-Schlagzeug mit Gitarren- oder Keyboard-Loops: Das ist Manchester 1992 oder die Sisters im Jahre 1982."
Was bedeutet SSV? Besagte Lady der Record-Company interpretierte den Ausdruck mit ‘Sommerschlußverkauf’, im Internet finden sich jedoch einige Seiten, die den Bandnamen in voller Länge SSV-NSMABAAOTWMODAACOTIATW zitieren, was angeblich für ‘Screw shareholder value - not so much a band as another opportunity to waste money on drugs and ammunition courtesy of the idiots at Time Warner’. Daß eastwest zu letztgenanntem Konzern gehört, muß wohl nicht näher erläutert werden... Der gesamte Inhalt dieser Pages läßt sich leicht im Internet finden, muß also hier nicht in all seiner Ausführlichkeit ausgebreitet werden. Außerdem wollen die Sisters diesen Text nicht bestätigen, dementieren aber auch nicht. So bleibt es also jedem Individuum freigestellt, die angeführten Sachverhalte jeweils für die eigene Person zu interpretieren, was Wahrheitsgehalt und dergleichen betrifft. Gibt es neben dem im Internet kursierenden Text über die Platte der Formation SSV noch etwas zu sagen, was in den besagten Zeilen keine Erwähnung findet? Die Antwort könnte deutlicher nicht ausfallen: "Nein."
Es gefällt natürlich keinem Künstler, wenn er fortwährend auf die gleiche Art und Weise kategorisiert wird. Im Falle von Andrew Eldritch sind manche dieser Schubladen jedoch derart verankert, daß ich die dafür erdachten Fachbegriffe schon gar nicht mehr niederschreiben mag.Viele Presseleute interpretieren z.B. das ständig wechselnde Outfit falsch, stellen einen Zusammenhang zwischen Äußerlichkeiten wie deinen blondgefärbten Haaren und der Musik her.
"Ich finde es komisch, wieviel Wert darauf gelegt wird. Mit schwarzen Haaren klangen die Songs so düster, und jetzt, wo ich blond bin, erinnern sie doch vielmehr an Heino, David Bowie oder welchen Blonden auch immer. Ganz merkwürdig. Die Sisters verlieren bei diesem Spiel gleich doppelt, weil die meisten Medienvertreter ja ein falsches Bild von der Oberfläche malen. Aus Faulheit, Dummheit und natürlich auch mit Absicht. Für die meisten bin ich nicht blond, also sind die Songs noch düster. Oder auch umgekehrt. Einmal, nach einem Telefon-Interview, war aus der ersten Schlagzeile herauszulesen, daß eine ganze LP aufgrund meiner schwarzen Haare verurteilt werden sollte, obwohl sie zum Zeitpunkt des Interviews schon längst blond waren. Der Typ hätte wenigstens nach der Haarfarbe fragen können, bevor mir das nicht-existierende Schwarz zum Verhängnis wurde. Die Presse sieht irgendwelche Prinzen der Dunkelheit, weil es eben einfacher ist. Da steht das Wort ‘düster’ in irgendwelchen doofen Rock-Lexika, und alle schreiben es nach. Das Aussehen einer doofen Minderheit im Publikum wird oft gegen uns verwendet, was Außenseiter nicht gerade dazu bewegen soll, sich anzuschließen. Angeblich gab es Zeiten, da hörte sich die Presse die Songs an. Tja. Wenn unsere Songs nicht zehnmal so gut wären wie die der Konkurrenz, dann hatten wir es echt schwer. Was Image und dergleichen angeht, sollte ich mich wohl etwas mehr um solche Nebensächlichkeiten kümmern, da sie allen anderen so wichtig sind. Dies kann ich aber beim besten Willen nicht, zumal so viele Leute über Tatsachen hinwegsehen wollen."
Wer regelmäßig in den Erzeugnissen der Printmedien stöbert, dem wird nicht entgangen sein, daß Eldritch auch schon selbst als Autor einige Rubriken mit seinen Worten gefüllt hat. Wie fühlt sich ein Musiker, wenn er selbst als Pressevertreter einen Künstler interviewt, wie er es mit Bowie für den Rolling Stone getan hat? "Tut mir leid, aber ich habe die Presse nicht vertreten, ganz im Gegenteil. Als Künstler fühlt man sich verpflichtet, die Sache ausnahmsweise artgerecht zu beurteilen. Bowie sagte mir, er sei tierisch froh, einmal keine Fragen zur Ex-Frau bekommen zu haben."
Sind deine Beiträge - u.a. auch in Max - erschienen, weil die Texte für dich ein wichtiges Anliegen darstellten? "Etwas Geld steht mir dabei auch schon zu, das muß ich mir dann irgendwann einmal abholen. Ein richtiges Anliegen hatte ich nicht, aber es ist manchmal gut, die Leute daran zu erinnern, daß wir keine Mystiker sind. Ein Schnack über Computer tut allemal gut. Der Leser wird nicht nur über Net-Hype aufgeklärt, solche Artikel spiegeln auch unser Verhältnis zur Technik im Musikbereich wider. Wir haben immer die neueste Technik verwendet, um wie die Sisters zu klingen. Manche Bands klingen hingegen wie Taschenrechner, weil das irgendwie moderner sein soll. Man soll sich nicht von der Technik beherrschen lassen, man soll die Technik beherrschen. Und man muß wissen, wofür sie gut ist."
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The Sisters of Mercy
Orkus - 1/1998
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The Sisters Of Mercy - glaubt man der Historie, irgendwann 1980 eher zufällig. denn geplant, gezündet. "Wir", (Founder Gary Marx und Andrew Eldritch) so Eldritch, "wollten uns im Radio hören". Um die Sache zu vereinfachen, gründeten die beiden das Label gleich mit, und noch im gleichen Jahr konnte man das Debüt "The damage gone" (In tausender-Auflage erschienen) erwerben. In der eigenen Band-Bio wird sie als "rubbish" bezeichnet, und in der Tat fällt es schwer, auch nur annähernd das Potential herauszuhören, das nur wenige Jahre später mit "Alice", "Temple of love" oder "First and last and always" feingeschliffen werden sollte. Dies merkten auch Andrew und Gary, sie besannen sich und beschlossen 1981, noch einmal vernünftig anzufangen. Sie kauften einen Drurncomputer, fanden in Craig Adams einen Bassisten, und bevor das Jahr beendet war. hatten sie einige Gigs hinter sich, und sogar mit Ben Gunn einen zweiten Gitarristen gefunden. In dieser Besetzung wurde 1982 die zweite 7" "Body Eleetric" in Kooperation
mit CNT Productions (der Band ist das Geld arg knapp geworden) veröffentlicht, die als erste einer langen Reihe von Singles die Ehrung "Single of the week" im Melody Maker einnehmen durfte. Erstmalig spielten sie auch in London, wo ihnen gleich Tony James (seinerzeit noch bei Generation X) über den Weg lief, und er Eldritch. fragte, ob sie nicht eine Band gründen sollten. Damals lehnte Eldritch noch dankend ab. Daß sich ihre Wege zehn Jahre später bei „Vision Thing" wieder kreuzten, dürfte bekannt sein. So langsam wurden die Medien etwas aufmerksam, und die im Vergleich zu deutschen Radiosendern ausgesprochen engagierte BBC lud die Newcomer zu einer Session ein. Das Sprungbrett zur Karriere war erklommen, und mit der nunmehr dritten Single "Alice", der ersten, die produktionstechnisch ausgereift war, und einer Tour im Vorprogramm der dieserzeit schlicht göttlich zu nennenden Psychedelic Furs sollten auch etwas Verschlafene mitbekommen, daß sich hier aus dem Sumpf des niedergegangenen Punks, erschlafften
Metals und sich gerade aufgelöster Bauhaus etwas hervorhob. Im März 1983, kurz nach ihrer zweiten BBC-Session, kam "Anaconda", eine Single, die mitunter als erster Stilbruch, oder besser Stilwechsel, bezeichnet wird, dabei ist sie eine gute Vorbereitung auf das erste, wahre Meisterwerk der The Sisters: "The Reptile House EP". Schwere, schleppende Epen im schwärzesten schwarz, verzerrte Vocals und - die erste Textbeilage, die, so Eldritch, nötig war, da man sonst die Texte eventuell nicht verstehen könnte. Das Verständnis der Texte allerdings war von jeher nicht ganz einfach, da Eldritch sich den simplen Mechanismen eines "Pop-Lyrics" entzog und Anspielungen, (Querverweise und Symbolismen integrierte. Die erste große Europatournee folgte, dann Amerika und der Ausstieg von Ben Gunn, der diesen Schritt damit kommentierte, die Band nehme sich selbst zu ernst (und würde ich die Quelle finden, gäbe ich sie Euch sogar, Anm.d-Autors). Ob er dies später bereute, ist nicht bekannt. Im Oktober wurde dann mit
"Temple Of Love" die Single veröffentlicht, zu der sogar in der letzten Dorfdisco getanzt werden konnte.
Und es kam, was kommen mußte. The Sisters Of Mercy verloren ihren Independent-Status und signten bei einem Major. Ben Gunn wurde durch Wayne Hussey ersetzt. Daß der von den eher unsäglichen Dead Or Alive kam, mag den Fans übel aufgestoßen sein, doch sein Gitarrenspiel und seine Talente als Songwriter wußten schnell zu überzeugen. Im März 1984 wird die erste Maxi-Single "Body and soul" auf den Markt gebracht, limitiert mit einer Flexi-7" ("Long train"), die immerhin in den englischen Verkaufscharts in die Top 50 kommt. Weitere Touren folgen, die dritte BBC Radio-Show (auf der Tracks des Albums "First and last and always" erstmals aufgenommen wurden)... Und... es begann in der Band zu kriseln. Manche meinten gar. aus "Walk away" deutliche Worte Eldritch's an Marx herauslesen zu können. Während den Aufnahmen zum Debut-Album "First and last and always" kollabiert Eldiritch. Offiziell hieß es, das unstete Tourleben, der Streß der Aufnahmen hätten dazu geführt. Weniger offiziell wird von Drogen gemunkelt, sicher nicht zum Spaß haben sich The Sisters selbst den Nobelpreis für .Vmphctamin-Mißbrauch verliehen. Nach einer Ruhepause, (First and last and always sollte bereits Ende 1984 veröffentlicht werden) erscheint im Februar 1985 die Single "No time to cry", kurz darauf das gespannt und sehnsüchtig erwartete Album.
"First and last and always", fast ein programmatischer Titel... Zehn Songs, von denen keiner dem anderen gleicht, alle 100% Sisters sind, und jeder für sich in die Geschichte der Rockmusik gehört. Doch ich will nicht pathetisch werden. Mit dem Release verkündet Gary Marx seinen Ausstieg und formiert mit Anne-Marie von The Skeletal Family die Band "Ghost Dance", die einige ganz passable Songs geschrieben hat, es aber (un-)Dank der Livekünste Anne-Maries nie richtig zu etwas gebracht hat. Schade.[Blödsinn. Weitere Infos dazu hier]
Daß die '85er-Tour "Tune in, turn out, burn out" das vorerst letzte Lebenszeichen der Band sein sollte, war nicht absehbar. Auch nicht, als sich Eldritch nach dem gefilmten Gig in der Royal Albert Hall ausnahmsweise mit "Thank you and goodbye" und nicht "Goodnight" verabschiedete, war bestenfalls Insidern bekannt, daß es weiterhin in der Band schwelte. Über dem neuen Material verkrachten sich schließlich Eldritch und Hussey. Letzterer nahm seinen Hut, Adams mit dazu, und formierte zusammen mit Simon Hinkler und Mick Brown "The Sisterhood" (aus denen später The Mission wurde), und tourten im Vorprogramm von "The Cult". Hussey beklagte sich in der Öffentlichkeit über vieles, und vergaß bei seinen Tiraden völlig, daß nach englischem Recht die Rechte an einem Bandnamen dem zufallen, der als erster eine Platte unter strittigem Titel veröffentlicht. Das war Eldritch, der mit der 1986 auf Merciful Release veröffentlichten Single "Giving ground" die Nase vorn hatte, und in Rekordzeit das Album "Gift" nachlegte. In "Jihad" spart er sich nicht einen Seitenhieb auf die 25000 Pfund, die er als Vorschuß kassierte, während Hussey und Adams, die seinerzeit den Plattenvertrag mit unterschrieben, leer ausgingen. Kann man drüber lachen, wenn man will. Muß man aber nicht. Bei "The Sisterhood" tritt auch erstmalig Patricia Morrison (die beiden lernten sich kennen, als ihre damalige Band The Gun Club die Sisters supportete[Ebenfalls Quatsch. Umgekehrt wird ein Schuh daraus]) in Erscheinung. Der leider verstorbene Bandleader des Gun Clubs, Jeffrey Lee Pierce, bezeichnete sie als „hübsche Baßhalterin", und glaubt man den Gerüchten, war das auch die Rolle, die ihr Eldritch später zuteilen sollte. Und dann kam erstmal nix. Außer Gerüchten, er wäre tot oder hätte keine Lust mehr, undundund...
Und dann - 1987 - erschien urplötzlich und etwas überraschend die Single "This corrosion" in der Besetzung Eldritch/Morrison, eine fette Jim Steinman (u.a. auch Meatloaf) Produktion, haarscharf an Über-Produktion vorbei, die europa- und amerikaweit chartete. Dann im November das Album "Floodland" bei dem sich die Rollen der Gitarren und Keyboards ausgetauscht haben. Trotz einiger sehr guter Songs nicht gerade ein Renner. [Häää ???]
Etwas fehlt bei "Floodland", aber ich kann nicht genau sagen, was. Weitere Auskopplungen "Dominion" (das Video entstand im jordanischen Städtchen Petra, und die Bravo wußte seinerzeit von wahren Horrorstories zu berichten) und "Lucretia, my reflection", mit der Eldritch die Zweitverwertung einläutete, und anstelle eines neuen Songs einfach "Long train" dazupackte. Dann, wieder mal, nix. Schweigen im Walde. 1989 gerade mal ein Video, "Shot", mit den drei Singlevideos und "1959". Im Sommer 1990 schließlich verkünden die Sisters in der Besetzung Andreas Bruhns (git.), der später als Broons recht schlechte Alben vorlegte, Tony James (bass), Tim Bricheno (git.), Doktor Avalanche und Andrew Eldritch ihr Comeback im Rahmen einer Pressekonferenz beim Bizarre-Festival. [Auch Quatsch. Zu diesem Zeitpunkt war Tim noch gar nicht mit dabei.]
Die erste Single "More" geht auch prompt wieder in die Charts, "Vision thing" erscheint im November, ein "ass-kicking" Rock Album, das jedoch weder in einer Reihe mit "First and last and always" noch mit "Floodland" steht, aber eigentlich hat das auch keiner erwartet. In kurzer Folge zwei Tourneen, die mit größter Spannung erwartet wurden, schließlich war die Band fünf Jahre abstinent von der Bühne. Konnte man lange Zeit nur sporadisch Lebenszeichen wahrnehmen, gab es jetzt die volle Packung. Alten Sisters-Fans (Marke: ich hab' die Sisters 1980 in Leeds gesehen, da warst du noch gar nicht auf der Welt) war das schon fast zuviel - wobei sich viel ohnehin schon nach "This corrosion" entsetzt verabschiedeten.
Mit "Dr.Jeep" setzt Eldritch fort. was er mit "Lucretia" begann, und packt zwei Bootleg-Tracks auf die B-Seite. Offiziell wurden diese uns als "rare live recordings" verkauft... Wir dachten: Gott, fällt dem gar nix mehr ein? Die ausschließlich in Deutschland veröffentlichte Single "When you don't see me" setzte die nicht so tolle Tradition fort. Wenig überraschend hatte auch diese Formation nur kurze Zeit Bestand. Bruhn machte sich - wie oben bereits erwähnt - selbständig. James verschwand angeblich in der Modebranche, über Brichenos (der übrigens von All About Eve kam) Verbleib ist nichts bekannt. [Ach ja? (X)C-NN? Tin Star?]
Dann - 1992- beginnt eine Phase, die böse Zungen "Ausverkauf" nennen können. Mit "Some girls wander bv mistake" (einem Cohen-Song entnommen) erscheint fast der komplette Backkatalog auf CD, auch enthalten ein ganz "neues" Stück: „Temple of love 1992 (touched by the hand of Ofra Haza)". Die weiteren Songs dieser Single sind immerhin keine Live-Verwertungen, lassen aber auch etwas Originalität vermissen. Mit diesem Release trat übrigens erstmalig Adam Pearson als Gitarrist in Erscheinung, der auch zum aktuellen Line-Up gehört. Wobei, entschuldigend und vermutend könnte man einwerfen, daß - bedingt durch die langjährigen Auseinandersetzungen mit seiner Plattenfirma - Eldritch ungerne neues Material herausgibt. Und das sollte er auch später nicht tun...
An anderer Stelle äußerte er sich (sinngemäß) zu seinem Verhältnis zu Eastwest: Wir haben eigentlich keinen Vertrag. Sie halten uns seit sieben Jahren von der Arbeit ab, entlassen uns aber nicht aus dem Vertrag, also gibt es auch erstmal keine Chance eines neuen Sisters-Albums. Sie investieren eine Menge Zeit und Geld, um mich an den Vertrag zu binden, verbieten mir, unter meinem Namen an anderen Projekten teilzunehmen. Selbst wenn ich ein pathologisches Bedürfnis verspürte, Platten aufzunehmen, müßte ich eine Menge Geld investieren, um meine Freiheit zu bekommen. Das habe ich nicht, also keine Chance. Die meisten Label geben ja nach vier Jahren oder so auf, wenn sie mit dem Künstler im Clinch liegen, aber nicht unseres. Das ist ziemlich hoffnungslos.
"A slight case of overbombing" (ohja, Anm.d.Autors) heißt die Best Of, die auch nur einen neuen Titel aufweisen kann, „Under the gun", fast parallel als Single veröffentlicht. Zweiter Track der Single ist übrigens „Alice" - 1993er Version. Im gleichen Jahr erscheint dann mit „Shot Rev 2.0" eine aktuelle Version der Promo-Clip-Collection. Dieses Jahr endet mit einer Tour im Pack mit Monster Magnet, Ramones und La Costa Rasa, eine böse gefloppte Band auf Merciful Release. Die Jahre 1994 und 1995 verbringt Eldritch primär damit, sich mit der Plattenfirma zu zanken oder die mit ihm, oder wie auch immer, und einigen Festivals.
1996 findet Eldritch in Chris Sheehans einen neuen Gitarristen und in Ravey Davey "nurse the Doktor". Das Line-Up steht. Und jetzt wollen wir Andrew Eldritch endlich zu Wort kommen lassen:
Orkus: Hast du den Prozeß zwischen George Michael und Sony verfolgt?
Andrew Eldritch: Der hat seine Klage teilweise damit begründet, daß er den Vertrag einfach nicht mehr anerkennen wolle. Dieser sollte also für null und nichtig erklärt werden. So geht das nicht. Natürlich hat er verloren. Ein Streik kann den Arbeitgeber zu etwas zwingen, ist aber in sich kein rechtlicher Grund mehr für Lohn, Urlaub oder was auch immer. Die Regel kann nicht lauten: „Ich streike, also habe ich Recht". Er ist auch nicht schneller als sonst rausgekommen, eher langsamer, weil das englische Rechtssystem noch lahmarschiger ist als das Eure. Zunächst gab es Streik, dann noch Rechtsstreit, und er mußte auf der Bank hocken, bis der Rechtsstreit vorbei war. Obendrein hat es ihm ein Vermögen gekostet. Ein englischer Prozeß ist unglaublich teuer. Jetzt gibt es Zoff zwischen ihm und Dreamworks. Diesmal geht das Spiel wahrscheinlich anders aus.
Auch zum Thema Musikbranche äußerte sich Andrew unlängst (weshalb wir diese Frage nicht beantwortet bekamen). Wir geben frei wieder: Plattenfirmen investieren gerne viel Geld in das Marketing (außer bei uns), jedoch wenig in die eigentliche Produktion. Darüberhinaus stecken sie sich die höhere Marge, die bei CDs erreicht wird, in die eigene Tasche, und die Musiker sollen nun auch noch anstelle der 40 Minuten einer LP, 70 Minuten aufnehmen. Das geht alles zu Lasten der Band (Zeit und Geld), die dafür aber selten mehr Geld bekommt.
O: Welchen Bands prophezeist du eine große Zukunft und warum?
AE. Normalerweise denen, die es nicht verdient haben, weil die Medien zu blöd sind. Glücklicherweise ist diese große Zukunft selten von Dauer.
O: Zum Beispiel?
AE: Happy Mondays, Suede, demnächst die Oasen-Beatles, und und und...
O: Und welcher Texter schreibt deiner Meinung nach die besten Lyrics und warum?
AE: Richard Butler und David Thomas. Weil sie gut sind.
O: Richard Butler, Psychedelic Furs, ist uns bekannt, aber wer ist David Thomas?
AE: Der KopF von Pere Ubu.
O: Manche finden es ja erstaunlich, daß eine Band wie The Sisters Of Mercy, die so lange Zeit ohne Veröffentlichung war, überhaupt noch ein so großes Festivalpublikum ziehen kann. Wie erklärst du dir das?
AE: Könnte sein, daß wir auch gut sind.
O: Was habt ihr eigentlich für Pläne für die Zukunft? Es wird ja einiges gemunkelt...
AE: Wir möchten möglichst viel tun, worauf wir Lust haben und möglichst wenig, worauf wir keine Lust haben. Unsere Gedanken wenden sich an die nächste Sisters-LP. Zunächst erscheinen im April und im Sommer zwei neue Singles.
O: Gibt es da schon nähere Infos, die du verraten möchtest?
AE: Die erste wird vielleicht "Come together", "War on drugs" oder "Summer" heißen. Vielleicht auch nicht.
O: Nun, dann werden wir uns mal überraschen lassen. Wie sieht die Zukunft von Merciful Release aus? Was können wir denn erwarten?
AE: Dort kommt demnächst die Debut-LP von Scoda Blush, Norddeutschlands bester Rockband. Dazu eine Platte von The Leeds Underground, die etwas tranciger ist.
O: Ich habe vor Jahren das erste Mal etwas über "The Leeds Underground" gehört. Damals hieß es, "TLU'' wäre ein verdecktes Sisters-Projekt. Was stimmt daran?
AE: Die Sisters sind dabei. Das schließt den Nachbarn nicht aus. Ich entscheide über eventuelle Veröffentlichungen.
O: Was ist denn an den Gerüchten dran, daß es eventuell eine "Re-Union" geben soll?
AE: Dasselbe wie immer. Selbstverständlich nichts. Warum denn auch? Es gibt Gerüchte, Elvis arbeite im K-Mart. Kann man glauben, muß man aber nicht.
O: Na ja. 1993 erschien die sehr dancefloor-lastige "More" Remix Promo-CD. Was war der Hintergrund für dieses Projekt und warum ist diese CD nie offiziell erschienen?
AE: Wir hatten Bock darauf. Die Platte ist nicht erschienen, weil EastWest die B-Seiten ablehnte, die aus Bootleg-Tracks bestanden. Plötzlich hieß es, "Sowas würden wir nie machen". Wobei die Idioten das schon einmal gemacht hatten.
O: Uns sind zwei Tribute-Sampler bekannt, diverse The Sisters-Coverversionen. Was hältst du von solchen Releases, vorausgesetzt, du kennst sie.
AE: Ich habe mir erzählen lassen; sie seien sehr schlecht. Irgendwelche Hehler haben zweitklassige Grufties aufgetrieben; um unsere ganz frühen Songs mit der erwarteten Ahnungslosigkeit zu covern. Ich höre mir die Platte an, wenn die Besetzung ungefähr so aussieht: Motörhead, Pere Ubu. U2, Ton Amos, The Comsat Angels, Hoodlum Priest, MX 80 Sound, Chrome, The Leeds Underground und Tricky.
O: Themawechsel: Wie würdest du dich als Mensch beschreiben?
AE: Kierkegaard meets Elvis
O: Soren Kierkegaard? Sagte er nicht: "Es ist doch ein Glück für mich, daß ich so schwermütig war"?
AE: Kann sein. Er sagte jede Menge. Manches wurde ironisch gemeint. Der Zusammenhang zu o.g. Zitat ist mir unbekannt. Schade, daß du sofort auf Schwermütigkeit zielst. Du hättest sagen könne ,Ja, er hat sich auf die Forschung von Glauben (und folglich Hoffnung) konzentriert. Komplizierte Paradoxen hat er witzig und unterhaltsam formuliert, ohne das Tiefsinnige aus dem Auge zu verlieren'', oder „Der war. im Gegensatz zu Ihnen. Herr Eldritch, kein perfekt gestalteter Love-God"...
O: Welche Rolle spielt die Schwermütigkeit in deinem Leben? Kannst du uns mehr über Kierkegaard erzählen? Und warum gerade Elvis? Soweit ich weiß, war er doch auch kein glücklicher Mensch...
AE: Schon wieder. Probier's damit: "Er war aber dick / Amerikaner / FBI-Agent / Opfer einer außerirdischen Entführung, das jetzt im Supermarkt arbeitet, während sie ein perfekt gestalteter Love-God sind"...
O: Deine Lyrics wurden von dir mal als Seelenstriptease definiert. Inwieweit treffen die Inhalte von damals heute noch auf dich zu?
AE: Echt? Vielleicht hat mir jemand "Seelenstriptease" in den Mund gelegt. Kommt mal vor. Es würde mich wundern, wenn ich das Wort "Seelenstriptease" jemals benutzt hätte. Auch das Wort "Seele" wird nie ohne Ironie eingesetzt. Ging es um die Seele des Erzählers oder der des Autors? Der Erzähler muß nämlich nicht derselben Meinung sein wie der Autor. Die Beziehung ist mal enger, mal distanzierter. Der Autor steht als Autor zu dem, was er geschrieben hat. Der Erzähler stellt als Erzähler zu dem, was er gesungen hat.
O: Welcher The Sisters-Song bedeutet für dich heute am meisten und warum?
AE: Der nächste, weil er noch besser sein soll. Sonst lautet die Antwort heute "I was wrong". Gut gespielt, fabelhaft gesungen, super-trocken-witzig, klasse produziert... Ich kann ihn mir nicht besser vorstellen als er ist. Morgen lautet die Antwort vielleicht anders. In der engeren Auswahl sind vielleicht zehn Songs.
O: Welches (Kindheits-)Erlebnis hat dein Leben nachhaltig beeinflußt?
AE: Meinst du Schlüsseleriebnisse? Es fällt mir keines ein. Vielleicht im Unterbewußtsein, aber dies ist mir... unterbewußt. Eine ziemlich blöde Frage, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf. Willkommen in der Bärbel-Schreinemakers-Show.
O: Echt.stellt die wirklich solche Fragen? Ich hab' das noch nie gesehen.
AE: Ich glaub' dir nicht. Vera-Hans Barbel B. Schreinemakers (der Name des öffentlich-rechtlichen Spanners fällt mir momentan nicht ein), demnächst fünfundzwanzig Stunden pro Tag auf allen Kanälen.
O: Andrew Eldritch ist eher als ernste Person bekannt. Aber sicherlich kannst du auch mal herzlich lachen. Worüber? Auch über dumme Interviewfragen?
AE: Ich soll die Sächen/Bücher/Personcn/Filme/Fernsehshows auflisten? Mensch... Ich lache über Dinge, die ich lustig finde, genau wie du. Mal herzlich, mal "with a wry smile", aber demselben Genuß. Ich lache nicht herzlich, wenn ich Proust lese, aber das sind die witzigsten Bücher, die ich kenne. Unter den Lieblingsfilmen ist „Man bites dog". Allerdings nicht in einem deutschen Kino zu empfehlen. Da habe ich mich letztes Mal totgelacht. Ich war der einzige, der mehr als kicherte. Jeder zweite Zuschauer ist spätestens bei der Vergewaltigungsszene rausmarschiert. Wirklich dumm gelaufen. Bei dummen Interviewfragen gibt es nichts zu lachen.
O: Dein Lieblingswitz?
AE: What's white and swings through the trees? A fridge.
O: Meiner ist: Gehen zwei Irre über die Straße, sagt der eine zum anderen: "Du, laß mich mal in die Mitte!". Doch weiter im Text. Welche Vorstellungen/Wünsche hast du für das nächste Jahrtausend?
AE: Weltfrieden, oder es leiden die Geiseln.
O: Wessen Geiseln?
AE: Einen Witz erklärt man nicht. Bei manchen Interviews haben wir tatsächlich eine kleine Flagge dabei, um den Interviewer vor einem Witz zu warnen. Auch in Amerika sehr nützlich. (Anm. Claus Müller: der war gut)
O: Was meinst du. wie wird sich das Leben und/oder der Mensch in den nächsten Jahren ändern.
AE: Ich freue mich auf eine Star Trek-Future.
O: Mit welchem Trick können wir so alt werden? Und was ist mit den Risiken des Beamens und den ausgesprochen unangenehmen Borg?
AE: Einige Star Trek-Personen werden nicht alt.. Kes hat eine sehr kurze Lebenserwartung. Mr. Ersetzbar wird ede Woche 'runtergebeamt, ohne Rückkarte, aber dafür mit rotem Hemd. Er hätte es beim Aufstehen besser wissen müssen.
O: Welches Ereignis liat dir zuletzt richtig Angst gemacht?
AE: Da fällt mir nix ein.
O: Die Dreharbeiten zu "Dominion" sollen doch recht heikel gewesen sein?
AE: Sie haben mir - ausnahmsweise - Spaß gemacht.
O:Jedes Jahrzehnt hate seine eigenen Vor- und Nachteile.
AE: Meinst du? Und warum nicht jedes Jahrneunt oder Jahrelft?
O: Gibt es ein Jahrzehnt, das du gerne erlebt/intensiver erlebt hättest?
AE: Nicht unbedingt. Ich neige nicht zu Reue oder Nostalgie.
O: Hättest du die Möglichkeit, die Vergangenheit zu ändern... Was würdest du an deiner, der der Sisteis und generell ändern?
AE: Meine Wünsche sind ein Produkt der Welt, wie sie tatsächlich geworden ist. Ich finde die Vorstellung, die Vergangenheit ändern zu wollen, nicht nur unlogisch, sondern krank.
O: Und wenn du - wie auch immer - die Möglichkeit hättest, durch "Einflußnahme" einen - welchen auch immer - (absolut sinnlosen) Krieg zu verhindern?
AE: Selbe Frage, selbe Antwort.
O: Die Frage nach der "Guten Fee". Was sind deine drei Wünsche?
AE: Meine Lieblingsfarbe ist Renngrün.
O: Renngrün??
AE: Richtig.
O: Du wohnst teilweise in Hamburg. Was zieht dich dorthin?
AE: Dort fühle ich mich wohl. Es könnte jedoch wärmer sein.
O: Stimmt. Was ist deiner Meinung nach typisch deutsch, was typisch britisch?
AE: Ich vermute, solche Fragen sind typisch deutsch, sich nicht provozieren zu lassen, ist typisch britisch.
O: Daß du mehrere Sprachen fließend sprichst, ist bekannt. Wie kam es zu dieser Vielfalt an Sprachen? Wolltest du einen Beruf ausüben, der dies voraussetzt?
AE: Nicht unbedingt, aber die Art, wie ich Texte schreibe, wiederspiegelt wahrscheinlich diese Neigung.
O: Wir es etwas "Besonderes" auf der Tour geben (Effekte, neue Songs, ...)?
AE: Stripper, Clowns, Luftballons und achtzehn Elefanten. Auf die Elefanten freue ich mich.
O: Oh, könnten die Elefanten nicht die Sicht auf die Stripper und die Clowns versperren?
AE: Die Stripper befinden sich doch in der Garderobe. Grausam. Was die Clowns angeht, da sage ich besser nichts mehr.
O: Auf welche Frage wartest du bisher immer vergeblich? Und die Antwort darauf?
AK: Auf eine überraschende und stimulierende Frage. die eventuell auch meine lockere und fröhliche Natur zum Ausdruck bringt. wie sie eben auf der Bühne zu sehen, und aus den Platten herauszulesen ist. Tja. da kann man länger warten.
O: Also, versteh' mich jetzt nicht falsch, aber sooo fröhlich finde ich die Texte eigentlich nicht.
AE: Ihr Witz deutet auf einen fröhlichen Hintergrund. Mal grob, mal fein gemahlen. Manchmal sogar daneben. Und: nicht jeder muß bzw. die Texte so empfinden, wie sie gemeint wurden. Halb so schlimm falls wir nicht auf derselben Wellenlänge sind, solange du den öffetnlichen Empfang nicht verzerrst.
O: ...Und auch bei den Shows liege ich eher selten vor Lachen auf dem Boden (nur als Tim Bricheno seine Soli spielte - sah schon lustig aus...).
AE: Probier's mit dem oben erwähnten ..wry smile"
O: Nenne doch ein paar Beispiele für diese lockere und fröhliche Natur.
AE: Den Witz erklärt man nicht.
O: Abschlußfrage: "The Sisters Of Mercy are a left-wing-institution", heißt es in der Band-Biographie. Das hört man gerne. Wie weit geht das? Was heißt das im Detail?
AE: Dein Heft ist vermutlich nicht groß genug für die Details. Politik ist auch kompliziert.
Nun, für die Beantwortung dieser Frage hätten wir gerne noch zwei bis vier Seiten geopfert. aber die Zeit drängt, und so müssen wir uns leider verabschieden. Es hatte bei mir etwas länger gedauert, bis ich Andrew's Humor verstanden habe. [IN DER TAT!!!] Bedauerlicherweise konnte ein persönliches Treffen aufgrund gewissen Infrastrukturproblemen nicht realisiert werden. Andrew befand sich zu dem Zeitpunkt des Interviews nichl gerade in einer kurz erreichbaren Nähe. Andrew Eldritch ist alles andere als eine alltägliche Person, sondern eine nicht alltägliche Persönlichkeit, der wir beim nächsten Interview auf jeden Fall direkt gegenüberstehen wollen..
Wer noch richtig unoffizielle News haben möchte, sucht sich im lnternet das Stichwort: "8?V.NSMABAAOTWMODAACOTITW".
Text is taken from: www.poison-door.net pressearchiv
Die Rückkehr des Goth-Vaters
WAZ - 16.1.1998
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Kein anderer hält die Zigarette so cool wie er: Andrew Eldritch raucht wieder. Nach sieben dürren Jahren entstauben die Sisters Of Mercy ihre Nebelmaschine. Eine Tour, ein neues Projekt und frische Singles schenken sie uns.
Die Scheidung vollzieht sich lang und schmerzhaft: Der Wegbereiter des Düsterrock will seine Plattenfirma verlassen. Diese aber liebt ihren Kassenfüller sehr und will unbedingt noch ein CD-Baby von ihm.
Das bekommt sie voraussichtlich im März, doch bei der Geburt sind Komplikationen programmiert: Unter dem beziehungsreichen Projektnamen SSV will Eldritch nämlich ein Album herausbringen, das Gerüchten zufolge sehr technolastig ausfällt. Falls bis zum Sommer die Trennung vollzogen ist, steht der Weg frei für neue Sisters-Singles und ein Album.
In den letzten sieben Jahren holte Eldritch nur selten die Limousine aus der Garage, um ins Studio oder zu Konzerten zu fahren: Seit dem Vision Thing-Album 1990 erschienen nur die Single Under The Gun und zwei Best-Of-Compilations, Fans mußten sich mit sporadischen Festival-Auftritten begnügen. Aber vor wenigen Tagen begann die event horizon-Tour, Startschuß für einen neuen Großangriff der Sisters.
Denn auch Eldritchs Plattenlabel Merciful Release erwacht langsam wieder aus dem Dornröschenschlaf. Dort erscheinen neue Werke der norddeutschen Rocker Scoda Blush, die jetzt im Vorprogramm der Sisters spielen, und von The Leeds Underground, einem Bandprojekt, von dem niemand außer Meister Eldritch Genaues weiß.
Versetzt man sich heute zurück in die alten Zeiten, dann erklingen unverwüstliche Discohits wie Temple Of Love und Alice oder die späteren This Corrosion und More. Seit sich Wayne Hussey und Craig Adams 1986 von den Sisters lossagten und The Mission gründeten, wechselte die Sisters-Besatzung schneller als Eldritch eine Stange Zigaretten aufrauchen kann. Der Rest der Band ist für den Chef unwichtig. Und so werden diesmal wieder unbekannte Gesichter als Bass- und Gitarrenhalter auf der Bühne fungieren - und der Eldritch sagt, wo es langgeht.
Die Aura der Finsternis um den Goth-Vater ist beinahe verschwunden. 1996 sang er bei einem Festival die Zugabe in einem braunweiß geringelten FC-St.-Pauli-Trikot, auf dem dicke Würstchenreklame prangte. Der Wahl-Hamburger Eldritch steht voll und ganz hinter dem Bundesligaverein, übrigens dem einzigen, dessen Fans die Totenkopf-Flagge hissen. Und auch sonst hat sich das Image deutlich aufgehellt: blonde, kurze Haare, Sonnenbrille mit roten Gläsern.
Wer vier Jahre verstreichen läßt, ohne einen Ton verlauten zu lassen, muß sich nicht wundern, wenn die Fangemeinde schrumpft. Deshalb führt die derzeitige Tour auch durch kleinere Hallen als nach der letzten Plattenveröffentlichung. Daß Eldritch in den vergangenen Jahren in anderer Beziehung aktiv war, kann man aus seinen Äußerungen erahnen: Früher nannte er sich selbst einen schlechten Fucker, mittlerweile bevorzugt er die Anrede perfekt gestalteter Love-God, wie er kürzlich in einem Interview mitteilte.
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Die Rock-Diva badet im Kunstnebel
Nürnberger Nachrichten - 16. oder 17.1.1998
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Zur Abwechslung mal ein Verriß, freundlicherweise zugesandt von Oliver Schubert, der die Ereignisse bei diesem Konzert wie folgt kommentiert:
"Ich moechte noch anmerken, dass der Autor dieser Konzertkritik immer wieder in der lokalen Tageszeitung Kritiken zum besten gibt, deren Kern meist ist: "Ich kenne die Band schon laenger und frueher waren sie besser." Einzige Ausnahme an die ich mich erinnern kann, war eine Kritik zu einem "Bonfire"-Konzert vor etwa einem Jahr, das der liebe Stefan Gnad wirklich gut fand. (Evtl. kennst Du Bonfire noch - das ist ne bayerische Metalband, die etwa zu Europe's Final Countdown-Zeiten ein, zwei Hits hatten. Danach hatte ich nur noch ein Mal von ihnen gehoert (vor ca. 3 Jahren), als sie auf einer Dorfkirchweih in der Gegend einen Gig hatten). Zum Erlanger Sisters-Konzert: Ich war dort und habe keine Pfiffe vernommen, bzw. konnte keine Missgunst feststellen. Es war mir etwas zu laut. Ich fand das Konzert grossartig, hatte aber zuvor noch keine Sisters-Show miterlebt."
"Sisters of Mercy" enttäuschten beim Auftakt ihrer Welttournee in der Erlanger Stadthalle - Matschiger Sound am Ende des Tunnels
Internet-Fanimpressionen von einem US-Konzert der "Sisters of Mercy":"Ich habe Andrew Eldritch gesehen: Er hatte blonde Haare, trug ein 'Motörhead'-T-Shirt und coverte 'Pink Floyd'-Songs. Jetzt kann ich sterben." Was ist in der langen Pause seit dem letzten musikalischen Lebenszeichen mit dem einstigen Aushängeschild der englischen Gothicszene geschehen? Gespannte Atmosphäre in der zum Auftakt der überraschend angekündigten Welttournee aus allen Nähten platzenden Erlanger Stadthalle.
Fünf Jahre ist die aktuelle CD der "Sisters of Mercy" alt und noch dazu ein "Best Of"-Album. Trotzdem gibt sich Eldritch genervt, daß die Presse nach wie vor mehr über seine wechselnde Haarfarbe als über seine Musik schreibt. In den 80er Jahren machten seine "Sisters of Mercy" zusammen mit "Depeche Mode" düster-elektronische Popmusik salonfähig. Seit dem letzten, deutlich rockigeren Studioalbum "Vision Thing" (1990) zehrte jedoch Oberschwester Andrew Eldritch, der einzige Überlebende der 1980 in Leeds gegründeten Formation, von diesem legendären Ruf - und macht so gesehen eigentlich gar nichts mehr. Das Gastspiel in Erlangen paßte da gut ins Bild. Nach langer Umbaupause und zehnminütigem Intro legten die "Sisters" deutlich härter und kantiger los als auf dem Tonträger. Die üppigen Keyboards sind größtenteils verschwunden, ebenso die Akzente setzenden Backgroundsängerinnnen. Dafür dröhnt die E-Gitarre nun deutlich lauter, hat zusammen mit dem satten Beat von Dr. Avalanche, dem Drumcomputer, nahezu die Alleinherrschaft im "Sisters"-Sound übernommen.
Eldritch müht sich sichtlich, gegen diese Lärmwand zu bestehen, verlegt sich mehr aufs Schreien denn aufs Singen. Das Gros der Melodien geht im matschigen Sound unter, viele der um- und neuarrangierten Lieder lassen sich erst anhand ihrer Refrains identifizieren. Es ist, als würde die auf Triogröße reduzierte Schwesternschaft am Ende eines langen Tunnels spielen und gar nicht erst versuchen, das Publikum zu erreichen.
Arroganz gehört bei Andrew Eldritch jedoch seit jeher zum Geschäft, und so badet Mister Sister - ganz Diva - genüßlich in Kaskaden aus Licht und reichlich Kunstnebel. Maßstäbe setzt er heute keine mehr. Weltweit nach wie vor fleißig kopiert, spielt sich das Original in Erlangen großräumig an seinen Fans vorbei. Berechtigte Pfiffe, als in der Stadthalle nach eineinhalb Stunden das Licht wieder angekniptst wurde.
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Ich will meine Trauer wiederhaben
Berliner Morgenpost, 22. Januar 1998
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Ein junger Mann breitet die Arme wie ein gefallener Engel aus und reißt sich das Shirt vom Körper, um die ersten Takte von "First and last and always" intensiver zu spüren: The Sisters of Mercy, die ihren Namen einem Leonard Cohen-Song entliehen haben, lassen das restlos gefüllte Huxley's im Nebelgewitter beben.
Die Band steht für puren Kult. Sie ist ohne den Kalten Krieg, Reaganomics und Thatcherism nicht zu verstehen. Und vor allem auch ein Berliner Geschichtsphänomen. Es ist kein Zufall, daß das Berliner Konzert extrem schnell ausverkauft war, schließlich ist vieles, was das Lebens- und Todesgefühl der ehemaligen Mauerstadt ausmachte, auch im ästhetischen Überbau zu finden.
Denn wen erinnert die apodiktisch schmucklose Lightshow der Band nicht an Suchscheinwerfer, Wachtürme, bizarren Nebel und Kummerstunden an der Berliner Mauer? Diese Musik aus grauer Vorzeit ist von vielen Westfans wohl als Erinnerung an die düsteren 80er Jahre unter dem Motto "Ich will nicht meine Mauer, sondern meine Trauer wieder" zu betrachten und von vielen Ostfans endlich einmal nachgeholt live zu sehen.
Der stoische Autismus der Sisters, wie von einem inneren Wundfieber angetrieben, war und ist, und das vergessen viele Kritiker der Gothics, immer auch ein politischer Akt. Bei dem galt und gilt es, das Weltgeschehen mit seinen bürgerlichen Hierarchiespielchen nicht mitzumachen und die innere Emigration in die Todessehnsucht anzutreten, auch wenn man von "Mother Russia" singt.
Andrew Eldritch tanzt wie ein waidwundes Tier zum seit 1981 konsequent durchgehaltenen Drumcomputerbeat und den bitteren Plektronmartern seiner coolen Gitarristen und egal, ob man ihn nun als Heino der New Wave oder Dorian Gray des Punk begreifen mag, seine Aura ist unantastbar und lebt von anämischem Antlitz voller Agonie.
Man muß, und das ist das Bemerkenswerte an diesem Konzert, den Sisters zugestehen, daß sie sich keinem Trend anbiedern und der von der englischne Presse zwischendurch totgeglaubte Andrew Eldritch noch immer das Image als Zeremonienmeister des sardonischen Baritons kultiviert - auch wenn die besten Songs der LPs "First and last and always", "Floodland" und "Vision Thing" natürlich lange nicht so enervierend wie in den frühen Tagen gespielt werden.
Obwohl der Auftritt nach einer Stunde vorbei ist, überzeugen die Sisters. Nach frenetisch eingeforderten Zugaben geht das Licht an - und man ist wieder im Jahr 1998. Ob das nun besser oder schlechter ist als Mitte der Achtziger, sei dahingestellt. Gegen die Zeit gibt es auch im "Temple of Love" kein Gegengift.
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Der Düster-King als Prügel-Prinz
B.Z., 22. Januar 1998
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Nebel, überall Nebel auf der Bühne des großen Huxley's. Die legendären Gruftie-Popper The Sisters of Mercy und ihr Boß Andrew Eldritch waren nur schemenhaft zu erkennen. Kein dankbarer Job für die Fotografen in der ersten Reihe. Außerdem herrschte absolutes Blitzlichtverbot.
Plötzlich schwang der Sisters-Boß seinen Mikroständer, haute ihn auf die Kamera und die Stirn des Fotografen Kai Herschelmann. Denn der als schwierig verschrieene King Andrew haßt genau wie "Prügel-Prinz" Ernst August von Hannover vor allem eines: Aufdringliche Kameramänner. Und er mag kein Licht, das blitzt. Doch Herschelmann war ohne Blitzgerät da, wie seine umstehenden Kollegen bestätigten. Seine surrende Zoom-Kamera mit dem aufleuchtenden Rotlicht hatte bei Düster-Andrew offenbar den Eindruck einer Blitz-Attacke erweckt. Herschelmann trug eine Beule davon. [BOING!]
Diese Zügellosigkeit [HAHAHA! Der war gut!] warf einen Schatten auf ein Konzert, das für manchen Gänsehauteffekt sorgte. Begonnen hatte alles, wie man es bei der Rückkehr der geliebten Schwestern erwartete: Kultisch und nostalgisch. "First and Last and Always", die Sisters-Ur-Hymne von 1985, eröffnete den Abend. Danach erklang monoton der typische Sisters-Beat - Song für Song. Manche Fans fanden das langweilig. Andere genoßen diesen einmaligen Sisters-Spagat zwischen schwerer Gruftie-Dunkelheit [haben wir noch ein paar Klischees auf Lager?] und eingängiger Pop-Klarheit.
Das Beste zum Schluß: "Vison Thing" und der definitive Live-Abräumer "This Corrosion" - leider nur in einer Kurz-Version. Die vier neuen Songs im Programm lassen uns auf ein typisches Sisters-Album in der Tradition von "Floodland" hoffen. Das Werk wird Ende '98 erwartet. [Der war auch nicht schlecht]
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THE SISTERS OF MERCY
Visions - 3/1998
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13.01.'98 - Erlangen, Stadthalle
ca. 2.000 Besucher (ausverkauft)
Schemenhaft sind die Protagonisten im wabernden, von gleitenden Lichtblitzen durchbrochenen Trockeneisnebel zu erahnen - bis an die Decke reichen die spindeldürren Schatten der Phantome auf der Bühne. Aus den Boxen dringt der sonore Bap des Sängers. In den ersten Reihen sieht man verzückte Gesichter, bewegte Lippen bilden einen imaginären Chor, schwarz gewandete Gestalten wiegen sich im gnadenlos hämmernden Rhythmus des Drumcomputers. Die Kultband The Sisters Of Mercy meldet sich eindrucksvoll zurück.
Wie schafft es eine Band, deren letzter regulärer Longplayer 1990 erschien, ihre Konzerte, ohne mit der Wimper zu zucken, restlos auszuverkaufen? Ist es die zeitlose Einzigartigkeit der Songs, die ganze Epochen von Punk über New Wave bis hin zu House, Techno und Brit-Pop ohne einen Kratzer überstanden haben? Oder ist es der charismatische Frontmann Andrew Eldritch, der sonnenbebrillt und kettenrauchend über den Köpfen der ergebenen Fanschar eine wenig aufwendige, aber dennoch fesselnde Ein-Mann-Show inszeniert? Es ist wohl all dies zusammen. Und noch ein bipchen mehr, denn Andrew Eldritch strafte zum Auftakt der "Eternal Heaven" -Tour alle Zweifler Lügen, die ihn nach den wenig überzeugenden Festivalauftritten der letzten beiden Jahre in den Wind geschrieben hatten. Schon nach den ersten Takten des Openers "First And Last And Always" ist die Magie der Sisters-Songs spürbar. Eldritchs Mitmusiker Adam Pearson und Mike Varjak wirken nur wie schmückendes Beiwerk. Weiter geht es mit einer Mixtur aus Klassikern wie dem beschwörenden "Logic", einer schnellen "Anaconda"-Version, dem Sisterhood-Song "Giving Ground", "On The Wire" und dem Medley aus "Train" und "Detonation Boulevard", gepaart mit weiteren Stücken der "Vision Thing"-Phase: "Ribbons", "Dominion" und "Flood l". Eingestreut werden auch neue bzw. unveröffentlichte Stücke: "Come Together", "Suzanne", "Summer", "War On Drugs" sowie "Romeo Down". Ein vielumjubeltes "Temple Of Love" beendet (natürlich) den ersten Teil der Show. Gasgeben, bremsen, gasgeben, bremsen , so geht es bei den Zugaben weiter: "This Corrosion", "Something Fast", "Vision Thing" und als finalen Rausschmeißer schließlich das Dolly-Parton-Cover "Jolene". Während der zweite Mentor der Düstermänner, Cure-Frontmann Robert Smith, mittlerweile seinen Abschied auf Raten in Aussicht gestellt hat, wittert Andrew Eldritch im 18. Jahr der Bandgeschichte wieder Morgenluft. Die trendunabhängigen Sisters-Beats lassen jedenfalls auf mehr hoffen.
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Sonic Seducer - 1998
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Zillo 1998
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Orkus 1998
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Prinz 1998
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Retrospektive
der Schrei - November1999
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Die Sisters Of Mercy wurden 1980 von Gary Marx (Gesang und Gitarre) und Andrew Eldritch (Gitarre und Drums) in Leeds gegründet. Der Bandname basiert auf der Zeile eines Leonard Cohen Songs. Im gleichen Jahr entsteht auch das Label "Merciful Release". Die erst 7'' Single, die bald darauf erschien, trug den Namen "Damage Done". Das Original, heute Hunderte von Pfund wert, war nicht gerade eine musikalische Meisterleistung und entwickelte sich aufgrund dessen auch zu einem kommerziellen Flop. Nach einigen Monaten wurde entschieden, daß die Band einen Sänger braucht, wobei der Zufall Andrew diese Rolle zuerkannte. Die Aufgabe des Drummers übernahm fortan eine Maschine, die den Namen Dr. Avalanche bekam, welcher auch für die Nachfolgemodelle übernommen wurde. Marx konzentrierte sich auf die Gitarre und vor ihrem ersten Liveauftritt stieß Craig Adams als Bassist dazu. Am Ende des Jahres '81 komplettierte Ben Gunn die Urbesetzung der Sisters. Zu ihrem Bühnenoutfit gehörten die vornehmlich schwarze Kleidung und
die obligatorischen Sonnenbrillen. Durch die Veröffentlichung der dritten Single "Alice/Floorshow", die bis auf die Nummer 2 der Independent Charts stieg, erzielte die Band nun auch das Interesse der lokalen Presse und Radiostationen. Die Band erlangte immer mehr Kultstatus, der durch die im Oktober '83 erschienene Single mit dem Titel "Temple Of Love" untermauert wurde, die auch heute noch die Stimmung in den Tanztempeln hebt. Doch mit dem Erfolg entstehen auch Unstimmigkeiten zwischen Eldritch und Ben Gunn, der daraufhin durch Wayne Hussey ersetzt wurde - die erste Umbesetzung, der noch viele folgen sollten.
Beim Major Label WEA erscheint 1985 der erste Longplayer "First And Last And Always", für dessen Inhalt sich Eldritch und Hussey verantwortlich zeigen. Das Album stellt immer noch einen Klassiker dar, der eine Vielzahl von allgemein bekannten Sisters-Songs enthält und in der Gunst der Fans ganz weit oben steht. Durch die diktatorische Arbeitsweise der Ober-Schwester Andrew kam es zu Streitigkeiten zwischen ihm auf der einen und Adams und Hussey auf der anderen Seite, die zur Trennung führten. Die beiden Ex-Mitglieder rekrutierten eine eigene Band, die den Namen The Sisterhood erhalten sollte und dem Namen eines Fanclubs der originalen Sisters Of Mercy entlehnt war. Eldritch, der dies als Affront gegen sich verstand, betitelte ein plötzlich ins Leben gerufene Sideproject ebenfalls mit "The Sisterhood", ließ sich den Namen urheberrechtlich schützen und kam seinen Ex-Kollegen so zuvor. Das Projekt, bestehend aus James Ray (Gesang), Patricia Morison, Alan Vega, und Lucas Fox veröffentlichte das Album "Gift", das bis auf die Tracks "Rain From Heaven" und "Giving Ground" musikalisch nicht viel zu bieten hatte. Hussey und Adams resignierten und benannten ihre Gruppe in "The Mission" um. Die wiederauferstandenen Sisters, nun nur noch aus Andrew Eldritch und Patricia Morison bestehend, meldeten sich 1987 mit der Single-Auskopplung "This Corrosion" zurück, der im November die LP "Floodland" folgte. Auf dieser sind im Gegensatz zu "First And Last And Always" eher vom Programming beeinflußte Lieder wie "Lucretia" und "Dominion/Mother Rusia" enthalten, die von einem monotonen, aber dennoch nicht eintönigen Rhythmus und Baßverlauf geprägt sind. "Floodland" erwies sich als enormer finanzieller Erfolg und veranlaßte die WEA, das Budget für Musikvideos bereitzustellen (diese sind, wie alle bisher erschienenen Videos, auf der Compilation "Shot Rev. 2.0" enthalten). 1990 war Eldritch dabei, eine Band zusammenzustellen, um ein neues Studioalbum in Angriff zu nehmen und endlich wieder live präsent zu sein. Als erster Eindruck dieser Zusammenarbeit erscheint nach über zwei Jahren die Single "More", das bis dato rockigste Stück in der Bandgeschichte. Ende Oktober wurde das komplette Album mit dem Titel "Vision Thing" fertiggestellt, das sich anschickte, den Erfolg von "Floodland" noch zu übertreffen. Einige der "wirklich schwarzen" Fans mag dieser Output etwas verschreckt haben, da es sich hierbei teils um ein Rockalbum handelte, bei dem auf wirklich gruftige Songs, für die sie bekannt waren, weitestgehend verzichtet wurde. "Vision Thing" war das letzte Album, auf dem ausschließlich neues Soundmaterial vorzufinden war. 1992 wurde eine Compilation der frühen Songs auf den Markt gebracht. Auf "Some Girls Wander By Mistake" ist auch die Originalversion des bisher größten internationalen Hits "Temple Of Love" vorzufinden. Nach einer Tour, bei der die Sisters als Support für Depeche Mode agierten, wurde '93 die erste Greatest Hits CD "A Slight Case Of Overbombing" veröffentlicht, das neben einigen Remixen auch ein neues Stück namens "Under The Gun" aufweist.
Seither produzierten die Sisters kein neues Album, obwohl in den zehn Jahren der musikalischen Abstinenz immer wieder Gerüchte die Runde machen, daß an neuem Songmaterial gearbeitet werde. Einige dieser neuen Songs kann man bereits auf diversen Bootlegs hören. Bleibt zu hoffen, daß Andrew Eldritch sich als gnädig erweist und sich bemüht, an die alten Erfolge der Sisters anzuknüpfen.
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Wiederentdeckt
WAZ (Wochenendbeilage) - 5.8.2000
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Heute Morgen ist es wieder passiert. Vom Weg zur Arbeit nichts mitbekommen. Stattdessen dem Teufel im schwarzen Gewand gelauscht, dem Schutzengel, der einfach abhaut. Das Leben ist kurz und die Liebe am Morgen vorbei. Tränen wie Regen. Ein Gewehr für den Liebhaber und eine Kugel für den Schmerz. Von solchen Dingen singen Sisters of Mercy, ohne Gnade. Wer Schutz im Tempel der Liebe sucht, ist verloren. Der Tempel stürzt ein. Du wirst nicht gerettet. (Temple of Love)
Ich habe die Band in den 80ern verehrt, und ich verehre ihr frühes Werk noch heute. Damals sang, schrie und hauchte mir Frontman Andrew Eldritch alles Leid der Pubertät von der Seele. Mit dieser Musik konnte ich rebellieren, wabernde Düsterkeit kultivieren. Regen, Mord, Krieg und Kinder, alles nur einen Kuss entfernt. (Gimme Shelter)
Seit 1980 gibt es die Sisters. Sie leben noch. Sie produzieren Platten, manchmal. Sie geben Konzerte, manchmal. Um Eldritch dreht sich alles, auch die Musiker, die kommen und gehen. Zwei davon, Wayne Hussey und Craig Adams seilten sich 1986 ab, gründeten The Mission. Eldritch antwortete per Sisterhood-Projekt. Von nun an wird nichts so sein, wie es einst war.
Mit dem Floodland-Album wird dunkle Ursprünglichkeit kommerziell. 1992 vergreift sich Ofra Haza an Temple of Love. Was mag noch kommen? Die neue Platte, längst versprochen. Eine Bitte: Sisters, habt Gnade!
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Schattenwesen im Gegenlicht-Gewitter
Hildesheimer Zeitung - 14.8.2000
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HILDESHEIM. Die letzten Takte des "Radetzky-Marsches" fegen über das Pflaster des Marktplatzes, das Publikum fordert begeistert Zugabe. Die Stimmung gestern mittag beim Platzkonzert das Bundesgrenzschutz-Orchesters ist auf dem Höhepunkt. Etwas abseits steht und staunt ein Trio mit knallroten Haaren, das eigentlich für ein anderes Open Air nach Hildesheim gekommen ist. Die T-Shirts lassen keine Zweifel: Das sind Fans von "Project Pitchfork", die abends das zweitägige "M'era Luna"-Festival beschließen werden.
Der Großteil der Finstergemeinde ist freilich auf dem Flugplatz geblieben. Ist mit "This Corrosion" als Ohrwurm aus dem Zelt gekrochen, nachdem es die Morgensonne in eine Sauna verwandelt hat. Manche hören um diese Zeit mit "Illuminate" bereits die dritte Band, die meisten lassen es jedoch ruhig angehen. Der erste Festivaltag war lang. 20 Bands und 13 Stunden Musik nonstopp.
Mit dem mitternächtlichen Auftritt der "Sisters Of Mercy" als Höhepunkt und ihrem 13 Jahre alten Hit als Punkt auf dem i. "Sing This Corrosion to me", das brauchte Frontmann Andrew Eldritch den fast 25 000 nicht zweimal zu sagen. Den Soundtrack für die Sommernacht sangen alle gemeinsam.
Doch der satte Abschluss konnte kaum darüber hinwegtäuschen, dass die Steine vorher nicht recht ins Rollen gekommen waren. Selbst ein betäubend gutes "Temple Of Love" hatte nur großen Applaus hervorgerufen, mehr nicht. Wer frenetischen Jubel angesichts eines ultra-raren "Sisters"-Auftritts erwartet hatte, sah sich getäuscht.
Vielleicht lag's am Sound, dem über weite Strecken der letzte Druck fehlte. Vielleicht wollten die Fans noch mehr alte Feger hören, wobei Songs wie "On The Wire", "Mother Russia" oder "Walk Away" [??? - wurde gar nicht gespielt !!!] durchaus geschickt übers Programm verteilt waren.
Auch war Andrew Eldritch in bester Konzertlaune. Er flüsterte und grummelte, schrie und heulte, angefeuert von den beiden Gitarristen Adam Pearson und Mike Varjak [nein, Chris Starling war der zweite Gitarrist] - und natürlich "Doktor Avalanche", dem legendären Drum-Computer der "Sisters Of Mercy". Das alles vor unaufhörlichem Gegenlicht-Gewitter und im Nebel. Die "Sisters" präsentierten sich als gesichtslose Wesen aus einer Schattenwelt.
Ein bisschen Lichtshow hätte sicher auch dem 1985er "Sisters"-Ableger "The Mission" gut bekommen. Die Band um Wayne Hussey und Craig Adams wurde zwar nach langer Funkstille von den Fans glücklich empfangen, andere nutzten die Zeit jedoch zum verspäteten Mittagsschläfchen. Die zurückliegenden zehn Jahre sind spurlos an "The Mission" vorbeigezogen, die Band klingt noch genauso mainstream-rockig-langweilig wie eh und je. Wenigstens ersparten sie dem Hildesheimer Publikum ihre unerträgliche Version von Neil Youngs "Like A Hurricane".
Auch die zwei weiteren Headliner des ersten Tages, "HIM" und "And One", waren keine Erleuchtung. "And One's" klinischer Synthie-Pop im Stil der 80er Jahre stampfte gleichförmig durch die Lautsprecher, ungefähr so aufregend wie Sänger Steve Naghavis Durchsage zum Ende ihres Gigs: "Ähm, schönes Wetter heute, oder?"
Dann schon lieber introvertierte Nachwuchsstars vom Schlage Ville Valos. Der "HIM"-Sänger sprach so gut wie gar nicht mit dem Publikum, und wenn, nuschelte er seine Sprüche so betont desorientiert-lustlos ins Mikro, dass kein Wort zu verstehen war. Ansonsten zeigte sich Valo jedoch gut bei Stimme und schüttete fässerweise Melancholie und Theatralik in die Pop-getränkten Metal-Riffs der Skandinavier. Der Bass-lastige Soundbrei hielt die Begeisterung jedoch in Grenzen, auch wenn die Metal-Fassung von Chris Isaacs "Wicked Games" ziemlich lustig klang.
Bester Act des Nachmittags war zweifellos Marc Almond. Mit Stücken wie "Something's Gotten Hold Of My Heart", "Days Of Pearly Spencer" oder "Say Hello Wave Goodbye" (aus alten "Soft Cell"-Tagen) ließ er auch musikalisch die Sonne scheinen. Und anders als viele seiner Kollegen, denen Kommunikation offenbar nicht ins Image passt, gelang ihm auch der Kontakt zu Publikum: "Oh, ihr singt viel besser als ich", bedankte er sich für dessen lautstarke Unterstützung. "Tainted Love" hat er nicht gespielt. "Gott sei Dank", befanden die Fans, "sonst wär's ja nur halb so gut gewesen."
Derweil ging nebenan im Hangar bei "Haggard" so richtig die Post ab. Schwermetall und Klassik-Streicher verbanden sich in der rappelvollen Flugzeughalle zu einem ohrenbetäubenden Getöse, und das Publikum geriet darüber völlig aus dem Häuschen.
Ähnlich gut ließ sich später auch der Auftritt von "Tiamat" an, doch dann leerte sich der Hangar zusehends, weil draußen die große Bühne für den Topact vorbereitet wurde. Vielleicht sollten die "Sisters" beim nächsten Mal in der Halle auftreten.
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"I hate the sunlight!"
Bremen - 16.8.2000
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Sehen und gesehen werden auf eine ganz eigene Art: Das "M'era Luna"-Festival vereinte alte HeldInnen der Dunkelheit im strahlenden Sonnenschein unter dem Himmel von Hildesheim
"Do you remember us?" fragt Wayne Hussey von The Mission. Natürlich - und wer nicht, braucht nur einen Blick auf die allgegenwärtigen Band-T-Shirts zu werfen. Eine programmatische Frage jedoch, vereint das "M'era Luna" doch in diesem Jahr einen Großteil jener alternden Helden, die nicht unbedingt durch neue Alben auf sich aufmerksam machen, aber immer noch als Legenden über jener dunklen Musikszene schweben. Wie ein Lexikon des Dark-Rock liest sich das Line-up und Veranstalter Scorpio wird mit den besten Kartenverkäufen beim "Zillo-Festival" - wie es wohl die meisten Alle-Jahre-wieder-Gäste noch immer nennen - belohnt.
Unter neuem Namen tritt das etablierte Festival dieses Jahr an: "M'era Luna". Da lässt sich der "Luna" nicht bitten und strahlt über dem Flugplatz-Gelände im Hildesheimer Vorort Drispenstedt. "M'era Luna ist ein Fantasiename, es sollte rund klingen und auch ein wenig international", erklärt Elke Ulferts vom Veranstalter Scorpio.
Das Zillo-Magazin, das in den letzten Jahren seinen Namen gegen Lizenzgebühren an Scorpio vermietete, verdoppelte dieses Jahr seine finanziellen Forderungen. Die Konsequenz: anderer Name, erfolgreichstes Festival. Wurden vor zwei Jahren bereits einmal 20.000 Zuschauer von The Cure und Rammstein angelockt, zogen dieses Jahr legendäre Namen wie The Sisters of Mercy, The Mission oder Fields of the Nephilim weit über 25.000 dunkle Pilger in das Niemandsland zwischen Hannover und Braunschweig. Wohl keine andere Musikszene verbindet dieser große Zusammenhalt. Von weit angereist kommen die Fans, unzählige Zeitschriften und Fanzines tummeln sich. "Wir haben sogar eine Journalistin aus Japan hier, und Akkreditierungen aus Weißrussland, Norwegen, Spanien, den USA", strahlt Elke Ulferts.
Die Belohnung war Sonne pur für einen Haufen sich lichtscheu gebender Gestalten. Alt-Waver Marc Almond blinzelte durch seine rosarote Brille von der Bühne gen blauen Himmel: "Oh I hate the sunlight!" Er ist nicht der Einzige, dessen musikalische Blütezeit ein Großteil der Konzert-Besucher noch nicht miterleben konnte. Legenden und Vorreiter der Szene stehen auf der Hauptbühne am Samstag. "Do you remember us?" Ja, an The Mission können sich alle erinnern, und die Band macht es ihnen auch leicht. Klassiker der "Grains of Sand" eröffnen ihren Auftritt am Nachmittag, "Butterfly on a Wheel" lässt so manchen melancholisch zurückdenken. Sicherlich einer der Höhepunkte.
Mit Spannung erwartet: der Auftritt der Samstags-Headliner The Sisters of Mercy. Gebauchpinselt von so viel Vorschusslorbeer versucht Andrew Eldrich keinen Zweifel an seiner Star-Existenz übrig zu lassen: Er stänkert herum, betreibt Kindergarten-Spielchen mit den Fotografen. Angst vor der Wahrheit? Zu viel Rock'n'Roll im Gesicht? Stets um ein Image der Exzentrik bemüht, grummelt er von der Bühne, wirft nur sparsam den Fans ein paar Hit-Brocken zu. Nicht gerade für seine Stimm-Gewalt berühmt, lässt er in dichtem Nebel keinen erhellenden Blick zu, was hier live und was Elektronik ist. Na ja.
Weitere Legenden am Sonntag? Phillip Boa, eher Popper als Waver, eher wütend als traurig, versucht sich in Erinnerung zu rufen. Wirr blickt er durch sein zerzaustes Haar, bekommt kaum die Augen geöffnet und sieht aus, als habe er seit Wochen durchgesoffen. "Kill your Idols". Aber er macht Spaß, lässt es gemütlich angehen, covert eindringlich Leonard Cohens "Berlin". Auch nicht gerade mehr das blühende Leben ist Pionierin Anne Clark: Zerbrechlich wirkt sie, als sie die Wortfetzen von "Our Darkness" hinwirft.
Das Programm ist runder geworden in den vergangenen Jahren, was sicherlich den überragenden Erfolg ausmacht. Dem Veranstalter gelingt der Spagat, einerseits die echten Fans der Dunkelheit anzuziehen, aber auch den Zugang für den "Laien" zu ermöglichen. Keine Angst vor Mainstream ohne dabei den Geist des Festivals zu verraten.
Perfekt platziert sind Rosenfels. In der größten Hitze lassen sie ihre kleinen melancholischen Weisen über den Rasen ziehen. And One haben sich wie die Schwermetaller Oomph! zu Lieblingen des Festivals gemausert. Bei ihren Auftritten ist kein Durchkommen mehr.
Den Finnen HIM mit ihrem androgynen Schönling Ville Valo gelang es, die dunkle Seite des Rock Nr.1-Hit-tauglich zu machen. Fast mehr Zuschauer als die Bühnen zieht ihre Autogramm-Stunde an. Kreischen und Quicksnap-Fotos. "Hey, we do black metal!", wundert sich Ville über so viel junge Begeisterung. So manch hartgesottener Vertreter wendet sich pikiert ab, zu viel Euphorie für den jungen Schnösel. Am Samstagabend auf der Hauptbühne ist der Junge nicht annähernd so schnöselig wie beim "Hurricane"-Gig im Juni in Scheeßel. Gab er dort den Königstiger, der mit hoher Nase den Bühnenrand abschritt, rockt er in der beginnenden Dunkelheit auf dem Flugplatz. "Rebel Yell"! Und auch wenn es nicht jeder zugeben mag: "Join Me"-Chöre hallen ein wenig verschämt, aber nicht weniger laut über das Gelände. So nah liegen Bravo und Gothic. Während dessen verursacht der Literat Christian von Aster im Chill-Out-Zelt ganze Ströme von Lach- und Trauer-Tränen, berichtet in Reimen von arabischen Legenden und Leichen im Schrebergarten.
Und die Fans, jene Pilger der Dunkelheit, die das "Zillo" oder "M'era Luna" zum zumindest optisch spannendsten Festival im Norden machen? Sehen und gesehen werden steht klar im Vordergrund. Beeindruckende Kostüme aus vergangenen barocken Zeiten, Frisuren, höher als ihr Träger. Glöckchengeläut und Patchouli-Duft schwanen über dem Flugplatz-Gelände. Netz, Leder, Straps und Lack. Große Inszenierungen entstehen morgens in der Enge des Aldi-Iglo.
Und auch zaghafte Versuche gibt es zu beobachten. Statt H&M-Anzug in der Woche, ein wenig weißen Puder ins Gesicht und ordentlich Gel ins Haar. Allzu schüchterne Versuche konnten im Schmink-Bus von professioneller Hand nachgebessert werden.
Ein Großteil liegt im Gras oder raucht eben jenes, genießt es zu schauen, beschaut zu werden und ein paar Tage lang einfach so auszusehen, wie es gefällt. Damit hat das "M'era Luna" wohl auch das einzige Publikum, das nahe der Bühne herumlungert und Taschenromane liest, während der Phillip "feine Kunst in Silber" schafft. Daneben liegen sich so manche Pärchen traurig in den Armen, die Schminke verdunkelt durch den feinen, allgegenwärtigen Staub, der über die Acker zieht. Kollektive Melancholie. Oder um mit Rosenfeld zu enden: "Sad is just another word for free."
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Nicht normal
VISIONS - 2/01
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Sie touren auch 2001 noch, die SISTERS OF MERCY. Das letzte reguläre Album erschien zwar im Jahre 1990, von einem Comeback sollte man trotzdem nicht reden. Die Band war schließlich nie wirklich weg.
Gerade hat Bandkopf Andrew Eldritch die Jubiläunis-Tourdaten für Februar und März bestätigt. Ein neues Album wird also weiter auf sich warten lassen. "Wir veröffentlichen erst wieder etwas, wenn es vernünftige Verhältnisse gibt. Im Moment befürchte ich, dass mir kein Label angemessene Verträge offerieren wird. Viele werden einfach von großen amerikanischen Companies geschluckt."
Mit der alten Plattenfirma gab es langwierige Reibereien. "Unglücklicherweise macht diese Band Geld. Plattenfirmen droppen nicht gerne Acts wie uns." Ob Eldritch in der momentanen Situation seine Musiker problemlos bezahlen kann, beantwortet er mit einem schelmischen Lächeln und einem knappen Ja". Seinen Sinn für Ironie verliert er auch in den folgenden Statements zur kommenden Tour nie. "Ich mag es nicht sonderlich, auf der Bühne zu stehen, aber ein Mann muss schließlich seine Miete zahlen." Das Tracklisring der Show ist nach dem M'Era Luna-Festival im August letzten Jahres geändert worden. Fünf neue Songs hintereinander darzubieten, sorgte wohl doch eher für Verwirrung, Da aber kein neues Album in den Startlöchern steht, wird sich das teilweise festzustellende Unverständnis der Menge auch in Zukunft nicht umgehen lassen, wenn man nicht ständig das gleiche spielen will.
Worüber redet man mit einem Musiker, der nichts neues veröffentlicht hat? Andrew weiß es: Musikerkollegen. P.J. Harvey zum Beispiel: "Ich mag sie nicht. Für mich steht sie für eine Art Opfer-Kultur. Sie kommt und sagt: Ich bin PJ Harvey, also muss ich euch leid tun'. Tut sie mir aber nicht!" Die nicht ganz so bekannten Salaryman dagegen mag er, sie stehen auf der Sisters-Homepage in Eldritchs persönlicher Playiist. "Weil deren Musik in gewisser Weise anders, aber meiner dennoch ähnlich ist. Ich ertappe mich oft dabei, nur darauf zu achten, wie eine Platte produziert ist, wie auch beim neuen Radiohead-Album. Wahrscheinlich gehe ich an Musik anders heran als ein reiner Konsument."
Auch Gary Glitter findet seinen Platz in Andrews Favoriten. Schmälert das Wissen um die Verurteilung Glitters wegen Besitzes pornographischer Kinderfotos auf dem PC nicht das Hörvergnügen? "Ich verstehe nicht, wem er durch den Besitz der Fotos geschadet hat. Der Macher dieser Bilder sollte doch eigentlich die Probleme bekommen. Außerdem kann man von einem Menschen, der sein Leben in der Öffentlichkeit verbracht hat, doch nicht erwarten, normal zu bleiben. Ich habe kein Problem mit Gary Glitter, auch jetzt nicht!" Die Gesetze der Marktwirtschaft, nach denen die Nachfrage das Angebot erhöht, scheint Hohlkopf Eldritch nicht zu kennen.
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Die gnadenlose Rückkehr
westzeit - 2/2001
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Derselbe Interviewer, anderes Ergebnis als im Visions-Artikel, um den es ja wohl etwas Ärger gab. Angeblich wurde der Artikel ohne Wissen des Autors noch umgeschrieben. Eine Nachfrage bei Visions wurde leider nicht beantwortet.
Hier also die Version, die in Westzeit veröffentlicht wurde:
Die Sisters Of Mercy um Songschreiber Andrew Eldritch sind schon ein Phänomen - seit zehn Jahren kein neues Album produziert, seit 1993 keine Singles-Compilation mehr veröffentlicht. Dennoch sind ihre Konzerte ohne grosse Ankündigung ausverkauft. Das war und ist jedenfalls in seiner ehemaligen Heimatstadt Hamburg so. Machen wir Platten, wollen die Leute Konzerte. Geben wir diese, wollen sie Platten. Obwohl eigentlich eine Rockband, haftet das Düster-Image fest an der Formation. Es mag daran liegen, dass Eldritch nicht richtig gerne im Scheinwerferlicht der Bühnen steht. Besonders lange Tourneen sind ihm ein Greuel. Aber, so sagt er, ein Mann muss eben seine Miete zahlen. Die zahlt der Engländer seit geraumer Zeit nicht mehr in der Stadt an der Elbe. Die Polizei hielt eine zeitlang nach mir ausschau, so musste ich gehen. Was sicher nicht ernst gemeint ist. Eldritch scherzt, gibt sich im Westzeit-Interview gut gelaunt., Paradise Lost als Support der diesjährigen Anniversary-Tour war die Wahl der Sisters, mehr gibt der Künstler zu den Live-Events nicht Preis. Würde er sagen, welche skurilen Cover-Versionen dargeboten werden, wäre der Überraschungseffekt weg. Es wird nunmehr wieder eine gute Mischung aus alten und neuen Songs geben. Wir werden nicht abermals (wie beim M´Era Luna-Festival in Hildesheim im letzten Sommer) vier-fünf neue Titel hintereinander bringen. Das verwirrte die Leute.
Verwirrend ist ebenfalls das organisatorische Gebahren der Sisters.Mit dem altem Label im Clinch, ist ein neuer Deal noch nicht in trockenen Tüchern. Unglücklicherweise macht diese Band Geld, Plattenfirmen entlassen nicht gerne lukrative Künstler. Ich befürchte fast, keine neue Firma macht uns ein für uns akzeptables Angebot. Die Kontaktadrwesse der Sisters Of Mercy ist kein Management. Wir haben keinen Manager. Nur eine Anlaufstelle. Die benötigt man. Aber diese Leute managen nicht uns, wir managen sie! Wie gut, dass wenigstens die Konversation bezüglich des Verhaltens als Musik-Konsument ernsthafter vonstatten geht. Auf der Sisters-Homepage im Netz stellt Eldritch seine favourisierten Songs (u.a. diverse von T. Rex und Gary Glitter) und Alben vor. Die unbekannten Salaryman aus den USA sind besonders konsensfähig. Deren Musik ist in gewisser Weise anders, aber meiner auch etwas ähnlich. Da fällt mir das Zuhören leichter. Ich ertappe mich oft dabei, nur darauf zu achten, wie das Produkt produziert ist. Beim Radiohead-Album konzentrierte ich mich ebenfalls nur auf die Art des Produzierens. Leute, die einfach als Konsument hören, gehen anders an die Musik heran.
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Laut.de - 2001
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Exxile on Euphoria - Lautes Heimspiel im Nebel
Jubiläum der Sisters of Mercy in Hamburg
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Hamburg - Viel Nebel, rockige Gitarren kombiniert mit sphärischen Wave-Klängen und düstere Gothic-Atmosphäre - das kennen die Fans seit 20 Jahren von den Sisters of Mercy. Doch der Auftakt ihrer Jubiläumstournee in Hamburg dürfte viele langjährige Sisters-Gefährten enttäuscht haben, denn er war vor allem eins: laut.
Geschmetterte Gitarren-Riffs, Magen erschütternde Bässe und fette Drum-Beats (wenn auch aus dem Rhythmuscomputer) erinnerten eher an ausgewachsene Heavy-Metal-Bands als an die einstigen Poeten des Wave-Gothic-Rocks. Der schaurig-tiefe Bariton von Sisters-Frontmann und Bandgründer Andrew Eldritch ging dabei fast völlig unter. "Entweder ist sein Mikro falsch ausgesteuert oder er bringt es einfach nicht mehr", meinte ein enttäuschter Fan. Doch dass er es durchaus noch "bringt", bewies "Oberschwester" Eldritch beim umjubelten Klassiker "Dominion/Mother Russia" - einer der ganz seltenen Fälle, in dem er gegen die dichte Klangkulisse ankam.
Hawaii-Hemd und Latex
Auch äußerlich bieten die Sisters nicht mehr unbedingt das, was man gewohnt ist. Ein Eldritch im Eishockey-Shirt und mit kurzen, blonden Haaren versprüht kaum noch etwas von dem düsteren Charme, mit dem sich die Sisters in den späten Achtzigern einen Platz in der Rock-Geschichte sicherten. Ein Bassist im Hawaii-Hemd und der Gitarrist in Latex vervollständigen das verstörende Konzerterlebnis.
Kultige "Schwestern der Gnade"
Immerhin gab es Nebel aus allen Rohren und zu den Klängen von "First And Last And Always" als Auftaktsong einen wunderschönen blauen Lichtteppich. Der Songtitel könnte auch gleich die Losung für viele Zuhörer an diesem Abend gewesen sein: Entweder es war der erste Konzertbesuch bei den Sisters, und dann mit großer Wahrscheinlichkeit auch der letzte - oder man geht immer wieder hin, weil die "Schwestern der Gnade" einfach Kult sind.
"Das ist ein Heimspiel"
Denn zumindest die hartgesottenen Fans unter den rund 1.500 Zuschauern feierten ihre Band - schließlich hatte Eldritch, der seit Jahren praktisch allein die Sisters verkörpert und sich je nach Lage geeignete Mitspieler sucht, seine Wahlheimat Hamburg für den Jubiläumsgig ausgewählt: "Das ist ein Heimspiel", rief er den Zuschauern in perfektem Deutsch zu. Doch auf die ultimative Sisters- Hymne "This Corrosion" mussten die treuen Anhänger vergeblich warten.
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Exxile on Euphoria - Kein "Temple of Love"
Die Sisters of Mercy enttäuschten ihre Fans mit einem gnadenlos schlechten Auftritt
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Andrew Eldritch ist ein schlaues Bürschchen. Als der Mann aus Leeds noch in Hamburg lebte, lief er stolz mit dem Magazin "Der Spiegel" unterm Arm rum und vertrieb sich die Nächte in Kult-Drogen- Tempeln wie dem Subito. Den Kult um seine Band The Sisters Of Mercy verstärkte er noch dadurch, dass er irgendwann keine Platten mehr machte und die Liveshows rar säte.
Deshalb funktionieren die Sisters immer noch wie ein Geldeintreiber, und alle bezahlten für die zwei Auftritte in der Großen Freiheit wieder brav einen Obolus von fast 60 Mark. Dafür gab es als Vorsuppe eine unsäglich einfallslose und abgehalfterte Darbietung von Paradise Lost. Selten klang Gothic Rock so blutarm.
Dann kam der große Nebel, und schon der Opener "First & Last & Always" blieb in den Startlöchern hängen. Stoisch tuckerte die Rhythmusmaschine Dr. Avalanche, der Bassist, fiel nur durch sein uncooles Blümchenhemd auf, und Gitarrist Chris Starling im sexy Glamrock-Outfit wechselte zwischen drögen Metalriffs und lustigen New-Wave-Akkorden. Dazu nölte ein sichtlich älter gewordener Eldritch, der die Falten hinter einer rosaroten Sonnenbrille zu verstecken versuchte, seine Verse uninspiriert runter. Da sorgte auch eine korrekte Version vom Hit "Temple Of Love" für kein versöhnliches Ende des missratenen Ehemaligen-Treffens.
Wehe, jemand wirft seinen Eltern noch einmal vor, dass sie immer noch zu Joe Cocker gehen. Die Kinder sind genau solche sentimentalen Säcke!
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Exxile on Euphoria - Hamburg, Große Freiheit 36, 26.02.2001
Konzert-Bericht
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Man mag über den musikalischen Werdegang einer Band wie Paradise Lost halten, was man will. Als Support der Sisters jedenfalls machen sie, in der bereits voll gefüllten Grossen Freiheit, eine ordentliche Figur. Recht guter Sound, gar nicht mal wenig Licht und Frontmann Nick Holmes ist durchaus kräftig bei Stimme. Auf der 1997er Tour war diese doch arg angeschlagen und hinterließ einen sehr faden Beigeschmack. Im Mittelpunkt des 40minütigen Sets stehen in der Tat eben die Songs vom damaligen Album "One Second". Der Titeltrack, "Say Just Words" oder auch "So Much Is Lost" (vom insgesamt enttäuschenden "Host") gefallen und machen Lust auf mehr. Deutlich aber leider auch die offenbar weiter absteigende Tendenz, was das neue Songmaterial betrifft.
Umbaupause, die Bühne in vernebeltes Schwarzlicht getaucht. Spannungserzeugende und bedeutungsschwangere Musik läutet einen Auftritt der Sisters Of Mercy ein, über den zu reden sein wird. Was mit "First And Last And Always" verheißungsvoll beginnt, entpuppt sich als eine ganz bitterböse Überraschung. Sicher erwartet wirklich niemand, das ist aus der Bandgeschichte bekannt, richtige Drums. Dass aber ganz offenbar fast der komplette Rest auf der Bühne ebenfalls aus der digitalen Konserve zu kommen scheint, ist schlichtweg unterstes Niveau. Die Vocals sind anfangs sehr weit nach hinten gemischt. Dichte Nebelwände um Andrew Eldritch, im Scooter goes Eishockeyfan-Look, machen es auch nicht wirklich leichter zu beurteilen. Dennoch gewinnt man mehr und mehr den Eindruck, dass auch beim Gesang nicht das allermeiste mit rechten Dingen zugehen kann. Der Set bedient sich in der Folge zwar der gesamten Bandgeschichte, ist aber an Eintönigkeit kaum zu überbieten. Es macht nicht einmal Spaß, die Augen zu schließen und sich einfach nur daran zu erfreuen, alte Sisters-Songs mal wieder in adäquater Lautstärke zu hören. Zu ähnlich und aller Ecken und Kanten beraubt sind diese. Die Beats haben die Macht übernommen und erinnern phasenweise an unselige EuroDisco Styles.
Blickt man ins Publikum, sind viele Gesichter zu sehen, die offenbar gerade dabei sind, den happigen Eintrittspreis von DM 55,- in Relation mit dem Gebotenen zu setzen. Das Resultat daraus kann nur lauten: Hier gibt es nichts zu erleben, was diese Summe auch nur annähernd rechtfertigt. Außer einer Legende vielleicht, die sich nach allen Regeln der Kunst lächerlich macht. "Heimspiel", freute sich Eldritch noch nach dem ersten Track. Dass diese aber auch mal verloren gehen können, das weiß man auf St. Pauli schon. Nur ist zu befürchten, dass diese hohe Niederlage das Publikum weitaus mehr schmerzt als die Band. Am Ausgang jedenfalls sind, schon lange vor Ende des 90minütigen Auftritts, zurecht einige böse Worte zu vernehmen.
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Exxile on Euphoria - Fast wie ein Boygroup-Auftritt
Hamburger Abendblatt, 28.2.2001
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Mund-zu-Mund-Propaganda reichte, und binnen Tagen waren zwei Shows der Sisters of Mercy in der Großen Freiheit 36 ausverkauft. Heerscharen latexbekleideter und kajalbemalter Grufties suchte man sowohl am Montag als auch am Dienstag vergebens. Ein bunt gemischtes Publikum freute sich auf die Rückkehr der Gothic-Ikonen. Nur einer hatte schlechte Laune und pöbelte vor sich hin: Nick Holmes, Frontmann der Vorgruppe Paradise Lost. Vielleicht grämte ihn mal wieder das Echo auf den Richtungswechsel der ehemaligen Metal-Headliner zum Dark-Pop - die rockigeren Songs kamen jedenfalls besser an als das neue Material.
Das brachte jedoch niemanden um die Vorfreude auf die Sisters. Schade nur, dass Bandkopf Andrew Eldritch im Dauernebel auf der Bühne schlecht zu sehen und schwer zu verstehen war. Zwei Gitarristen flankierten ihn, die fetten monotonen Beats, die sofort zum Kopfnicken und Mitwippen verführten, kamen - wie bei den Sisters üblich - aus dem Computer. Im Zusammenspiel mit der bunten Lightshow erinnerte das vereinzelt an Boygroup-Auftritte.
Die Fans waren glücklich, Hits wie "Vision Thing" und "Tempel Of Love" mal wieder live zu erleben. In den 70 Minuten blieben allerdings einige Hörerwünsche auch unberücksichtigt; die Sisters verzichteten zum Beispiel auf den Klassiker "More". (lupo)
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Exxile on Euphoria - Heimspiel im Nebel
Hamburg vom 28.2.2001
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Rockige Gitarren, sphärische Wave-Klänge und düstere Gothic-Atmosphäre - das kennen die Fans seit 20 Jahren von den Sisters of Mercy. Doch der Auftakt ihrer Jubiläumstournee am Montag dürfte viele Fans enttäuscht haben: Geschmetterte Gitarren-Riffs, Magen erschütternde Bässe und fette Drum-Beats erinnerten eher an ausgewachsene Heavy-Metal-Bands als an die einstigen Poeten des Wave-Gothic-Rocks. Die Stimme des Sisters-Bandgründers Andrew Eldritch ging dabei fast völlig unter.
Auch äußerlich boten die Sisters nicht mehr das gewohnte Bild. Eldritch im Eishockey-Shirt und mit kurzen, blonden Haaren versprühte kaum noch den gewohnten düsteren Charme. Ein Bassist im Hawaii-Hemd und der Gitarrist in Latex vervollständigten das verstörende Konzerterlebnis.
Immerhin gab es Nebel satt und zu den Klängen von "First And Last And Always" als Auftaktsong einen wunderschönen blauen Lichtteppich. Und zumindest die hartgesottenen Fans im Publikum feierten ihre Band - schließlich hatte Eldritch seine Wahlheimat Hamburg für den Auftakt der Jubiläumstour ausgewählt. Doch auf die ultimative Sisters-Hymne "This Corrosion" mussten die Anhänger vergeblich warten.
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Exxile on Euphoria - War das jetzt wirklich nötig, Andrew Eldritch?
Die Welt (Hamburg), 27.2.2001
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Die Rangliste ist eröffnet, der Wettbewerb hat begonnen. Und nichts spricht dagegen, jetzt schon prominente Plätze zu besetzen. Nach seinem Auftritt in der mehr als ausverkauften Großen Freiheit 36 am Montag nimmt Andrew Eldritch in den Charts für Hamburg einen Spitzenplatz ein, den ihm kaum mehr jemand streitig machen wird. Allerdings wird ihm den auch keiner streitig machen wollen: Eine miserablere Vorstellung ist dort nämlich seit Jahren nicht mehr gegeben worden.
Aber fangen wir ganz vorne an. Also vor knapp zwanzig Jahren, als besagter Eldritch die Band Sisters of Mercy gründete - fortan ließ er seine Fürsten der Düsternis schaurige Balladen vom Sensenmann erst über die britischen, später (nach seiner Umsiedlung ins gerade eben wieder chic gewordene Viertel St. Pauli) über die deutschen Fans spülen. Bereits damals war Eldritch der Figur des haltlosen Psychopathen sehr, sehr nahe, aber das hat in der Dekade behandlungswürdiger Popstars irgendwie keiner so richtig bemerkt.
Der Typ galt als cool. Und immerhin gingen ja auch ein paar passable Hits auf sein Konto. Deren Ausschlachtung ist nun wirklich das Letzte, was wir dem armen Kerl nicht gönnen wollen. Eldritch konnte sich Freunde und Günstlinge und Groupies zu Dutzenden leisten, und er war kein von Skrupeln geplagter Charakter. Deshalb berichten Szenegänger aus dem Hamburg jener Jahre bis heute in einer seltsamen Mischung aus Ehrfurcht und Ekel von den nächtlichen Streifzügen des Helden.
Alles halb so schlimm, möchte man meinen, der Kerl hat uns ja, wie gesagt, einen schönen Strauß brauchbarer Songs hinterlassen. Dumm nur, dass Eldritch nach seinem Umzug ins heimatliche Leeds nun an die Stätten seiner größten Triumphe wie ein Rächer zurückkehrt, der absolut nicht weiß, an wem er denn wohl Rache üben soll. Und eigentlich ahnt er auch nicht, wie fies nostalgisch seine Geisteshaltung und Musik wie die der Sisters heute sind. Warum ihm dies niemand zu sagen sich getraut, entzieht sich unserer Kenntnis. Allein, die Trauer um den einst doch nicht ganz zu Unrecht Bejubelten bleibt.
Jetzt steht er da auf der Bühne der Großen Freiheit: Er hat sich die Haare blond gefärbt und weiß nicht, warum - und hat auch keinen blassen Schimmer, was er da gerade singt. Wir auch nicht, denn verstehen kann hier niemand etwas. Es ist so ungeheuer laut, es brummt fast nur noch und hört sich richtig furchtbar an. Da spielt doch einer echt Gitarre - sehen kann man es wohl, aber man hört es nicht. Kein Schlagzeug weit und breit, die höllischen Schläge müssen wohl vom Computer kommen. Es schmerzt in den Ohren und leider auch in der Erinnerung.
Kunstnebel hüllt die Szenerie gnädig ein. Es klingt wie auf der Reeperbahn, wenn nebenan ein doofer Opel in Metallicgold mit schwarzen Scheiben hält und Wummerbässe dröhnen wie ein Beben. Normalerweise lachen wir dann, aber hier gibt es nichts zu lachen. Tragödien rufen ja eher unsere Tränen hervor. Oder unsere inneren Abkehr vom Geschehen. Als hätten Modern Talking einen flotten Song für den Satan geschrieben und gleich auch noch komponiert - so tönen peinigende Klänge an unser geschundenes Ohr, die überhaupt nicht klingen wollen.
Es ist zum Jammern, zum Ärgern und auch zum Verzweifeln. Warum tut dieser Mann so etwas absolut Unnötiges, so etwas Scheußliches und Störendes? Es muss wohl das Geld sein. Alle Hallen, die Eldritch jetzt nach gut zehn Jahren Pause bespielt, sind ausverkauft. Und jenes Album, das, wie man hört, schon in der Schublade liegt und nur noch keinen Förderer gefunden hat, wird demnächst wohl auf den Ladentischen liegen.
Sehr groß indes, so schien uns, schien der Zuspruch nicht. Wir haben schon Konzerte erlebt, die nach weit stärkerer Anteilnahme des Publikums doch nur zum Mittelmaß erkoren wurden. Was uns nun in schrecklicher Erinnerung bleibt: Ein Mann, gezeichnet und auf die Knie gezwungen, der einen großen Spiegel braucht, um seinem ärgsten Feind in die Augen zu sehen. Ob er ihn dann auch erkennen würde, scheint ungewiss. Und leider ist es nach diesem Konzert auch furchtbar egal.
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Exxile on Euphoria - Nichts Neues
Süddeutsche Zeitung, 6.3.2001
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London, Royal Albert Hall, 1985: Das Konzert beginnt, der Drumcomputer wummert, Gitarre und Bass dröhnen durch die Halle, über die Bühne wabern Nebelschwaden aus Trockeneis. Allmählich schälen sich drei Gestalten aus dem Zwielicht, mit langen schwarzen Haaren und in lange schwarze Mäntel gehüllt; düster beschwört der Sänger die Verse von "First and Last and Always".
München, Colosseum, 2001: Der Drumcomputer wummert noch dumpfer, Gitarre und Bass dröhnen durch die Halle, über die Bühne wabern Nebelschwaden aus Trockeneis. Allmählich schälen sich drei Gestalten aus dem Zwielicht, der Sänger trägt ein schwarzes Eishockeytrikot, die Haare sind kurz und blond gefärbt, düster beschwört er die Verse von "First and Last and Always".
Auf den ersten Blick hat sich bis auf ein paar Äußerlichkeiten nicht viel geändert zwischen jenem - fesselnden - Konzertvideo, das die Sisters of Mercy zu ihrer Glanzzeit als Kultband der Wave- und Gothic-Szene zeigt, und jenem Trio, das jetzt zum 20-jährigen Bestehen der Band auf Tournee geht. Sicher, die Männer rechts und links von Sänger Andrew Eldritch sind nicht mehr dieselben, aber nachdem sich Gitarrist Wayne Hussey schon früh verabschiedet hatte, um The Mission aufzumachen, hatte Eldritch ohnehin nie wieder einen künstlerischen Gegenpart, und die Sisters gerieten zum Soloprojekt mit austauschbaren Ergänzungsmusikern.
Vielleicht lag es daran, dass nach einer Hinwendung vom düsteren Wave-Pop zu den härteren Metal-Klängen und einem Ausflug ins Morgenland mit der israelischen Sängerin Ofra Haza die musikalische Entwicklung seit Beginn der neunziger Jahre stagnierte. Auf eine neue CD warten die Fans schon mehr als zehn Jahre, und auch die Wiederkehr des einstigen Gruftie-Helden konnte bei aller klanglichen Wucht zwar eine Ahnung vom Charisma früherer Tage versprühen, aber keine neue Ideen liefern. Ganz im Gegensatz übrigens zur Vorband Paradise Lost, die sich hin zu einer spannenden Mischung aus Elektronik-Pop und Gitarrenrock orientiert hat. Eldritch aber hatte seine Zugabe "Comfortably Numb" von Pink Floyd mit Bedacht ausgewählt. Angenehm betäubt fühlte man sich als Zuschauer, eingelullt vom Stampfen des Computers. Und im Nebel zogen nochmal die Erinnerungen an eine einst faszinierende Band vorbei. Ist lange her.
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Exxile on Euphoria - Sichtweiten unter einem Meter
Stuttgarter Nachrichten, 7.3.2001
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Einen Auftritt, an dem vor allem Meteorologe ihre wahre Freude gehabt hätten, präsentierten die britische Rockband Sisters of Mercy. Auf Grund von dichten Nebelbänken mit Sichtweiten von weniger als einem Meter konnten die Zuhörer im ausverkauften Congresscentrum B zwar Klänge vernehmen, selten jedoch diejenigen erspähen, die sich dafür verantwortlich zeigten.
Mehrere Nebelmaschinen blubberten und brodelten und spuckten riesige Volumina undurchdringlichen Dampfs auf die Bühne. Von Zeit zu Zeit schob sich mal ein Gitarrenhals, mal eine mikrofonbewehrte Hand aus den Schwaden, brach die Wolkendecke auf und gab den Blick frei auf einen Mann mit Sonnenbrille und zwei dürre, in nicht sehr geschmackvolle Hemden gekleidete Herren. Das sollte vielleicht ein geheimnisvolles Flair heraufbeschwören. Die Wirkung war jedoch eher befremdlich als anregend, geschweige denn aufregend.
Zu Beginn ließ auch der Sound zu wünschen übrig, das prägnante Organ von Sänger Andrew Eldritch ging im bassüberfluteten Wave-Brei unter. Ohne diese Stimme sind die Sisters aber nicht die Sisters. Da läuft ein Synthesizer-Beat, die Gitarren klingen mal nach The Cure, mal punkig, mal rockig. Definiert wird all dies jedoch durch Eldritchs' Gesang, seine gepressten, gewisperten Botschaften, die immer wieder in Jaulen überkippen, als würde ein Hund gequält.
Nach einiger Zeit gewann das Konzert an Dynamik, der Sound wurde klarer, und die Sisters waren von Zeit zu Zeit sogar optisch auszumachen, bevor sie wieder in nebulösen Gefilden untertauchten. Das Publikum hatten sie ohnehin auf ihrer Seite, genießt das 1980 gegründete Urgestein der Düsternis doch einen legendären Ruf in der Wave-, Gothic-, Metal- und Industrial-Szene.
Die Vorgruppe Paradise Lost hat seit ihrem famosen Album "Icon'' aus dem Jahr 1993 tatsächlich das musikalische Paradies verloren. Seit ihnen die Ideen ausgegangen sind, Frontmann Nick Holmes zu einem durchschnittlichen Dark-Pop-Sänger mutiert ist und in der Gitarrenarbeit pure Einfallslosigkeit grassiert, versuchen die Briten ihr Programm mit belanglosen elektronischen Spielereien zu füllen. An den schwachen Songs ändert das nichts. Ein ermüdender Auftritt einer ebenso müde wirkenden Band.
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Exxile on Euphoria - Der Groove der Gruft
Stuttgarter Zeitung, 8.3.2001
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Schwarze Klamotten sind immer noch Pflicht. Am besten Lack und Leder. Auch ein paar angerissene Netzstrümpfe tauchen noch irgendwo in der Menge auf. Aber ansonsten herrscht eine sträfliche Missachtung jener Kleiderordnung, die früher für ein Konzert der Sisters of Mercy bindend war. Wo, bitte schön, sind all die Schnabelschuhe, die Rüschenhemden, die schwarzen Kutten und barocken Schleppen früherer Tage? Und wer macht sich noch die Mühe, mit weiß geschminktem Gesicht und Kajal um die Augen aufzutauchen? Stattdessen irren vereinzelt triviale Bluejeans umher, und sogar ein heller Mantel mischt sich keck unters Publikum.
Ach, die Kinder der Nacht sind halt nicht mehr, was sie einmal waren. Und womöglich gilt ihnen das nichts mehr, wofür Gothic und die Gruftkluft einmal standen: herrlich düstere Totengräberästhetik, Schauerromantik und der Kult des inszenierten Grusels. Doch die Sisters of Mercy haben nie etwas darauf gegeben, obwohl sie die Gothic-Band schlechthin sind. Seit zwanzig Jahren gibt es sie, seit zehn Jahren haben sie keine neue Platte mehr gemacht, und nun ist das Congresscentrum B auf dem Killesberg restlos ausverkauft: ein Phänomen. Diese sehr seltsamen Schwestern der Barmherzigkeit sind die Erfindung eines einzigen Kopfes, der dort auf der Bühne mit adrettem Kurzhaarschnitt und Sonnenbrille einherrennt und dabei immer nur für kurze Momente im dichtem Nebel sichtbar wird: Andrew Eldritch, dieser britische Fürst der Gruft, sieht auch nicht mehr so aus wie vor zwanzig Jahren, als er mit der Schlagzeugmaschine Dr. Avalanche zusammen die Sisters of Mercy gegründet hat. Sein Begleitpersonal war stets austauschbar all die Jahre. Doch Dr. Avalanche, diese treue Maschine, ist geblieben.
Unerbittlich hämmert sie ihm jetzt den Rhythmus, während links und rechts manchmal zwei Gitarristen auftauchen, die mit ihren aus digitalen Räumen herbeizuckenden Rasiermesserriffs konsequent die aus dem Off kommenden alten Keyboardflächen zerschneiden. Ein Stück reiht sich nahtlos ans andere, ein krachender Gitarrenakkord steht noch im Raume, da peitscht Dr. Avalanche schon wieder, immer weiter, durch die Verse der Nacht, denen Eldritch das Charisma eines fremdartigen Reptils gibt, zustoßend, sich windend, sich in kurzen hymnischen Hysterien verbeißend und dann wieder in distanzierter Coolness loslassend. Alte Gothic-Gassenhauer wie "Dominion/Mother Russia'', "Amphetamine Logic'' und "First, and last and always'' flackern unter zuckenden Scheinwerfern herbei, um sich irgendwann wieder im Strom des Rhythmus aufzulösen: Der Groove der Gruft scheint so gut wie nie zu funktionieren - das Gefühl des Getriebenseins, von kalter Gier und dunklem Verlangen, es entwickelt im nüchtern holzgedämpften Saale eine eigene hypnotisch-pathetische Wucht.
"Exxile on Euphoria'', das Tourneemotto, war insofern gut gewählt. In all der vorwärts treibenden Intensität geht schließlich auch unter, dass dies ein typischer Sound der achtziger Jahre ist, glänzend bilanziert, mäßig modernisiert und clever perfektioniert, aber von keinem kreativen Ehrgeiz mehr getrieben. Ob die Energie dieser Sisters of Mercy nicht doch für eine neue Platte reicht? Was elektronischen Rock angeht, gehören sie immer noch zu den Besten ihres Fachs.
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Exxile on Euphoria - Der Sänger schweift durch den Nebel
Kölner Stadtanzeiger, 8.3.2001
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"Im Bereich Köln-Mülheim kommt es auf Grund starken Nebels zu Sichtweiten unter drei Metern". Diese Nachricht hat der Verkehrsfunk glatt vergessen; allerdings beschränkte sich der Nebel auf einen eng begrenzten Bereich: die Bühne des Kölner Palladiums. Beim ausverkauften Konzert der Sisters of mercy konnte die Dekoration wegfallen, selten nur lichteten sich die Nebelschwaden.
Seit 20 Jahren existieren die Sisters of Mercy, und Bandchef Andrew Eldritch muss in dieser Zeit den Orientierungssinn einer Brieftaube entwickelt haben. In seltsam entrückten Bewegungen läuft er mit schwarzer Sonnenbrille über die Bühne, taucht im Nebel unter und erscheint überraschend irgendwo anders, ohne je zu stolpern oder mit einem seiner beiden Gitarristen zusammenzustoßen.
Was hinter ihm passiert, lässt sich nur ahnen: nichts. Der grollende, nicht allzu schnelle Rhythmus wird maschinell erzeugt, der Schlagzeug-Computer "Dr. Avalanche" ist das einzige Bandmitglied, das Eldritch über die Jahre behalten hat. Schon vor 15 Jahren spaltete sich "The mission" von den Sisters ab, ohne je deren Qualität zu erreichen. Die Band wird dominiert von Eldritchs düsterem, manchmal klagenden Gesang, der aus dem Nebel ertönt und gediegene Friedhofsatmosphäre schafft. In den 80er Jahren gingen dazu die Gitarristen entschlossen zur Sache, ihr schnelles Spiel, unterstützt von Dr. Avalanche, brachte die Fans zum Toben.
Heute lassen sich verblüffend viele Zuschauer von Freunden auf den Schultern tragen, ohne in Gefahr zu geraten, umgeschubst zu werden. Eldritch, jetzt mit kurzen blonden Haaren, hat die schnellen Stücke zu Hause gelassen, spart sich Lieder wie "This corrosion", die seit anderthalb Jahrzehnten zuverlässig jede lahme Party beschleunigen. Doch der Beschleunigungsspur bleibt die Band fern, behält mittleres Tempo bei und variiert wenig. So schlägt die anfängliche Faszination, die immer noch von Eldritchs Band ausgeht, nach einer guten halben Stunde in leichte Langeweile um.
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Exxile on Euphoria - Forever Wave
Neue Züricher Zeitung, 9.3.2001
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Eineinhalb Stunden in eine Nebelbank blicken, in der sich schemenhaft drei Leute bewegen, während maschinelle Rhythmen auf einen niederprasseln: Die Sisters Of Mercy wissen, womit sie das Publikum an einem währschaften Goth-Rock-Konzert einzudecken haben. Das ist nicht verwunderlich, gehört die englische Band um Sänger Andrew Eldritch doch seit den frühen achtziger Jahren zu den führenden Exponenten dieser auf düstere Klänge ausgerichteten Sparte des New Wave. Das «new» ist mittlerweile dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen, doch als Wave erfährt die Bewegung ein Revival, von dem auch Kämpen wie die Sisters Of Mercy profitieren.
Und wie: Obwohl die Band seit über zehn Jahren kein neues Album mehr veröffentlicht hat, war das Limmathaus X-tra am Mittwochabend zum Bersten gefüllt. Beidseits der Bühne schien man die Regeln noch zu kennen. Die Gruppe nebelte den halben Saal mit Trockeneis ein, und das Publikum hielt sich an den Dress-Code, erschien in Schwarz. Die Band hat ihren Stil einst geprägt, indem sie die hämmernden Schlagzeugrhythmen des Glitter-Rocks der frühen siebziger in maschinell erzeugte, stampfende Industrial-Beats umwandelte und diese mit Punk-Energie und einer Vorliebe für düster dräuenden Pomp verband. Daran hat sich wenig geändert, wie der Auftritt zeigte. Eldritch erschien mit zwei Gitarristen, Adam Pearson und Mike Varjak, die zwischendurch auch einmal zum Bass oder, bei der Zugabe, zur akustischen Gitarre griffen, der Rest, zumeist Bass, Schlagzeug und Keyboard, kam ab Konserve und fügte sich zu einem Klangbild, das weitgehend an die achtziger Jahre erinnerte.
Das galt nicht nur für die alten Hits aus der damaligen Zeit wie etwa «Temple Of Love» oder «First And Last And Always», sondern auch für die neueren Songs. Unbeirrt hängte die Band Stück an Stück, verzichtete auf Publikumsanbiederung, zog ihr Ding konsequent durch. Zu nervösem Stakkato und brachialem Schlagzeuggetöse nutzte Eldritch jedes Quentchen seiner vollen Baritonstimme, um voller Pathos seine hymnischen Gesangslinien zu intonieren, denen er mit verzerrten Schrei- und Grunztönen zusätzliche Intensität zu verleihen suchte. Das wirkte zuweilen zwar wie arg aufgeblasene Inbrunst, doch Eldritch verstand es, das Ganze mit ironischen Gesten zu brechen und nicht in dumpfbackigem Ernst zu ertrinken. Und dies, ohne dem Publikum den Eindruck zu stehlen, hier den «Real Deal» zu erleben.
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Exxile on Euphoria - Reine Geschmackssache
Tagesanzeiger (Zürich), 9.3.2001
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Die Rockband Sisters Of Mercy spielte schon immer nach eigenen Regeln. So auch am Mittwochabend im "X-tra Limmathaus".
Während am Mittwochabend die Basler Fasnacht zu Ende ging, fand im ausverkauften "X-tra" ein Maskenspiel anderer Art statt. Das dicht zusammengedrängte Publikum hatte sich für das Konzert der Sisters Of Mercy der Alternativmode der frühen Achtzigerjahre verschrieben und sich in lange dunkle Mäntel, militaristisch anmutende Lederjacken und verwaschene T-Shirts gestürzt. Wie bei der Basler Fasnacht wandelte man auch hier auf den Spuren alter Rituale. Als nämlich die englische Band ihr frühes Hauptwerk vorgelegt hatte, waren viele der heutigen Zuschauer erst gerade in die Mittelschule eingetreten.
Die Sisters Of Mercy lieferten dem Warner-Konzern einen jahrelangen Zermürbungskrieg und mussten ihre Aktivitäten auf Konzerte und Festivalauftritte beschränken. Paradoxerweise ist ihr Renommee dadurch kontinuierlich gestiegen. Ohne Plattenpräsenz sind der Sänger Andrew Eldritch und seine wechselnden Begleiter zu den Grateful Dead des New Wave avanciert, zu einem schwer greifbaren Kollektiv, das es sich leisten kann, ausserhalb der üblichen Parameter der Musikindustrie zu operieren.
Wie konsequent die Sisters Of Mercy ihren eigenen Regeln gemäss vorgehen, dürfte das Publikum im "X-tra" allerdings überrascht haben. Die meisten alten Heuler fehlen im Set, das Trio am Bühnenrand ist vor lauter Licht und Kunstnebel kaum zu sehen und Eldritchs Gesang weist mehr dynamische als melodische Bandbreite aus. Die vielen neuen Songs sind einander zudem täuschend ähnlich und haben mit ihren rudimentären Elektronikrhythmen eine dominante Statik.
Spiel mit der Reibung
Aber gerade durch diese bewusste Monotonie entwickelt sich überraschend viel Stimmung und auch Spannung in der Musik: Die Beats wirken mit zunehmendem Verlauf runder, als sie es sind, in den Gitarren entdeckt man orientalische Finessen, und Eldritch, ein Insekt am Mikrofon, scheint sich köstlich zu amüsieren. Er grunzt, stöhnt und flüstert seine epigrammatischen Songtexte mit dunkler Leidenschaft: Muss er auch, wenn sich sonst so wenig in den Arrangements tut.
Bei solcher Kompromisslosigkeit gelingt die Rückblende in die Achtzigerjahre präziser, als es einem lieb ist. Beobachter, die damals dabei waren, erinnern sich mit gespaltener Nostalgie an diese Zeit, als sich Rockbands noch zu schade waren, ihrem Konzertpublikum um jeden Preis gefallen zu wollen. Auch bei den Sisters Of Mercy gibt es keine zuvorkommenden Bühnenansagen, keine ausgedehnten Unplugged-Einlagen und auch keine Nummer-sicher-Coverversionen.
Dieser Band geht es offensichtlich mehr um Selbstdemontage: Während der ersten Zugabe stimmen die Musiker "I Didn't Know I Loved You (Till I Saw You Rock and Roll)" von Gary Glitter an, und nach seinem finalen Kostümwechsel ist Eldritch genau so ungünstig gekleidet wie sonst nur Thomas Gottschalk. Die bewussten Stilausrutscher gehören jedoch zum cleveren Spiel mit der Reibung, mit der die Sisters Of Mercy sogar die Gemüter der alten Anhänger aufkratzen wollen. Das ist konzeptionelles Anti-Entertainment, New-Wave-Attitüde im Destillat: reine Geschmackssache also. Aber dennoch gelungen.
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Exxile on Euphoria - Sisters of Mercy enttäuschen in Wien
Kurier (Wien), 12.3.2001
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Wien - Lange Gesichter in der Libro Halle. Nach einer Bühnenabwesenheit von beinahe zehn Jahren spielte die Gothic-Legende Sisters of Mercy am Samstag wieder in der Bundeshauptstadt - und enttäuschte. Nach einem achtzigminütigen, lieblos hinuntergespultem Programm war die Stimmung des Publikums genauso düster wie deren Outfits. Die Vorbands Paradise Lost und Project Pitchfork bewiesen jedoch, dass man auch mit dunkler Musik Partystimmung verbreiten kann.
Vorgruppen um Klassen besser
Eigentlich hatte der Abend vielversprechend begonnen. Die schon ein wenig in die Jahre gekommenen Ex-Grufties zwängten sich noch einmal in die mitunter schon bedrohlich eng sitzende Lederhosen, um wenigstens für ein paar Stunden die 'Goldenen Tage' der Achtziger Jahre wieder auferstehen zu lassen. Der schwarze Nachwuchs hatte endlich Gelegenheit jene Band zu sehen, ohne die Acts wie HIM vielleicht nie entstanden wären. Die Jungen dürften sich allerdings bald gefragt haben, wie die Sisters of Mercy einen derartigen Kultstatus genießen können. Schon die Vorgruppen waren um Klassen besser als die Männer um Andrew Eldritch, denen man gleich von Anfang an anmerkte, dass ihnen der Live-Auftritt keinen richtigen Spaß machte.
Das Programm, das die stets in Kunstnebel gehüllte Band zum besten gab, hatte das Charisma eines Live-Konzertes auf Videokassette. Eldritch versuchte erst gar nicht eine Kommunikation mit dem Publikum einzugehen. Hits wie 'Tempel of Love' oder 'First and last and always' waren - obwohl sie von den Besuchern euphorisch aufgenommen wurden - Mangelware. Über weite Strecken spielten die 'Sisters' völlig neues Material, das die Zuseher gar nicht kennen konnten, weil die Band seit Jahren keine neue CD mehr veröffentlicht hat.
'Es war einfach fad'
Als sich die Band bereits nach 60 Minuten vom Publikum verabschiedete, musste Eldritch die Erfahrung machen, dass es einfach nicht mehr reicht, eine Legende zu sein. Unter dem spärlichen Applaus mischten sich laute Buh-Rufe der enttäuschen Zuseher. Der Zugabeblock entschädigte das Publikum aber auch nicht. 'Es war einfach fad', brachte eine Zuseherin nach dem Konzert auf den Punkt.
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Nebelschwaden umwabern die Könige der Gruft
General-Anzeiger - Bonn 25.6.2001
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Bonn. Schwarz war am Samstagabend auf dem Bonner Museumsplatz die dominierende Farbe - zumindest was die Kleidung der meisten Besucher anging. Schließlich gab sich die 80er-Jahre Gothik-Rock-Legende "The Sisters Of Mercy" die Ehre und da wollte man angemessen gewandet erscheinen. Doch zunächst hatten die Veranstalter ein Gastspiel der amerikanischen Punk-Veteranen von Bad Religion vorgesehen. Die mussten ihr Erscheinen jedoch wegen eine Verletzung ihres Schlagzeugers (der wohl wahrscheinlich gar nicht mehr wird auftreten können) absagen. Die Münsteraner Combo H-Blockx bestritt an ihrer Stelle das Vorprogramm.
Diese Auswahl erwies sich indes als wenig glücklich, konnten doch die Sisters-Fans mit ihrer Musik nicht allzu viel anfangen. Und so schien die Chemie zwischen Band und Publikum niemals so ganz zu stimmen. Als dann aber Andrew Eldrich, Adam Pearson und Chris Sheehan, die mittlerweile zu einen Trio geschrumpften Sisters Of Mercy, nach einer knapp halbstündigen Umbaupause die Bühne betraten, gab es für die Fans kein Halten mehr. Die Nebelmaschinen nahmen ihre Arbeit auf und hüllten die Bühne in wabernde Schwaden - 100 Minuten Düsterrock vom Feinsten lagen nun vor allen Beteiligten.
Mit "Vision Thing" eröffneten die Sisters ein Programm, das sie in vielen Punkten gegenüber ihrer Frühjahrstour, die sie ja auch schon ins Rheinland geführt hatte, verändert hatten. Nahezu alle Erfolge aus den 80ern, der Hochzeit der Sisters, befanden sich auch am Samstag auf der Setlist. Songs wie "Anaconda", "Susanne" oder "Corrosion" versetzten die Zuschauer immer wieder in Begeisterung. In zwei Zugabenblöcken verlangten die Sisters ihrem Publikum noch einmal alles ab.
Erst als Eldrich und Co. im zweiten Block ihre scheußlich schön-schräge Version von "Sugar Baby Love" anstimmten, wurde allen klar, dass es nun bald Abschied zu nehmen hieß. Mit "Sedated" erklang noch ein letzter Hit, dann stellten die Nebelmaschinen ihre Arbeit wieder ein und die Bühnenscheinwerfer verloschen. Man kann nur hoffen, dass sich die Gerüchte um ein neues Studioalbum der Band bewahrheiten. In der Form vom Samstag sind die Sisters auf jeden Fall wieder das, was sie in den 80er schon waren: Die Könige der Gruft.
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Bei einstigen Gothic-Ikonen kann man heute mitklatschen
Rhein-Zeitung - 25.7.2001
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BONN. Nebel schwillt über die Bühne, viel Nebel - mehr Nebel, als an einem Herbsttag über London hereinbricht.
Aus den Schwaden heraus schält sich kein Engländer mit Schirm, Schal und Melone, sondern einer mit Sonnenbrille, blond gefärbten Haaren, mit Seitenscheitel und Fliegerjacke. Andrew Eldritch gibt sein Gastspiel auf dem Bonner Museumsplatz - jener Exzentriker, der vor 20 Jahren die "Sisters of Mercy" gründete und im Verlauf der 80er Jahre zu einer Ikone der aufkommenden Gothic-Kultur avancierte.
Und heute? Sucht man in Bonn die Anhänger der alten Düstertage mit Haarspray-gestählten Frisurkonstrukten, bleichen Gesichtern und schwarzen Mänteln fast vergebens, Vergleichsweise "bunt" ist das Völkchen, das sich zum Konzert auf der Museumsmeile eingefunden hat. Und das ist ganz im Sinne von Eldritch, der mittlerweile auf den Begriff "Gothic" so reagiert wie Schwarzbekittelte auf die Sonnenbank: allergisch. So entsprach es auch seinem Wunsch, dass mit den "H-Blockx" aus Münster eine deutsche Crossover-Band für die verhinderte Punk-Legende "Bad Religion" als Vorband auftrat.
Dabei würzt der eigenwillige Bandleader seine Klänge noch immer mit altbekannten Ingredienzen: Dr. Avalanche, die Rhythmusmaschine und neben Eldritch einzig verbliebenes "Gründungsmitglied", bildet zusammen mit den tiefen Bassklängen - sie kommen wie auch der Syntheziser vom Band - das dunkle Gerüst, darüber erklingt Eldritchs sonore Grabesstimme, flankiert von zwei Gitarren, nach zahlreichen Umbesetzungen derzeit von Adam Pearson und Chris Sheehan bedient. Nur die schaurig schöne Grundstimmung von einst mag sich nicht mehr einstellen, und das liegt nicht nur am anfänglich miesen, weil undifferenzierten Sound.
Mit "Vision Thing", dem Titelsong des bislang letzten (und poppigsten) AJbums - das liegt nun schon über zehn Jahre zurück - gibt Eldritch gleich zu Beginn die Richtung vor: glatt, geradeaus und mitklatschkompatibel. Der Dauernebel will dazu nicht so recht passen - eine der wohlinszenierten Ungereimtheiten.
Dass Eldritch bei neuen, noch unveröffentlichten Titeln ("Summer") ebenso wie einigen ganz alten ("On the Wire", war wenig gelungen) durchaus wieder mt seinen düsteren, doch so heftigst verleugneten Wurzeln kokettiert, ist eine andere. Die Resonanz darauf hält sich in Grenzen. Doch der Zeremonienmeister weiß, worauf die Menge wartet: Bei nunmehr glasklarem Sound steigt die Stimmung mit den großen Hits wie "Dominion", "This Conosion" oder "Temple of Love", wobei der Sänger seine sonst kultivierte Distanz zunehmend verliert. Einmal scheint sogar ein Lächeln über sein Gesicht zu huschen.
Als sich im zweiten Zugabenblock die Partylaune bei einer unsäglichen Coverversion des Rubetts-Gassenhauers "Sugar Baby Love" in Hitparadennähen aufschwingt, mögen so manchem Fan aus alten Tagen auch ohne "Drei-Wetter-Taft" die Haare zu Berge stehen. Aber wie heißt es auf der Band-Homepage?
"Wir sind eine Rock'n'Roll-Band. Und eine Pop-Band."
An diesem Anspruch muss man die einstigen "schwarzen Schwestern" nun auch messen - selbst wenn es schwer fällt.
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Gothic 2001
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Orkus 2001
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Sonic Seducer 2001 (Article 1)
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Sonic Seducer 2001 (Article 2)
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M'era Luna-Festival in Hildesheim
pipeline.de - 11.8.02
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Hildesheim (dpa) - Tausende Menschen in schwarzen Roben, mit leichenblass geschminkten Gesichtern, dazu viel Lack und Leder: Trotz erbarmungslosen Dauerregens kamen am Wochenende fast 20 000 Fans zum nach Veranstalterangaben europaweit größten Festival für Gothic- und Darkwave-Musik. Das M'era Luna-Festival findet in jedem Sommer im niedersächsischen Hildesheim statt. Insgesamt 40 Bands spielten auf zwei Bühnen. Musikalisches Highlight am Samstag waren die Sisters of Mercy aus Großbritannien. Am Sonntag wurde als Höhepunkt das Duo Softcell mit Dave Ball und Marc Almond erwartet. Weiterer Top-Act war die finnische Band HIM.
Mit den vielen tausend Fans aus ganz Europa kamen annähernd so viele Teilnehmer wie im vergangenen Jahr. Sie verbindet die Freude an der Musik. Die meist düsteren Melodien und martialischen Texte sind eine Flucht aus dem tristen Alltag: «Bei dieser Musik kann man wirklich abschalten. Es gibt mir einfach mehr als das Gedudel aus dem Radio», erklärte Konni aus Mettingen (Nordrhein-Westfalen) ihre Begeisterung an Gothic- und Darkwave- Musik.
Frederike aus Salzgitter kommt schon seit vier Jahren zu dem Festival. «Ich bin begeistert von der Szene und dem ganzen Drumherum», meinte die junge Frau. Einen Fan aus Lüneburg ärgerte, dass immer wieder die gleichen Bands beim Festival auftreten: «Die Organisatoren könnten sich schon mal was Neues einfallen lassen.» Die meisten Festival-Besucher stammten aus Deutschland. Aber auch Gothic- Fans aus Holland, Spanien, Italien, Finnland, Polen, der Ukraine und sogar aus Neuseeland waren vertreten.
Schwarz war die dominierende Farbe auf dem Hildesheimer Flughafengelände. Die Szene ist darauf bedacht, ihr Image sorgfältig zu pflegen. Allerdings konnten die Grufties in diesem Jahr auf bunte Regenschirme und -jacken nicht verzichten, auch wenn das äußere Erscheinungsbild leicht gestört schien. Das Musikfestival versank zeitweise im Regen, und das Gelände glich einer Schlammlandschaft.
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Ein bissiger Gruß an die Könige des Nebels
Hildesheimer Allgemeine Zeitung - 11.8.2002
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HILDESHEIM. "Sonne macht albern", steht auf den T-Shirts der Gothic-Fans. Ihre schwarzen Schirme rezitieren derweil die Bibel: "Und es kam ein Regen auf Erden, 40 Tage und 40 Nächte." 1. Buch Mose. Letztlich ist es jedoch keine Frage der Kleidung oder Schirme, sondern der inneren Einstellung: Irgendwann wird jede noch so große Pfütze volley genommen, es ist ja eh alles nass.
"In Extremo" hatten ihre Wilde-Kerle-Show noch im Trockenen abziehen dürfen. Es war das gewohnt-erfolgreiche Szenario: Mittelalterliches Outfit, mystische Texte, Musik von fetten Gitarren, drei Dudelsäcken und allerlei mittelalterlichem Instrumentarium. Eine lebendige Bühnenshow, die allerdings keine Überraschungen bot.
Aber dann. Die finsteren Wolken über dem "M'era Luna"-Festival leerten sich mit einem Ruck, immer neue kamen heran, um Nachschub zu bringen. Dreieinhalb Stunden lang. Erbarmungslos.
Eine Plage für die Fans, ein Segen für die Bands auf der Zweitbühne im Hangar. Statt draußen auf die Headliner zu warten, drängten sich Tausende in der Flugzeughalle und sahen die Gothic-Elektroniker von "Blutengel". Deren Playback-Totentanz-Show lief tadellos, aber auch ohne große Höhepunkte. Volles Haus auch für die nachfolgenden Electro-Acts im Hangar: "Hocico" und "Suicide Commando" pfefferten mörderische Beats und tödlich-finsteren Gesang in die Menge.
Vor der Hauptbühne dagegen hatte man ungewohnt viel Platz. Schade für die finnischen "69 Eyes", die mehr Publikum verdient hätten. Bei seinem vorigen "M'era Luna"-Gastspiel hatte das Quintett aus Helsinki einen routiniert-lustlosen Eindruck hinterlassen, diesmal war die Band in bester Form. Härter, kompromissloser, rockiger als auf ihrem letzten Album spielten sie griffige Versionen von "Dance d'Amour", "Brandon Lee" und "Gothic Girl" - letzteres als Wiedergutmachung für die verhunzte Darbietung vom Vorjahr, wie Sänger Jyrki 69 ankündigte: "We fucked it up pretty bad last time."
Als Abschiedsgeschenk schüttelte Drummer Jussi 69 seine Bierdose ordentlich durch, ließ den Schaum über die ersten Reihen spritzen und goss sich den Rest selbst in die Hose. Eine starke Performance der Band und ein überzeugendes Statement zum Thema Regen.
Der machte unverdrossen seinen Job, doch die Fans ließen sich jetzt nicht mehr schrecken. Der weiße Vorhang für "VNV Nation" wurde niedergerissen, und das matschige Gelände verwandelte sich in einen riesigen Dancefloor. Die knalligen Beats, die weiten Sound-Flächen und Mitsing-Refrains aus dem Electro-Labor von Drummer Mark Jackson und Sänger Ronan Harris hatten eine unwiderstehliche Wirkung. Zudem sorgte die eindrucksvolle Lichtshow mit Schwarz-weiß-Dias für reichlich Augenfutter.
Als dann noch bei "Fallen Angel" der Regen aufhörte, gab es kein Halten mehr. "Ihr wisst, was zu tun ist, also los", brüllte Harris in die Menge. Die strecke die Hände in den Himmel und feierte eine Party, dass das britische Duo glücklich feststellen durfte: "Ladies and Gentleman, you make us proud" - ihr macht uns stolz! Und eine der Angesprochenen schrie nach Leibeskräften zurück: "I love you!"
Zum Abschluss gab's noch Harris' freundschaftlichen Tipp, von der Hauptbühne in den Hangar zu wechseln: "Viel Spaß mit ,Suicide Commando`." Gefolgt von einem bissigen Gruß an den Top-Act des Abends, die "Sisters Of Mercy": "Oder wenn ihr hier bleibt: Willkommen zum Puppentheater."
Tatsächlich haben die "Sisters" gehörig Kredit aus den erfolgreichen 80er Jahren verspielt. Im Publikum wurde sogar gemunkelt, man könne nicht immer sicher sein, ob Bandchef Andrew Eldritch überhaupt auf der Bühne steht - oder bloß ein Double.
Doch eine erlesene Gitarren-Rückkopplung zum Auftakt verspricht Gutes. Dann kommen die "Sisters": Langsam, kraftvoll, fordernd. Die Gitarre beißt, Eldritch grummelt wie der Donner und heult wie ein Wolf. Leider verpufft ein Teil der Energie schon beim zweiten Song, und die Gruppe verschwindet mehr und mehr im Trockeneis-Nebel, der von beiden Seiten und von hinten in irrsinnigen Mengen auf die Bühne geblasen wird. Bunte Lichtfinger zucken durch die Schwaden, für Sekundenbruchteile taucht vorn eine einzelne Figur als Schattenriss auf. Meist genau in dem Moment, wenn man sich fragt, ob überhaupt noch jemand dort oben steht.
Erst in der zweiten Hälfte des anderthalbstündigen Auftritts kommt Stimmung auf. Hits wie "Mother Russia", "First And Last And Always", "Vision Thing" oder "Temple of Love" bringen die Fans kurz vor Mitternacht noch einmal auf Touren. Man hat sogar den Eindruck, dass der Nebel sich etwas lichtet. In ihren besten Momenten sind die "Sisters Of Mercy" einfach Rock'n'Roller - gute Rock'n'Roller.
Aber sie müssen sich dringend etwas Neues einfallen lassen, bevor ihre alten Gassenhauer hoffnungslos zu Tode genudelt sind. Und das wird nicht mehr lange dauern.
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M'era Luna 2002
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Sonic Seducer 2002
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Schall und Rauch der Gottväter für Gorillas im Nebel
Leipziger Volkszeitung vom Donnerstag - 3 April 2003
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Schall und Rauch - knapper kann man das Konzert von The Sisters Of Mercy Mittwoch im Haus Auensee nicht beschreiben. Die Gottväter des Gothic-Rocks bitten zur dunklen Messe. 1200 Besucher folgen der Einladung und erreichen bei der Vorband Sulpher Betriebstemperatur.
Ein Entertainer ist Andrew Eldritch wahrlich nicht. Ein kurzes "Guten Abend" sondert der schmale, sonnenbebrillte Sänger ab, nachdem der schneidige Opener "Temple Of Love" die Schwaden im Saal durchgerührt hat. Sein Publikum: Gorillas im Nebel. Dann spricht Gott nicht mehr. Man könnte glatt vom Glauben abfallen. Wenn da nicht die Musik wäre. Die hat seit ihrer Kreation nicht nur Pulks von Plagiatoren auf den Plan gerufen. Jetzt weiß man auch, was Joachim Witt an freien Abenden hört. Selbst zehn Jahre nach ihrer Schöpfung haben Songs wie "More" und "Lucretia My Reflection" nichts von ihrem rustikalen Charme eingebüßt.
Das derzeit aus Eldritch sowie den Legionären Adam Pearson und Chris Sheehan an seinen Saiten bestehende Trio weiß genau um die enthusiasmierende Energie seines rostfreien Materialmixes aus dröhnenden Discobeats und grandiosen Gitarren. Und so spulen die barmherzigen Schwestern - angetrieben von ihrer geheimnisumwitterten Drummachine Doc Avalanche - ihr fast zweistündiges Programm routiniert und unnahbar ab. Interaktion mit dem Publikum gibt's kaum, dafür Qualm bis zum Abwinken. Das provoziert schon mal einen Buh-Ruf.
Die Stimmung steigt immer dann, wenn Hits wie "Flood" erklingen. Davon hat die Band reichlich, auch wenn sie wegen eines inzwischen beigelegten Streits mit ihren Plattenprofiteuren von eastwest in 23 Jahren nur drei reguläre Alben am Start hat. "Dominion" etwa brilliert mit einem Bollwerk aus Bässen und seiner verführerischen Melodie. "Ribbons" delektiert sich am längst leichenstarren Rock. Schade nur, dass der Sound missklingt: Eldritchs Elegien über Gott und seine ungerechte Welt sträubten sonst das Nackenhaar.
Bei der ersten Zugabe "I Was Wrong" leistet sich der scheue Schamane dann doch eine Schwäche und wirft sein Handtuch in die Menge. Schließlich ein zackiges "Vision Thing" - dann ist der Spuk vorbei. Kein "This Corrosion", nicht wie üblich "Goodnight!". So stellt man Liebende auf die Probe.
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Zwickau: Geteilte Meinungen über Ex-Wave-Stars
Freie Presse, 5.4.2003
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Ende der 80er Jahre hatten die drei Wörter noch eine elektrisierende Wirkung: "Sisters of Mercy". Für die Wave-Gothic-Jünger war die Band so etwas wie der Himmel auf Erden. Doch das die Mannen um Sänger Andrew Eldritch seit mehreren Jahren kein neues Album mehr herausgebracht haben und während ihrer Tournee gleich zweimal in der Region spielten, scheint auch den Fans der britischen Band auf den Magen geschlagen zu haben. Dementsprechend mau war die Stimmung am Donnerstagabend in der Zwickauer Stadthalle. Nach Angaben des Veranstalters hatten sich nur 700 hart gesottene Fans eingefunden.
"Ich denke, es gibt bessere Konzerte von denen. Doch wenn man aus Zwickau ist und sie in der Stadt spielen, dann muss man einfach herkommen. Insgesamt hat es mir aber gefallen", meinte Besucher Thorsten Hentschel nach dem Konzert. Besonders beeindruckt zeigte er sich von der Vorband "Sulpher". "Die haben das ganze Konzert sehr aufgewertet", freute sich der Student. Eine ähnliche Meinung äußerte die 21-jährige Angelique Jurisch. Auch sie war von der Vorband vollkommen begeistert. Die Reichenbacherin besuchte das erste Mal ein "Sister-of-Mercy"-Konzert. "Es war sicherlich auch das letzte Mal. Mir ist die Musik einfach zu soft. Ich steh’ mehr auf Sachen wie Korn oder Placebo", sagte die junge Frau, die wie die meisten Besucher im passenden dunklen Gewand in die Stadthalle gepilgert war. Es gab aber auch Fans, die lobende Worten fanden. So wie Carsten Günther und Nadine Wagner, die aus dem bayerischen Kulmbach in die Schumannstadt kamen: "Ich war vor 15 Jahren das erste Mal auf einem Konzert der Band. Ich finde es erste Klasse. Alle sollten hierher kommen", so der junge Mann.
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Psycho-Wave unter dem Nebel
Bremer Nachrichten/Weser Kurier - 7 April 2003
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Von unserem Mitarbeiter Christian Emigholz
Die Fans der britischen Band "Sisters Of Mercy" hängen in gewisser Weise einem Phantom nach. Einerseits gibt es seit Jahren nichts Neues von der Band, die mit ihrem Kopf und Sänger Andrew Eldritch steht und fällt; das Publikum weiß also genau, dass es die alten Hits (einige davon sind zwanzig Jahre alt) zu hören bekommt. Und zwar nur diese, was auch schon wieder eine verlässliche Komponente hat. Andererseits gehört es zum Image der "Sisters", im dichten Nebel aufzutreten, so dass die Musiker manchmal nur schemenhaft, manchmal gar nicht auf der Bühne zu erkennen sind. Folglich pustet die Nebelmaschine schon zwanzig Minuten vor dem Auftritt von Eldritch & Co im sehr gut besuchten Pier 2 unermüdlich Wolken in den Saal, bis dieser dicht verhangen ist. Lichttechnisch hat das seine Vorteile, denn der Nebel bricht das Licht besonders gut und ermöglicht eine bemerkenswert schöne Lightshow, die schon immer eine Spezialität der Band war. Auch dabei sind sich die Musiker also treu geblieben.
Dr. Avalanche wummerte
"Sisters Of Mercy" dürfte die einzige weltweit populäre Rockband sein, die mit einem Drumcomputer reist. Jenes als Dr. Avalanche in die Popgeschichte eingegangene Rhythmusgerät hat inzwischen sogar Zuwachs bekommen, denn auch der Bass wird nun synthetisch erzeugt. Livesounds liefern also nur Sänger Eldritch und die beiden Gitarristen Adam Pearson und Mike Varjak. Das synthetische Puckern und Wummern, das gelegentlich durchaus billig klingt, passt aber ins Konzept, weckt Erinnerungen an einfach produzierte Wave-Sounds, die einmal stilistische Ausgangspunkte der Band waren. Allerdings haben "Sisters Of Mercy" den lieblichen Wave-Pop zum bösartig dräuenden Dark-Wave erweitert, haben Psychedelic-Elemente integriert und mit Metal-Breitseiten abgerundet. Das gilt heute noch. Ebenso gültig sind auch noch alte Songs wie "Temple Of Love", "Under The Gun" oder "This Corrosion", was wiederum ein bezeichnendes Licht auf die Entwicklung von Rockmusik wirft.
Repertoire fast ohne Worte
Der extravagante Andrew Eldritch ist nach wie vor ein beeindruckender Sänger und der "Sisters"-Sound immer noch kraftvoll. Die Band spulte ihr Repertoire kompakt und nahezu wortlos herunter, insofern verwunderte beinahe Eldrichts angelegentlich angebrachter Schlusssatz "This war is wrong!" Zum Einstieg in das Konzert hatte sich im Pier 2 das Quartett "Sulpher" erregt am "Sisters"-Sound versucht: Im Vergleich zum nachfolgenden Original blieben diese braven Bemühungen aber nur wenig erregende Petitessen.
Kommentar:
Mir scheint, Herr Emigholz war offenbar nur zur 2. Zugabe zugegen. Was Songs wie "Corrosion" und "Under The Gun" in diesem Artikel sollen, die bei dem Bremer Konzert überhaupt nicht gespielt wurden, ist mir schleierhaft, zudem ist der Hinweis darauf, daß das Publikum nur "die alten Hits" zu hören bekommt kompletter Blödsinn. Einige meckern ja gerade darüber, daß 1/3 der Setlist unveröffentlichte Songs sind.
Und nochwas: Ich habe wirklich sehr intensiv zur Bühne gesehen, aber Mike Varjak hab ich da nirgends gesehen...
Auf das Konzert an sich bezieht sich eigentlich nur der letzte Absatz - zwei Sätze also.
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Schwestern von gestern Lustlos
Nürnberger Zeitung - 14 April 2003
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"Ich mag es nicht sonderlich, auf der Bühne zu stehen, aber ein Mann muss seine Miete zahlen" - Andrew Eldritch, Sänger und (Quer-)Kopf der Dark-Wave-Formation Sisters Of Mercy, kann sicher sein, dass ihm sein seit zwei Dekaden ergebenes Publikum dieses mürrische Geständnis nicht verübelt. So ging es in der Fürther Stadthalle noch einmal darum, die Hits aus glorreicheren Zeiten wieder aufleben zu lassen. Immerhin: Auch im Jahr 2003 kann die Band mittelgroße Konzerthallen füllen.
Tempelfürsten
Die Gruppe überraschte, als sie ihr erfolgreichstes Lied "Temple Of Love" als Auftakt zum Besten gaben. Ein fulminanter Start zu einer Zeitreise in die Achtziger Jahre samt ihres unterkühlten Charmes. Dazu trug nicht nur der Elektro-Rock-Sound der "Fürsten der Finsternis" bei, sondern auch der über Gebühr eingesetzte Kunstnebel und die farbenfrohe Lichtshow. Optisch ergab sich so ein Kontrast zu den fast ausnahmslos in Schwarz gekleideten Fans.
Abgesehen davon regte sich wenig auf der Bühne. Der ohnehin nicht übergroße Mister Eldritch und seine Mitstreiter hatten sich anscheinend auf einen Bewegungsradius von einem Meter geeinigt. Ob britisches Understatement oder kokett inszenierte Lustlosigkeit: Den Gästen wurde weitgehende Passivität geboten. Darüber hinaus nährten die Musiker Zweifel an ihrer Motivation, indem sie ihren Auftritt ohne Ansagen absolvierten. Die Band spulte ihr Programm mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks ab. Nur manchmal ließ sich nachempfinden, wodurch die Gruppe einst ihre Vorreiterrolle erspielt und ein Genre mitgeprägt hatte. Über treibende Rhythmen, atmosphärische Synthesizerpassagen und druckvolle Gitarren legte sich die charismatische Stimme des Frontmannes, um dem textkundigen Publikum von Leidenschaft und Exzessen zu berichten.
Und tschüss
Trotz einiger Längen ging das Rezept auf. Emotionen und schwelgerisches Pathos verschmolzen mit der kalkulierten Unnahbarkeit der Akteure. Zufriedengestellt wurden die Konzertbesucher spätestens mit den Hits "Valentine", "Vision Thing" oder "This Corrosion". Obwohl das Publikum das abrupte Ende einer 90-minütigen ereignisarmen Veranstaltung mit Pfiffen quittierte.
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Düsterrock im dichten Nebel
Nürnberger Nachrichten - 14 April 2003
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Düsterrock im dichten Nebel
"The Sisters of Mercy" in Fürth
Schon irgendwie cool: Da zehrt eine Band seit Jahrzehnten ausschließlich von dem Kultstatus, der ihr aus den frühen 80er Jahren anhaftet. Selbst eingefleischte Fans haben aufgehört, nachzurechnen, wann Oberschwester Andrew Eldritch und sein treuer Drumcomputer Doktor Avalanche ihr letztes Studioalbum veröffentlichten. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass keine Plattenfirma bereit ist, die Summe auf den Tisch zu legen, die dem Godfather of Düsterrock für sein neues Material vorschwebt.
Also muss die Fanschar weiter ohne frischen Tonträger auskommen - auch in der gutbesuchten Fürther Stadthalle, wo das Gaastspiel der britischen Gruftlegende zum fröhlichen Generationentreffen avancierte. Dichte Nebelwände und ein Scheinwerferinferno, Bass, Synthesizer, Chöre und der mächtige monotone Beat kommen vom Band, nur die Gitarren und der Gesang sind live. Und laut! Alldieweil herrscht im Saal munteres Liederraten: Manches im sinisteren Soundgewirr kommt bekannt vor, allein der Wiedererkennungseffekt hält sich in Grenzen. Neue Songs, alte Lieder - einerlei in dieser Nacht, in der sowieso alles gleich klingt.
Was genau die Barmherzigen Schwestern da oben auf der Bühne treiben, bleibt nebulös. "Spielt doch mal ein anderes Lied", brüllt einer - kein schlechter Vorschlag. Doch die "Sisters of Mercy" geben sich gar nicht erst die Mühe, Verbindung mit ihrem Publikum herzustellen. Und zumindest das ist dann doch ein Stück weit lässig: Ein Konzert, bei dem sich die Band nicht auf die Nostalgienummer reduzieren lässt, und allen Erwartungshaltungen konsequent den Mittelfinger zeigt.
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Gothic-Größe aus klassischem Guss
Stuttgarter Nachrichten - 14 April 2003
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Bei dem letzten Sisters-of-Mercy-Konzert vor zwei Jahren war's noch dunkler, auf der Bühne waberte noch mehr Nebel, von anderen Musikern neben Andrew Eldritch war noch weniger zu sehen.VON MICHAEL RIEDIGER
Diesmal gibt sich der Gothic-Guru für seine Verhältnisse fast transparent: Zwei junge Gitarristen flankieren ihn seitlich, und Licht ist genug, um Eldritchs Glatzenschnitt wahrzunehmen und sich zu fragen, warum der Mann auch an solch letztlich doch noch ziemlich düsterem Orte eine Sonnenbrille trägt.
Dies dürfte indes die einzige offene Frage bleiben an diesem Samstagabend, außer vielleicht der müßigen, wie es die Sisters of Mercy, die seit zehn Jahren mit ihrem Label streiten, dennoch schaffen, ganz ohne neue Platte die Messehalle respektabel zu füllen. Aber dies erklärt sich ziemlich schnell. Denn mit Musik, die keine Fragen offen lässt, zählt die 1980 gegründete Schwarzkittel-Offensive längst zu den Rock-Klassikern, die ihr treues Publikum haben und auch so schnell nicht verlieren werden. Solange sie daran festhalten, was sie schon seit 20 Jahren machen: Musik, die vor allem auf Lautstärke und Monotonie beruht.
Eldritch inszeniert seine oft pathetischen, bisweilen hymnischen, immer finsteren Songs einfach, aber wirkungsvoll. Vorne dreschen wechselnde Gitarristen - mit dem eigentlichen Sisters-Saitenschwinger Wayne Hussey liegt Eldritch seit Jahren über Kreuz - Metal-Riffs, die so lakonisch und knapp sind wie die besseren WM-Kommentare Günter Netzers, während hinten Sequenzer finstere Industrial-Beats produzieren.
Das ist das eigentlich Faszinierende am Sisters-Sound: ein gnadenlos mahlender Maschinen-Groove, wie er seit dem Album ¸¸Floodland'' (1988), dem ersten ohne Hussey und dem ersten richtig erfolgreichen, von den schwarzen Schwestern bevorzugt wird. Und wie er auch heuer in Stuttgart vom ersten Song an (¸¸Temple of Love'') den Ton angibt.
Mögen gelegentlich Songs in Metal-Manier den Industrial-Einfluss schmälern, mögen dann Gitarren den Grimm in Eldritchs Song-Schwarzmalerei transportieren - am eindrucksvollsten lärmt auch in der Messehalle wieder der Mann im Dunklen, der, der die Synthesizer und Sequenzer programmiert hat. Und zu dem hyperaktiv flackernden Stroboskop-Licht und einem sich eckig-abgehackt und scheinbar unkoordiniert bewegenden Eldritch, der wie ein Faun auf Reserve wirkt, passen die Elektro-Beats wie angegossen.
Die Sisters of Mercy gerieren auch im neuen Jahrtausend ihren Gothic-Gräuel wie gehabt - und sind dabei längst zu Gruft-Größen von klassischem Zuschnitt gereift.
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PROMINENTE CAMPER
Badische Zeitung - 14 April 2003
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STADTGEPLAUDER
Vor dem Freiburger Dorint-Hotel am Konzerthaus standen gestern Morgen gleich zwei Tourbusse. Der eine, weiß, gehörte zum Saxophon-Virtuosen Maceo Parker, der andere, schwarz, zu den Sisters of Mercy. Eine geparkte Ladung Prominenz. Und beide Male hatte der Freiburger Konzertveranstalter Koko seine Hände mit im Spiel: Die Underground-Sisters hatten am Samstagabend in Stuttgart gespielt, sind aber keine VfB-Anhänger, sondern eingefleischte Pauli-Fans und wollten unbedingt das Spiel in Freiburg sehen. Koko und der SC machten's möglich: Koko besorgte sechs Karten für Band, Busfahrer und Crew, der SC rückte sogar eine Sondergenehmigung für den Sisters-Truck auf dem Stadion-Parkplatz heraus. Nachts um drei war die Band angekommen, Dorint-Mitarbeiter warfen ein Stromkabel aus dem Fenster, damit die Jungs es auch richtig warm haben. Sauna und Schwimmbad waren für die eigenwilligen Stars ebenfalls gratis. Mittags gegen 13 Uhr reckten dann Si und Andrew mal die Köpfe aus dem Truck, putzten sich mitten auf dem Vorplatz die Zähne und tauschten ein paar Blicke mit den älteren Herren aus Parkers Crew, die sich gerade ein bisschen die Beine vertraten. Dann ging's ab ins Stadion und nach dem 1:1 waren die Musiker glücklich: "Wir haben hier alle Tore geschossen und die Pauli-Fans waren lauter als der ganze Rest", meinte Si, der Sound-Programmierer. Die Sisters haben die Kiez-Kicker wegen "ihrer politischen Linie" so ins Herz geschlossen: "Deswegen soll Pauli einfach nicht absteigen."
Überrascht war indes Maceo Parker: Als er am Samstag in seiner Garderobe in der Mensa an der Rempartstraße ankam, werkelten drinnen noch die Bauarbeiter: "Kann ich euch helfen", fragte der Mann, ging aber dann doch lieber zum Friseur. Dort angekommen, schickte Frisörin Barbara den Weltstar allerdings wieder weg. Er könne in einer Stunde wieder kommen. Maceo blieb cool und stand später wieder vor der Tür. Barbara versteht ihren Job offenbar: Auch sie war - eingeladen - unter den 800 Leuten, die ein klasse Konzert gesehen haben, in einer wegen des Lichts von draußen erst nach 21 Uhr konzertkompatiblen Mensa.
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Nur am Rande Dancefloorklassiker
Stuttgarter Zeitung - 15 April 2003
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"Temple of Love", warum auch nicht. Ausgerechnet diesen Meilenstein der Sisters of Mercy, diesen grollenden Dancefloorklassiker der Achtziger-Jahre-Gruftidiscos mit seinen repetitiven Stakkatogirlanden, hat Andrew Eldritch als erste Nummer für diesen Abend gewählt. Vielleicht, um zu zeigen, dass die Sisters of Mercy über einen derart reichen Fundus an legendären Stücken verfügen, dass man mit den Pfunden nicht wuchern muss. Vielleicht hat er diesen genau zwanzig Jahre alten Song aber auch gewählt, um deutlich zu machen, dass an diesem Abend auf der Bühne des leidlich besuchten Messecentrums B auf dem Killesberg einer steht, der schon verdammt lange dabei ist.
Womöglich spielt er ihn jedoch auch gleich zu Beginn, um zu demonstrieren, dass "Temple of Love" für die Vergangenheit der Ikonen der New-Wave- und Gothic-Rock- Szene steht, und dass er diese fortan für den Rest des Konzerts hinter sich lassen will. Stammt es doch aus jener Zeit, als die Sisters of Mercy noch eine richtige Band waren - und nicht wie jetzt die Einmannshow des Sängers Andrew Eldritch, der als Einziger aus der Originalformation übrig geblieben ist.
So könnte es sein. Denn nur noch einmal ertönt im Verlauf des Abends ein weiterer Klassiker. "Alice" ist es, die Auswahl ist zumindest stilsicher. Auch dieses Lied ist eine der grandiosen Nummern, die die Sisters of Mercy richtig groß gemacht haben. Den Rest des Konzerts bestreiten Andrew Eldritch und seine zwei Begleiter mit jenem Material, das in den 15 Jahren entstanden ist, die seitdem vergangen sind. Kein Mensch weiß, wer die beiden Musiker sind, niemand kann auf der komplett vernebelten Bühne erahnen, was und wann sie spielen, aber sie interessieren auch wirklich nicht. Die Sisters of Mercy, das ist nur noch Andrew Eldritch, der Mann, dem von einer glorreichen Vergangenheit nur seine tiefe, sonore, noch immer so mächtige Stimme geblieben ist.
So steht der Mann also im dunklen Nebel auf der Bühne, trägt wie immer sinnloserweise ein Sonnenbrille und versucht sich daran, den Weltrekord in Sachen Maulfaulheit einzustellen. "Thank you" wird er zwischendurch einmal sagen, und dann irgendwann noch einen Halbsatz, der völlig unverständlich bleibt. Dazwischen kriegt das Publikum (es ist offenbar im Laufe der Zeit in Richtung Establishment abgeglitten, schwarz gekleidete Teufelsanbeter muss man mit der Lupe suchen) ein emotionslos vorgetragenes aseptisches Potpourri aus den Alben "Floodland" und "Vision Thing" zu hören. Zur knappen Zugabe ertönen schließlich "Lucretia my Reflection" und "Vision Thing".
Das alles kann man sich anhören, keine Frage. Alledem haftet aber auch ein seltsamer, bitterer Beigeschmack an: Diese Band hat ihre beste Zeit längst hinter sich. Und die Zeit hat diese Band hinter sich gelassen.
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Grausame Party
Süddeutsche Zeitung - 16 ?April 2003
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Dieser Gott geht unglaublich auf die Nerven, denn er hat nur einen einzigen Rhythmus drauf: Bumm Tschack Bumm Tschack Bumm. Gott ist übrigens eine Drum-Maschine, schreiben die Sisters of Mercy auf ihrer Webseite: ihre Drum-Maschine. Auch bekannt als Doctor Avalanche. Neben Sänger Andrew Eldritch immerhin das einzige Bandmitglied, das seit den frühen Achtzigern mit dabei ist. Doch das Konzert im lediglich luftig gefüllten Zenith ist nur in den wenigen Minuten überwältigend, in denen der Doktor endlich, endlich ausgeknipst bleibt. "I Was Wrong", die erste Zugabe, singt Eldritch zu zartelektrischer Bass- und Gitarrenbegleitung. Der Bariton brummelt, bellt, leidet, lebt. Grandios. Der Rest des Abends hingegen: ein einziges Trauerspiel. Vor allem die neuen Nummern sind meist stumpf stampfender Biker-Stuss, der weniger eisgekühlte Rockmucker sofort dazu verleiten würde, sich demonstrativ in den Schritt zu greifen.
Vorgelitten wird die Tragödie von einem kurzgeschorenen, aufblondierten, zuweilen Mitleid erregend um sein Leben jodelnden Andrew Eldritch, der im fahlen Bühnenlicht so ausgespuckt aussieht wie Bruce Willis nach übler Darmgrippe. Dazu betreibt Eldritch seltsam introvertiertes Ausdrucksgehopse - wie eine dieser tristen Gestalten, die sich noch mit Mitte 40 auf die Tanzflächen alternativer Jugendzentren verlaufen. Wäre ja alles nur halb so schlimm, wären es nicht ausgerechnet die hochrespektablen Sisters of Mercy, die hier enttäuschen.
"Temple Of Love", "First And Last And Always", "Dominion" - keine ihrer als unkaputtbar eingeschätzten Donner-Hymnen, die nicht vom monoton- fiesen Doktor verhunzrummst werden. Und Eldritchs immer noch unglaubliche Stimme, die ihn wie einen tiefergelegten, schockgefrorenen David Bowie klingen lässt, säuft meist erbärmlich im Mix ab. Dass Konzerte der Sisters schon immer Nebel- und keine Nabelschauen waren – geschenkt. Doch wenn der scheue Eldritch und seine zwei lustlosen Gitarrenknechte wieder mal für Minuten im künstlichen Weiß verschwinden, das in Massen von der Bühne strömt, ist es der Stimmung - egal welcher - auch nicht grade zuträglich. Keine Party, noch nicht mal Paranoia. So grausam können Wiederbegegnungen mit den Helden deiner Jugend sein!
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Rammdösigkeitsfaktor X
Neue Ruhr Zeitung - 17 April 2003
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AUFTRITT IN NRW / Die "Sisters Of Mercy" sind wieder da: Ein schwer metallhaltiger Auftritt der Großväter des Gothic Rock in der Philipshalle.
DÜSSELDORF. Im Jahr 2000 muss Andrew Eldritch endgültig genug vom FC St. Pauli und der Reeperbahn gehabt haben. Er trommelte seine Jungs wieder zusammen, und es gab die ersten gemeinsamen Festival-Auftritte der "Sisters Of Mercy" seit Jahren. Das brachte Gerüchte über eine neue Platte Großväter des Gothic ans Köcheln, aber derzeit haben die eher unfrommen und äußerst männlichen Gnadenschwestern keine Zeit fürs Studio - sie touren in ganz Europa durch Clubs und Hallen.
Was nicht heißt, dass sie dort leicht auf Touren kommen. Die knapp 2500 Fans in der Düsseldorfer Philipshalle fremdelten am Dienstagabend zunächst ein wenig. Gerade hatten sie noch mit "Sulpher" im Vorprogramm eine Rock´n´Roll-Brauchtumspflege mit fröhlichem Gitarrezertrümmern erlebt, da ließen die "Sisters" erstmal minutenlang Licht und Nebelschwaden wabern. Immerhin: Irgendwann reißen knackige Bratgitarrenakkorde die alte Zugnummer "Temple of Love" an, die ziemlich entbombastisiert klingt. Aber dann donnert ein Stroboskop- und Scheinwerfergewitter mit allerhöchstem Rammdösigkeitsfaktor los, das jede Art von Klang völlig verblassen lässt. Für die nächsten vier, fünf Stücke steuern Adam Pearson und Chris Sheehan, saitenweise an der Seite des charisdramatischen Kellersängers Eldritch, auf Techno-Metal und Industrial zu, der Chorgesang mündet in komplette Kläglichkeit, das Konzert ist auf der Kippe.
Irgendwie fängt sich die dienstälteste Düsterkapelle des Planeten dann aber noch, spielt Hits wie "Dominion" mit Moder-Charme und morbider Wärme. Doch da ist auch ein Unbehagen zu spüren: Die "Sisters" sträuben sich gegen ein Dasein als Wunschtitelabspielmaschine. Nicht von ungefähr haben wir ja von ihnen die grundstürzende Einsicht, dass das Leben kurz und die Liebe am Morgen immer vorbei ist. Diesmal war´s sogar noch eher. (NRZ)
Text is taken from: www.poison-door.net pressearchiv
FC St. Pauli: New Model Of Mercy
Laut.de - 25 August 2003
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Sisters Of Mercy-Sänger Andrew Eldritch will gemeinsam mit Bandmitgliedern von der New Model Army helfen, den Traditionsverein zu retten.
Hamburg (eng) - Für das Benefiz-Konzert am 30. August im Millerntor-Stadion haben sich weitere prominente Helfer angemeldet. Teile der Kult-Bands The Sisters Of Mercy und New Model Army schließen sich zusammen, um natürlich ohne Gage für den Erhalt des FC St. Pauli zu spielen. Der Erlös des Benefiz-Konzerts kommt direkt dem Traditions-Clubs zu gute, der in finanziellen Schwierigkeiten steckt. Die beiden Sänger Justin Sullivan (New Model Army) und Andrew Eldritch (Sisters Of Mercy) rufen also am Samstag gemeinsam zu Spenden auf.
Auch die zwei Punklegenden Rubbermaids und Slime machen für den guten Zweck gemeinsame Sache. Unter dem Namen Rubberslime werden sie den Fans bei dem Konzert mächtig was auf die Ohren geben. Außerdem hat die neue Band eigens für diesen Anlass zwei Songs aufgenommen, die erstmals am Samstag zu hören sind.
Auch viele andere Musik-Highlights sind bei dem Open-Air-Konzert am Millerntor-Stadium angekündigt, u.a. Turbonegro, The Varanes feat. The Bates, Kettcar, Tomte, Der Junge Mit Der Gitarre, Fehlfarben, der Spielmannszug St. Pauli, der Kinderchor Lollipops usw.. Angeblich konnten die Organisatoren nicht alle Bewerbungen oder Angebote von Bands, dem Verein zu helfen, berücksichtigen.
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Sonic Seducer 2003 (Article 1)
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Sonic Seducer 2003 (Article 2)
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Sonic Seducer 06/2006
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